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Sammelunterkünfte als massive Angsträume

Neue Studie: Schutzmaßnahmen für LSBTI*-Geflüchtete in Sammelunterkünften werden unzureichend umgesetzt

  • Vanessa Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ich hatte viele Träume«, sagt Abdel F. Nach Deutschland ist der 23-Jährige gekommen, weil er in seiner Heimat keine berufliche Perspektive für sich sah. »Und weil ich schwul bin.« Zunächst habe er in einer Sammelunterkunft gelebt - mitten im Nirgendwo. Einer Arbeit durfte er nicht nachgehen. Und sich vor seinen Zimmergenossen zu outen, kam nicht infrage, erinnert er sich im Gespräch mit dem »nd«. Von seinen Träumen blieb am Ende wenig übrig.

So wie F. dürfte es unzähligen LSBTI*-Geflüchteten in Deutschland gehen. An Konzepten, wie in Sammelunterkünften auf ihre besonderen Bedürfnisse eingegangen, wie sie im Asylverfahren unterstützt und letztlich auch vor Diskriminierung und Gewalt geschützt werden können, mangelt es fast überall.

»Und das, obwohl eine EU-Richtlinie die Mitgliedsstaaten bereits seit 2013 dazu verpflichtet, besonders schutzbedürftige Geflüchtete zu identifizieren und dann auch Maßnahmen für ihren Schutz zu ergreifen«, erklärt Patrick Dörr vom LSVD (Lesben- und Schwulenverband in Deutschland) gegenüber »nd«. Zusammen mit Alva Träbert hat er LSBTI*-spezifische Schutzkonzepte für Sammelunterkünfte untersucht.

Zwar werden queere Geflüchtete in der EU-Richtlinie nicht explizit genannt - was wohl auch am Widerstand einiger europäischer Staaten liegt. In Deutschland hat das Bundesfamilienministerium 2016 aber »Mindeststandards zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen in Flüchtlingsunterkünften« veröffentlicht und diese Gruppe der besonders Schutzbedürftigen im Frühjahr 2017 um LSBTI*-Geflüchtete erweitert.

In den bundesweiten Mindeststandards ist seitdem nicht nur geregelt, dass in Sammelunterkünften eine Person für die Belange von queeren Geflüchteten festangestellt werden sollte, sondern auch, wie sich alle anderen Mitarbeitenden zu verhalten haben: Etwa, dass sie gendersensible Sprache verwenden und regelmäßig Weiterbildungen zum Thema LSBTI* besuchen. Auch sind in den Mindeststandards Verfahrensweisen festgeschrieben, sollte es in der Unterkunft zu Gewalt kommen. Beispielsweise eine räumliche Trennung von Täter und Opfer durch die Unterbringung in einem Einzelzimmer.

Problematisiert wird in den Mindeststandards auch, wie LSBTI*-Geflüchtete überhaupt identifiziert werden können. »Wenn sie sich nicht selbst als solche zu erkennen geben, ist das in der Regel nicht möglich«, sagt Dörr. Umso wichtiger sei es, »eine vertrauensvolle Atmosphäre« zu schaffen, in der sie sich outen könnten.

So weit, so gut. »Leider haben die bundesweiten Mindeststandards keinen verbindlichen Charakter«, sagt Dörr. Und: Die Umsetzung ist Ländersache – jedes Bundesland muss also ein eigenes Konzept ausarbeiten. Das funktioniere, so der Experte, bisher eher schleppend: Gerade einmal neun von 16 Bundesländern hatten im Untersuchungszeitraum (01.01.-10.03.2019) überhaupt ein Schutzkonzept vorweisen können. Neben Baden-Württemberg, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen, gehört auch Berlin zu den Bundesländern, die überhaupt kein Gewaltschutzkonzept veröffentlichten. Inzwischen haben auch Hessen und Bayern Schutzkonzepte vorgelegt. An den grundsätzlichen Aussagen der Studie ändere sich dadurch jedoch nichts.

»Im Schnitt haben die Bundesländer in ihren Gewaltschutzkonzepten nicht einmal ein Drittel der in den bundesweiten Mindeststandards aufgeführten Maßnahmen zum Schutz von LSBTI*-Geflüchteten in Sammelunterkünften umgesetzt«, sagt Dörr. Spitzenreiter sei das Bremer Gewaltschutzkonzept: Immerhin 55 Prozent der Mindeststandards seien dort umgesetzt worden. In Sachsen seien es dahingegen nur fünf Prozent gewesen. Besonders problematisch sei in dem Bundesland auch, dass das Schutzkonzept für Frauen und Kinder einfach auf LSBTI*-Geflüchtete übertragen wurde. »Das funktioniert so aber nicht«, sagt Dörr. »Man kann ja nicht einfach Leute angucken und sagen, ob die schwul oder lesbisch sind. Auch die Bedarfe queerer Geflüchteter sind nicht mit denen von Frauen und Kindern vergleichbar.«

Er und Träbert haben in ihrer langjährigen Tätigkeit die Erfahrung gemacht, dass für LSBTI-Geflüchtete »Sammelunterkünfte immer noch massive Angsträume« sind. Immer wieder käme es dort zu Morddrohungen oder anderen Gewalttaten gegen queere Geflüchtete. Natürlich seien Geflüchtete ebenso wenig wie andere Menschen auch per se homophob, betont Dörr. »Eine einzige massiv homo- oder transfeindliche Person reicht da oft.«

Hinzu komme, dass die fehlende Umsetzung nicht nur für den Gewaltschutz fatale Folgen habe, so Dörr, sondern auch für das Asylverfahren: Viele Geflüchtete würden sich bei Anhörungen, die oft sehr kurz nach der Ankunft in Deutschland stattfinden, nicht trauen, sich zu outen. Und das, obwohl die Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität ein Asylgrund ist.

Ein Problem, das auch Abdel F. kennt: In seiner Anhörung hatte er die eigene sexuelle Orientierung verschwiegen. Zu groß war die Angst, die Information könne in der Sammelunterkunft die Runde machen. Inzwischen wohnt er in einer eigenen Wohnung. Angst vor einem Outing hat er nicht mehr. Doch nun steht er vor einem anderen Problem. Denn er fragt sich, ob das BAMF ihm glauben wird, wenn er dort erst jetzt seine Homosexualität als Asylgrund angibt.

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