Ein Fall alle ein bis zwei Tage

Karte zu rechtsextremen Skandalen in Sicherheitsbehörden veröffentlicht

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Innenminister, der eine Waffe bei der rechtsextremen Nordkreuzgruppe kauft, ein Verfassungsschützer, der bei einem rechtsterroristischen Mord vor Ort ist, Polizist*innen, die sich rassistische und menschenfeindliche Nachrichten schicken. Die Liste rechter Skandale in den deutschen Sicherheitsbehörden ist lang - und unübersichtlich.

Die Kampagne »Entnazifizierung jetzt« hat die Informationen zu solchen Vorfällen nun systematisch aufgearbeitet. Am Donnerstag veröffentlichte sie auf ihrer Website eine interaktive Karte, auf der rechte Skandale in öffentlichen Einrichtungen eingetragen sind, sortiert nach Ort, Sicherheitsbehörde und Schlagworten. Allein für den Zeitraum zwischen Mai und Dezember 2020 haben die Aktivist*innen 150 solcher Fälle gesammelt. Eingetragen seien Verstrickungen von Behördenvertreter*innen, aber auch verschleppte Prozesse gegen Neonazis oder die Verharmlosung rassistische Überfälle durch die Polizei, sagte Kampagnensprecher Jan Richter dem »nd«. Gefragt, ob die große Zahl mittlerweile bekannter Fälle nicht eine systematische Untersuchung rechter Umtriebe in der Polizei nötig mache, verwies ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf »nd«-Anfrage auf die bereits geplante Polizeistudie. Man sehe keinen zusätzlichen Handlungsbedarf.

Im Frühjahr 2020 begann die Kampagne ehrenamtlich, unterstützt durch Crowdfunding, systematisch Berichte über rechte Skandale zu sammeln. »Wir wollten uns zunächst einen Überblick verschaffen, was eigentlich in den Sicherheitsbehörden los ist«, sagt Richter. Der Datensammlung von »Entnazifizierung jetzt« zufolge wurde im vergangenen Jahr durchschnittlich alle ein bis zwei Tage über einen solchen Fall berichtet. Die Aktivist*innen sammeln aber auch Fälle, die bis in die 50er Jahre zurückreichen. »Wir wollen nachweisen, dass es eine Linie gibt von der verpassten Entnazifizierung nach dem Nationalsozialismus bis zum Heute«, so Richter. »Fast alle Institutionen der BRD wurden in den 50er und 60er Jahren von Menschen mit einem nationalsozialistischen und autoritären Weltbild bestimmt«, sagt dazu der Rechtsextremismusforscher Hajo Funke dem »nd«. Das habe Folgen bis heute.

Besonders gehäuft erscheinen auf der Karte momentan Vorfälle in der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Im September vergangenen Jahres wurde bekannt, dass Polizist*innen dort über Jahre hinweg neonazistische, rassistische und menschenverachtende Inhalte in Chatgruppen geteilt hatten. Von mehr als 200 Verdachtsfällen in seinen Sicherheitsbehörden sprach NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) im Dezember. Von solchen Häufungen lasse sich aber nicht darauf schließen, dass es woanders keine Fälle gebe, sagt Richter: »Gibt es Öffentlichkeit für einen Fall, wird dann auch mehr recherchiert.«

Auf der Karte findet sich auch die bislang unaufgeklärte rechte Terrorserie in Berlin-Neukölln ab 2011 und der Fall eines Greifswalder Polizisten, der 2019 unerlaubt Daten abgefragt und an Neonazis weitergegeben hatte, sowie der Überfall von 15 Rechtsradikalen auf eine Kirmesgesellschaft im thüringischen Ballstädt 2014. Beobachter*innen kritisieren, dass der Prozess nach der Revision erst in diesem Jahr stattfinden soll, rechte Strukturen konnten so ausgebaut werden.

Die Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Bundestag, Martina Renner, bezeichnet es gegenüber »nd« als Skandal, dass es für so eine Initiative überhaupt Anlass gebe: »Rechte Vorfälle und das Bekanntwerden von Netzwerken gehören zum Alltag der Behörden. Die Apparate weigern sich beständig, dieses Problem anzuerkennen und anzugehen.« Renner fordert eine unabhängige Beobachtungsstelle mit Ermittlungsbefugnissen, die rechte Strukturen und rassistische Praktiken untersucht.

Das würde auch die Kampagne »Entnazifizierung jetzt« begrüßen. Den Menschen, die sich hier engagieren, ist zudem wichtig, dass Betroffene von Polizeigewalt zu Wort kommen und gehört werden, betont Richter. »Das Ziel ist, dass wir mit dieser Aktion ganz viele Menschen aufrufen mitzumachen und weiter zu sammeln.«

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