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Virtuell und solidarisch
In der letzten Januarwoche berät das Weltsozialforum dezentral über fortschrittliche Alternativen
Seine ganz großen Tage hat das Gipfeltreffen der linken Globalisierungskritiker hinter sich, einen Weg in die Zukunft muss es sich erst bahnen. Dazu beitragen soll die aufgrund der Corona-Pandemie dezentral und überwiegend virtuell stattfindende Ausgabe des Weltsozialforums (WSF) zum 20. Jahrestag seines Bestehens in diesem Januar. Die Veranstalter haben es sich zum Ziel gesetzt, politische Antworten auf die im globalen Maßstab ernsten Entwicklungen mit sich überschneidenden Krisen des Kapitalismus zu finden. Tausende Menschen auf allen Kontinenten sollen dazu an Hunderten autonom von politischen, sozialen, feministischen und ökologischen Bewegungen sowie von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften organisierten Events mitwirken.
Das WSF tritt als parallele Gegenveranstaltung zum Davoser Weltwirtschaftsforum der ökonomisch und politisch Mächtigen in Erscheinung. Auch das World Economic Forum (WEF) verlegt sich zunächst in den virtuellen Raum. Vom 25. bis 29. Januar wollen die Eliten dort in einer »Davos-Agenda« eine Bestandsaufnahme der Weltwirtschaft vornehmen und Perspektiven der Menschheit nach Corona abstecken. Mit den Top-Managern aus aller Welt wollen sich auch zahlreiche Staats- und Regierungschefs, darunter Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel, kurzschließen. Für Ende Mai plant das WEF dann eine Präsenzveranstaltung in Singapur.
Für ein Gegengewicht will das WSF durch den Dialog der Bewegungen, das Aufzeigen von Alternativen in Wirtschaft und Gesellschaft und das Initiieren sozialer Kämpfe sorgen. Den Auftakt der Veranstaltung bildet ein politisch-kultureller »Weltmarsch« für Gerechtigkeit, Demokratie und gutes Leben im Sinne des aus Lateinamerika stammenden und die Natur einbeziehenden Buen-Vivir-Konzepts. Abspielen wird er sich in Form von künstlerischen und politischen Aktionen an den verschiedensten Orten, die gestreamt oder von denen Videos verbreitet werden.
Der Hauptteil des WSF wird aus überwiegend virtuellen Konferenzen, Messen, Workshops und Debatten bestehen, die sich entlang thematischer Achsen bewegen. Dazu gehören Felder wie Klimawandel und Ökologie, Frieden und Krieg, Demokratie, soziale und ökonomische Gerechtigkeit, Gesellschaft und Diversität oder Kommunikation und Bildung. Das Themenspektrum ist groß, die Veranstaltungsformen sind vielfältig. Sehr im Zentrum werden in diesem Jahr naturgemäß Diskussionen über die Gesundheitssysteme und die zugespitzte soziale Frage stehen. Wichtigen Raum nehmen auch Probleme wie die Militarisierung, die Migration und ihre Ursachen, die Übel Rassismus und Machismus ein. Und nicht zuletzt die Solidarität mit unterdrückten Völkern von Palästina bis zur Westsahara.
Die Ergebnisse des Prozesses sollen gebündelt und ein Aktionskalender mit Veranstaltungen und Kampagnen abgestimmt werden. Diese sollen das Feld für das nächste klassische Weltsozialforum als Massenveranstaltung bereiten. Stattfinden soll es Ende dieses oder Anfang des kommenden Jahres erstmals in Mexiko.
Geburtsstätte des WSF war 2001 die brasilianische Metropole Porto Alegre. Es profitierte zunächst vom Aufschwung der Linkskräfte in Lateinamerika. Seine Losung »Eine andere Welt ist möglich« fand weltweit Widerhall. Das WSF versteht sich als offener Raum für eine große Vielfalt an Kräften und Strömungen. Diese Stärke fesselt es zugleich in der Rolle eines Ideenlabors, das - mitunter intellektuell abgehoben - über den realen Kämpfen schwebt. Der Streit über seine Funktion durchzieht die Geschichte des Forums. Station machte die lose Internationale bereits in Afrika, Asien und Kanada. Neue Kraft schöpfte es mit der zurückliegenden 14. Ausgabe in Salvador da Bahia im März 2018, die stark von der Agenda der brasilianischen Linken geprägt war. Erneut will es beweisen, dass das »Ende der Geschichte «längst nicht gekommen ist - auch nicht das der eigenen.
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