»Die Trump-Administration war die gefährlichste Regierung der Weltgeschichte«

Noam Chomsky ist erleichtert über die Abwahl Donald Trumps, die US-Demokratie sieht er weiterhin gefährdet: durch die Republikaner

  • Philipp Hedemann
  • Lesedauer: 8 Min.

Herr Chomsky, Donald Trump ist nicht mehr Präsident der Vereinigten Staaten. Wie fühlt sich das an?

Es fühlt sich gut an, diesen bösartigen Tumor los zu sein, der uns hätte zerstören können. Weitere vier Jahre Trump hätten uns vielleicht zu einem irreversiblen Kipppunkt gebracht. Die Trump-Administration war die gefährlichste Regierung der Weltgeschichte.

Noam Chomsky

Der US-Gelehrte gilt als Gründer der modernen Linguistik und einer der größten zeitgenössischen Intellektuellen. Er wurde am 7. Dezember 1928 in Philadelphia (USA) als Sohn jüdischer, russisch-stämmiger Eltern geboren. Chomsky ist emeritierter Professor für Sprachwissenschaft und Philosophie am Massachusetts Institute of Technology. Er hat die moderne Linguistik revolutioniert. Seit dem Vietnamkrieg ist Chomsky zudem ein scharfer Kritiker der US-amerikanischen Außen- und Wirtschaftspolitik und des globalen Kapitalismus. 

Im Westend-Verlag ist jetzt sein Buch »Rebellion oder Untergang!: Ein Aufruf zu globalem Ungehorsam zur Rettung unserer Zivilisation« erschienen. Darin kommt Chomsky zu dem Schluss, dass die Menschheit kurz davorstehe, sich mit Atomwaffen, dem Klimawandel und der Aushöhlung der Demokratie selbst zu vernichten

Wie bitte? Gefährlicher als Adolf Hitler?

Hitler war furchtbar, keine Frage. Er verkörperte vielleicht den tiefsten Punkt, an den die Menschheit jemals gesunken ist. Aber hat Hitler daran gearbeitet, die Möglichkeiten für menschliches Leben auf der Erde zu zerstören? Trump hat es getan! Er hat sehr hart daran gearbeitet, die Nutzung fossiler Brennstoffe zu maximieren und die Regulierungen zu beseitigen, die ihre Auswirkungen etwas abgemildert haben. Es war ein Wettlauf in die Katastrophe. Die Trump-Regierung wusste, was sie tat. Die National Highway Traffic Safety Administration hat eine sorgfältige Umweltstudie durchgeführt und kam zu dem Schluss, dass wir bei unserem derzeitigen Kurs bis zum Ende dieses Jahrhunderts eine Erderwärmung von vier Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau erreichen würden. Jede wissenschaftliche und vernünftige Quelle weiß, dass dies zu einem totalen Kataklysmus führen würde. Dann hat die Regierung eine Empfehlung ausgesprochen: Lasst uns das Rennen beschleunigen! Lasst uns die Kontrollen für Autoabgase abschaffen, damit wir die globale Erwärmung beschleunigen! Lasst uns die Nutzung fossiler Brennstoffe steigern! Lasst uns neue Explorationsgebiete schaffen, die schlimmsten und umweltschädlichsten Energiequellen wie Kohle nutzen und Regelungen zum Schutz der Umwelt aufweichen. Das ist Irrsinn!

Trump hat sich vielleicht nicht um die Konsequenzen seiner Politik gekümmert. Aber es war sicher nicht sein Ziel, die Menschheit auszulöschen...

Ich glaube, dass es ihm egal war. Er wusste, was geschehen würde. Wir haben wenig Zeit, um die globale Erwärmung einzugrenzen. Vier Jahre, die die Krise beschleunigt haben, sind ein nie da gewesenes Verbrechen.

Am 20. Januar wurde Joe Biden als US-Präsident vereidigt. Wird jetzt alles gut?

Bidens erste Schritte sind ermutigend. Aber es gibt viele Probleme, die zu bewältigen sind, und seine eigenen Programme reichen bei Weitem nicht aus, um mit den beiden wichtigsten Problemen fertig zu werden, die das Überleben unserer Spezies gefährden können: Die wachsende Bedrohung durch einen Atomkrieg und die Umweltkatastrophe. Im Grunde genommen ist alles andere unwichtig, wenn diese Probleme nicht angegangen werden. Und sie müssen bald in Angriff genommen werden. Die Bedrohung durch einen Atomkrieg hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Deshalb ist die Doomsday Clock, die Weltuntergangsuhr des Bulletin of the Atomic Scientists, jedes Jahr näher an Mitternacht gerückt.

Was hat einen Atomkrieg wahrscheinlicher gemacht?

Es gab ein Rüstungskontrollregime, das über fast 60 Jahre mühsam aufgebaut wurde. Aber Trump hat es demontiert. Es ist fast vollständig weg! Das Rüstungskontrollregime hatte die Gefahr eines Atomkrieges zuvor zwar nicht vollständig gebannt, doch es hat sie etwas abgemildert. Darüber hinaus haben Trump und andere Initiativen zur Entwicklung neuer und weitaus gefährlicherer Atomwaffen gestartet. Kombiniert mit provokativen Aktionen in vielen Teilen der Welt und einer Reihe von ungerechtfertigten Angriffen auf den Iran - von Attentaten, Sabotage, Cyberkrieg bis hin zu vernichtenden lähmenden Sanktionen - hat dies die Gefahr eines Atomkriegs stark erhöht.

Trump hat jetzt nicht mehr die Kontrolle über die Codes für die US-Atomwaffen. Ist die Welt so sicherer geworden?

Sie ist wahrscheinlich ein bisschen sicherer geworden, denn Trump war unberechenbar. Es wäre möglich gewesen, dass er in einem Anfall von psychotischer Angst sagt: »OK, ich mache es!« Ich erwarte, dass sich die Dinge jetzt wieder normalisieren werden. Ich bin sicher, dass die oberste Militärführung sehr erleichtert ist, dass die Situation jetzt berechenbarer ist. Aber das ist nicht das eigentliche Problem. Das Problem sind die Schritte, die während der Trump-Regierung unternommen wurden, um die Bedrohung zu erhöhen.

Weil die Republikanische Partei mit ihrer Politik dazu beiträgt, die natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören, nennen Sie sie die gefährlichste Organisation in der Geschichte der Menschheit. Glauben Sie, dass die Partei in der Lage sein wird, sich nach Trump neu zu erfinden?

Die Partei ist jetzt sehr zerrissen. Die Wählerbasis wird größtenteils von Trump kontrolliert. Seine Unterstützung in der Basis ist nach dem Sturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol am 6. Januar sogar noch gestiegen. Die Spenderklasse und Wohlhabenden mochten Trump hingegen nicht, aber sie waren bereit, ihn zu tolerieren, solange er ihre Taschen ordentlich vollmachte. Aber der 6. Januar war zu viel. Sie sagten ihm: Es ist vorbei! Die National Association of Manufacturers, die Chamber of Commerce, führende Unternehmensführer, Führungskräfte der Finanzbranche wendeten sich von ihm ab. Auch im Senat tat sich etwas. Einige führende Republikaner begannen abzudriften, als einflussreiche Spender sich von Trump distanzierten. Mitch McConnell muss sich jetzt entscheiden: Geht er auf die Wählerbasis oder die hohen Tiere ein, denen er dient und die ihn finanzieren?

Was wird jetzt aus Trump?

Er könnte - vielleicht in Mar-a-Lago - eine Art alternative Schattenregierung errichten. Trump wird sich als der legitime Präsident darstellen, der von einem sehr großen Teil der republikanischen Wählerbasis unterstützt wird. Ich vermute, er wird mit Mitch McConnell zusammenarbeiten, der ein Genie darin ist, das Land unregierbar zu machen. Während der ersten beiden Obama-Jahre war er der Minderheitenführer im Senat und sagte gerade heraus: Wir müssen alles tun, damit Obama scheitert. Das bedeutet, alles zu tun, um das Land unregierbar zu machen, so viel Schaden anzurichten wie möglich. Die Republikaner wollten die so entstehenden Probleme den Demokraten anlasten, um wieder an die Macht zu kommen. Ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass McConnell jetzt nicht wieder das Gleiche tun wird. Nach dem Motto: Lasst uns jeden Vorschlag blockieren! Es wird Misserfolge geben. Für die können wir dann die Regierung verantwortlich machen und schließlich mit der Unterstützung der von Trump kontrollierten Basis furios an die Macht zurückkehren.

Könnte ein Amtsenthebungsverfahren dies nicht verhindern?

Ich schätze die Erfolgsaussichten für ein Impeachment nicht besonders hoch ein. Und das Einzige, was ein Impeachment erreichen würde, wäre, dass Trump keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden dürfte. Aber wenn es nicht Trump sein wird, dann wird es jemand sein, der so ähnlich wie er ist.

In seiner Antrittsrede sagte Präsident Biden, eine seiner wichtigsten Aufgaben sei es nun, das Land wieder zu einen und zu versöhnen. Wird ihm das gelingen?

Ich wünsche es mir, aber ich kann keine Anzeichen dafür erkennen. Die Republikaner sind heutzutage so extrem. Die Gemäßigten unter ihnen sind fast verschwunden. Vor Biden hat Obama versucht, das Land wieder zu einen und zu versöhnen, aber er ist damit vollständig gescheitert. Wahrscheinlich wird auch Biden scheitern, weil die Republikaner keine Versöhnung wollen. Sie wollen wieder an die Macht kommen. Und es gibt dafür einen Weg: das McConnell-Programm.

In Ihrem neuen Buch »Rebellion oder Untergang« beschreiben Sie die Erosion der Demokratie als die dritte große Gefahr für die Menschheit. Welche Rolle spielt Trump dabei?

Erosion der Demokratie klingt zunächst nicht so gefährlich wie die Gefahr eines Atomkriegs oder die Umweltkatastrophe. Aber sie ist gefährlich, denn nur eine lebendige Demokratie, in der engagierte Bürger sich beteiligen, diskutieren, Programme aufstellen und Politiker unter Druck setzen, diese auch umzusetzen, kann mit den ersten beiden Problemen klarkommen. Trump hat die Regierung entkernt und in ein persönliches Lehen verwandelt. Früher war die Regierung ein funktionierendes System mit verschiedenen Stimmen. Aber Trump hat sie in einen unfassbaren Sumpf der Korruption verwandelt. Er hat die Wahl nicht akzeptiert, weil er sie nicht gewonnen hat. Welche extremere Aushöhlung der Demokratie kann es geben? Die Mehrheit der republikanischen Wähler glaubt, dass die Wahl gestohlen wurde, weil Trump das gesagt hat. Das sind Symptome des Faschismus. Trump war in der Lage, effektiv Gifte anzuzapfen, die direkt unter der Oberfläche der amerikanischen Gesellschaft lagern. Weiße Vorherrschaft, Frauenfeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeit, extremistische Religion. Und er verstand es wie kaum ein anderer, sie an die Oberfläche zu bringen. Hitler hat dasselbe getan. Wenn diese Kräfte erst einmal entfesselt sind, sind sie nur noch sehr schwer zu kontrollieren.

Nach Ihrer Analyse von Klimawandel, der Atomkriegsgefahr und der Erosion der Demokratie sind wir dem Weltuntergang nahe. Haben Sie die Hoffnung aufgegeben?

Nein, ich gebe die Hoffnung nie auf! Im vergangenen Januar waren wir nach der Einschätzung des Bulletin of Atomic Scientists noch 100 Sekunden vom Weltuntergang entfernt. Ich vermute, dass es dieses Jahr wahrscheinlich auf zwei Minuten zurückgeht, weil Trump weg ist. Ein Zurückdrehen der Weltuntergangsuhr ist möglich, aber nur, wenn es genug Druck auf Biden und andere Länder gibt. Etwa die Hälfte der Treibhausgas-Emissionen kommen aus Schwellenländern. Es ist die Verantwortung der reichen Staaten, die armen Länder bei der Reduzierung der Emissionen zu unterstützen. Aus moralischer Verantwortung und weil wir unter anderem so reich sind, weil die anderen so arm sind. Zudem ist es für uns überlebenswichtig.

Sie haben seit den 1960er Jahren mit jeder US-Regierung gestritten. Jetzt sind Sie 92 Jahre alt. Haben Sie noch die Energie, sich mit der Biden-Regierung anzulegen?

Ich habe mit meinem politischen Aktivismus begonnen, als ich zehn Jahre alt war. Damals schrieb ich einen Artikel über die Ausbreitung des Faschismus in Europa und wie beängstigend das für mich war. Ich würde nicht sagen, dass ich viel verstanden habe. Aber ich erinnere mich an die Angst, die ich als Kind hatte. Später habe ich gelernt, dass die Ängste nicht ungerechtfertigt waren. Heute haben wir andere Ängste. Atomwaffen, Umweltkatastrophen, Verfall des demokratischen Systems, Pandemien und in naher Zukunft eine riesige Einwanderungskrise durch die globale Erwärmung. Diesen Problemen müssen wir uns jetzt stellen. Deshalb gibt es für mich keine Alternative zum politischen Aktivismus.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.