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Die Anti-Korruptions-Kampagne steht zur Debatte

Der unabhängige Experte Nguyen Manh Cuong zum Einfluss der Kommunistischen Partei auf die Entwicklung Vietnams

  • Julia Behrens
  • Lesedauer: 5 Min.

Was bedeutet der anstehende Parteikongress für Vietnam?

In der vietnamesischen Verfassung steht sehr deutlich, dass die Kommunistische Partei die Führung Vietnams ist. Deshalb ist der Parteikongress wichtig, er legt die langfristigen strategischen Ausrichtungen fest. Er entscheidet über das Personal, Außenpolitik und die Entwicklungsrichtung Vietnams, konkret für die nächsten fünf und die Vision für die nächsten zehn Jahre. Deshalb ist der Parteikongress das wichtigste politischste Ereignis in Vietnam.

Nguyen Manh Cuong
ist unabhängiger Experte zur Entwicklung Vietnams. Er erhielt seinen Doktortitel in Entwicklungsforschung von der Universität Rotterdam und lehrte seitdem an verschiedenen Hochschulen in Europa, Vietnam und China. Er weilt derzeit zum Forschungsaufenthalt in Berlin. 

Wie eben erwähnt, werden auch Entscheidungen über das Personal getroffen. Was glauben Sie, wer wird als Sieger aus dem Kongress hervor gehen?

Der Parteikongress ist vertraulich. Es gibt ein Gesetz, dass der Auswahlprozess der hochrangigen Ämter, dazu gehören Generalsekretär, Premierminister, Präsident und Vorsitzender der Nationalversammlung, nicht öffentlich gewählt werden, so dass niemand genau weiß, was passiert. Vorhersagen beruhen auf Gerüchten von innerhalb und außerhalb der Partei. Wir können es vorher nicht mit Gewissheit sagen. Vietnam ist nicht wie Deutschland, in dem es mehrere Parteien gibt, in denen die Kandidaten gewählt werden und dann kann man Vorhersagen treffen. Hier in Vietnam verstecken sich Kandidaten gerne und niemand weiß so richtig, was passiert. Ich möchte nicht raten, wer gewinnen wird. Aber ich kann vorhersagen, ob es einen Politikwandel nach dem Kongress geben wird.

Politikwandel in welchem Bereich?

Ich glaube, dass wenn der jetzige Generalsekretär im Amt bestätigt wird, es eine Fortsetzung der Anti-Korruptions-Kampagne geben wird. Nguyen Phu Trong ist der Einzige, der stark im Bereich Anti-Korruption ist und es ist die Strategie, die er in seiner Amtszeit verfolgt hat. Er ist stark, da er Macht zentralisiert hat, er hat viel Erfahrung und weiß, wie er Politik in Vietnam kontrolliert.

Wie sieht es in der Außenpolitik aus?

In der Außenpolitik wird es keine Veränderung geben, auch wenn Trong nicht Generalsekretär bleibt. Warum? Weil Vietnam eine ausbalancierte Strategie verfolgt. Es ist eine multilaterale, ausgewogene Strategie, zwischen Deutschland, den USA, der EU und auch anderen wie Russland, damit Vietnam seine Unabhängigkeit erhalten kann. Ohne Unabhängigkeit gibt es keine Souveränität. Und der Erhalt der Unabhängigkeit ist schwieriger vorherzusehen, nachdem Donald Trump nicht länger Präsident der USA ist. Die Chinapolitik der USA könnte freundlicher werden, sie könnte zu der Politik aus der Obama-Administration zurückkehren, so dass Vietnam vorsichtig und freundlich gegenüber allen Großmächten bleiben muss. Aber die Politik mit der EU wird sich aus zwei Gründen nicht ändern. Erstens ist es Vietnams wichtigstes Interesse in der Außenpolitik, das nationale Interesse und politische Stabilität aufrecht zu erhalten. Eine gute Beziehung zur EU ermöglicht den Zugang zu einem sehr großen Markt. Gleichzeitig verfolgt die EU keine Ambitionen, einen Regimewechsel in Vietnam herbei zu führen. Zweitens können sie weiterhin militärische Unterstützung der USA, der EU, Russlands, aber auch in der Region von Indien und Japan sicherstellen, wenn es zum Konflikt im Südchinesischen Meer kommt. Vietnam will Frieden und keine Eskalation mit China, egal wer in der Führungsriege sitzt.

Es gibt die Diskussion um Quoten für politische Führungspositionen, besonders was die Herkunft aus Nord-, Zentral und Südvietnam angeht. Wie wichtig ist diese Diskussion, wird sie befolgt und umgesetzt?

Ja, normalerweise wird versucht, einen Proporz herzustellen, wenn es um Wahl und Auswahl der Führungspositionen geht, eine Balance zwischen Mann und Frau, jung und alt, Zentral-, Süd und Nordvietnam. Es gibt viele Dimensionen in der Wahl aber wie in jedem Wettbewerb hast du keine Stimme, wenn du nicht stark genug bist. Wenn du jedoch stark bist, hast du die Möglichkeit deine »Assistenten« nach deinen eigenen Kriterien zu wählen. Du brauchst nur die Unterstützung von verschiedenen Interessengruppen, um ein harmonisches System nachhaltig zu erhalten. So einfach ist das.

Wie nimmt die vietnamesische Bevölkerung den Parteikongress wahr?

Verschiedene gesellschaftliche Gruppen haben verschiedene Perspektiven. Natürlich haben Intellektuelle eine Vision und weitere Perspektive auf Vietnams Entwicklung, aber sie erwarten keine große Veränderung. Egal wer die Führungsposition inne hat, es wird sich nicht viel ändern. In der Außenpolitik wird es eine Softpower-Strategie geben, in der Innenpolitik wird es eine scharfe Machtpolitik geben. Mit scharfer Machtpolitik meine ich, dass es weiter die Bestrebung gibt, die Machtposition der Kommunistischen Partei zu konsolidieren. Deshalb sehen Intellektuelle keinen radikalen Wandel in naher Zukunft. Aber die durchschnittliche Bevölkerung kümmert sich nicht so sehr um den Parteikongress, sie sind sehr pragmatisch. Für sie ist wichtig, wie die Regierung mit Corona umgegangen ist, ob sie ihr Einkommen und ihre Arbeitssituation verbessern können, ob es Investitionen aus dem Ausland gibt und dass sie Geschäfte machen können. Das sind die wichtigen Probleme in Vietnam momentan.

Sie sagen, die Öffentlichkeit ist nicht zu sehr interessiert am Parteikongress, aber es gab trotzdem im Vorfeld harsche Einschränkungen der Freiheitsrechte. Worüber macht sich die Partei Sorgen?

Das ist simpel. Wenn ein Parteikongress ansteht, dann probiert die Partei das gesamte System zu kontrollieren, um sicherzustellen, kritische Ideen einzufangen und die generelle Situation kontrollierbar zu machen. Es soll eine sichere Umwelt für den eigenen Kongress geben, um Macht während des Transfers zu konsolidieren. Wenn innen drin etwas Sensibles diskutiert wird, muss man nach außen stark sein.

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