Das Virus überschattet Davos

Beim Weltwirtschaftsforum trifft sich die Prominenz nur digital - NGOs fordern mehr Einsatz gegen Armut

Normalerweise gleicht der Schweizer Nobelskiort Davos Ende Januar für etwa eine Woche einer Festung. Dann treffen sich hier Hunderte Vertreter der globalen Politik- und Wirtschaftselite, um über ökonomische und gesellschaftliche Herausforderungen zu diskutieren. Coronabedingt wandert aber auch das am Montag begonnene Weltwirtschaftsforum (WEF) in diesem Jahr ins Internet ab. Gerade die berüchtigten informellen Kamingespräche einzelner Teilnehmer fallen dadurch natürlich flach.

Das von einem Verein ausgerichtete WEF war auf dem Höhepunkt der Globalisierungswelle der 1990er Jahre zu einem der wichtigsten wirtschaftspolitischen Treffen mutiert und verlor seither wieder stark an Bedeutung. Nichtsdestotrotz hat sich auch diesmal allerlei Prominenz angekündigt wie Angela Merkel, Emmanuel Macron, Ursula von der Leyen, Xi Jinping und Narendra Modi. Nach jetzigem Stand soll das WEF im Mai in Singapur nachgeholt werden, wo das Coronavirus weniger stark wütet.

Proteste und viel Kritik an der elitären Veranstaltung sorgten dafür, dass sich diese inzwischen für Vertreter von Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen geöffnet hat. Und die Organisatoren geben sich nachdenklich. Im vergangene Woche veröffentlichten WEF-Risikobericht heißt es, das größte Bedrohungspotenzial für die globale Stabilität gehe in den kommenden zwei Jahren von Infektionskrankheiten und zunehmender Armut aus. Die Corona-Pandemie drohe die Fortschritte bei der Reduzierung von Armut und Ungleichheit »um Jahre zurückzuschrauben und den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie globale Kooperation weiter zu schwächen«.

Das klingt bei NGOs nicht so viel anders: Die Covid-19-Pandemie verschärfe weltweit die soziale Ungleichheit, so der Tenor einer am Montag anlässlich des WEF veröffentlichen Studie der Hilfsorganisation Oxfam mit dem Titel »The Inequality Virus«. Während die 1000 reichsten Menschen ihre Verluste in der Coronakrise in nur neun Monaten wettmachten, könnte es mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis sich die Ärmsten von den Folgen erholt haben. Dem Bericht zufolge droht eine Verschärfung der Ungleichheit in fast allen Ländern - erstmals seit Beginn der Aufzeichnungen vor über einem Jahrhundert. Am stärksten betroffen seien »wieder einmal« Frauen. Fast die Hälfte der berufstätigen Frauen seien in Sektoren beschäftigt, in denen besonders große Einkommens- und Arbeitsplatzverluste drohen. Zudem stellten Frauen weltweit etwa 70 Prozent der Arbeitskräfte im Gesundheits- und Sozialwesen - oft schlecht bezahlte Jobs, die zudem ein höheres Risiko bergen, an Covid-19 zu erkranken.

»Die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich erweist sich als ebenso tödlich wie das Virus«, erklärt Oxfam-Mitarbeiter Tobias Hauschild. Konzerne und Superreiche müssten »jetzt ihren fairen Beitrag leisten, um die Krise zu bewältigen«. So macht sich Oxfam für eine »Pandemiesteuer« auf die Zusatzgewinne der größten Konzerne stark. Es brauche mehr Unterstützung für Arme, besonders eine Stärkung der Sozialsysteme in armen Ländern und eine gemeinwohlorientierte Wirtschaft, in der Gewinne innerhalb der globalen Lieferkette gerecht verteilt würden.

Hier knüpft eine Studie verschiedener NGOs wie Attac, die Naturfreunde und PowerShift zum globalen Milchsektor an. In der Covid-19-Pandemie habe das Stocken von Lieferungen die Probleme eines Welthandels mit einer scheinbar unbegrenzten Palette an Produkten deutlich gemacht, heißt es in dem Bericht mit dem Titel »Global - Regional - alles egal?«. Die bisherige Freihandelspolitik sei »einer der Treiber einer fehlgeleiteten Entwicklung, die nicht nur Landwirt*innen insbesondere im globalen Süden unter enormen Druck setzt, sondern auch die Umwelt und das Klima«. Die Autoren machen sich für eine »solidarische Regionalisierung« stark. Wichtigste Aufgabe der Handelspolitik sei es, nachhaltige Strukturen zu fördern, Menschenrechte zu stärken und den Schutz der Märkte im globalen Süden zu ermöglichen.

Für das WEF ist dagegen nach wie vor die Förderung des Welthandels ein Problemlöser. Bei der Armutsbekämpfung unterstützt das Forum lediglich freiwillige Initiativen wie »The Giving Pledge«, bei der sich Milliardäre verpflichten, Teile ihres Reichtums über Stiftungen dem Gemeinwohl zuzuführen.

Neben der Coronakrise wird es bei dem Treffen auch um längerfristige Probleme wie den Klimawandel gehen. Die Umweltorganisation Germanwatch erinnert deshalb an die Dramatik der Lage. Fast eine halbe Million Tote durch extreme Wetterereignisse habe es seit 2000 gegeben. Heftige Stürme, Fluten und Hitzewellen hätten wirtschaftliche Schäden von 2,56 Billionen Dollar verursacht, heißt es im »Globalen Klima-Risiko-Index 2019« von Germanwatch. Am härtesten treffe es Entwicklungsländer: Im Jahr 2019 hätten Mosambik und Simbabwe am stärksten unter Wirbelstürmen und darauffolgenden Überflutungen sowie Erdrutschen gelitten. Seit 2000 habe es Puerto Rico, Myanmar und Haiti am härtesten getroffen, Deutschland liegt auf Platz 18. »Die Corona-Pandemie führt uns vor Augen, dass besonders verletzliche Länder von verschiedenen Risiken betroffen sind - klimatischen, wirtschaftlichen und auch gesundheitlichen - und dass diese Risiken zusammenwirkend die Verwundbarkeit noch vergrößern«, so Co-Autorin Laura Schäfer am Montag. »Es wird darauf ankommen, insgesamt die Krisenfestigkeit dieser Staaten zu verbessern.«

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