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Viel zu wenig Impfstoff
Nur eine starke Produktionsausweitung könnte die Verteilungskämpfe beenden
Für Moritz Schularick, Ökonomieprofessor an der Uni Bonn und Leiter des dortigen Macro Finance Lab, wäre es aus ökonomischer Sicht das Beste für Europa und Deutschland, schnellstmöglich die Impfstoffproduktion auszuweiten. Aufgrund der langsamen Impfgeschwindigkeit in Europa zeichne sich bereits ab, dass die Prognosen zur Wirtschaftsentwicklung für dieses Jahr heruntergeschraubt werden, während sie für Großbritannien und teilweise auch für die USA, wo die Impfkampagne dank der neuen Administration an Geschwindigkeit aufgenommen habe, nach oben gesetzt würden, erklärte Schularick während eines Pressegesprächs der Linksfraktion im Bundestag zum Thema »Chaos beim Impfmanagement«. »Wir sind hier auf dem Weg, einen schweren wirtschaftspolitischen Fehler zu machen«, so Schularick.
Tatsächlich wird das Bild, das die Europäische Union in Sachen Impfstoffbeschaffung abgibt, immer katastrophaler. Nach dem Streit um mögliche Fehler bei der Bestellstrategie, dem Zank um die Verteilung der bisher in der EU zugelassenen Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna auf die Mitgliedsstaaten verstrickt sich Brüssel nun zusehends in eine Auseinandersetzung mit dem britisch-schwedischen Pharmakonzern Astra-Zeneca um angekündigte Lieferengpässe. Das Vertrauen der Bevölkerung in die europäische Impfkampagne dürften diese Streitigkeiten wohl kaum steigern. Geschweige denn dazu beitragen, das Impftempo signifikant zu erhöhen.
Am Mittwoch gipfelten die gegenseitigen Schuldzuweisungen für die Verzögerungen in einem Verwirrspiel um ein für Mittwochabend angesetztes Krisentreffen. Zunächst hieß es aus EU-Kreisen, Astra-Zeneca habe den Termin abgesagt. Später hieß es dann, das Unternehmen habe die Absage zurückgezogen und werde doch an dem Gespräch teilnehmen. Ein Sprecher des Konzerns bestätigte schließlich die Teilnahme.
Beenden könnte die derzeit laufenden Impfstoff-Verteilungskämpfe eine massive Ausweitung der Herstellungskapazitäten. Schularick hält dies für dringend geboten. Angesichts der immensen Kosten, die etwa durch Lockdowns entstehen, sei der gesellschaftliche Nutzen einer schnelleren Impfstoffproduktion und damit einer Durchimpfung der Bevölkerung enorm. Der Einsatz öffentlicher Gelder könnte demnach Ansporn für die Unternehmen sein, die Produktion kurzfristig auszuweiten. So könnte den Unternehmen etwa für die Lieferung zusätzlicher Dosen eine zusätzliche Milliardensumme in Aussicht gestellt werden. »Das wäre ein Anreiz, den es gerade nicht gibt«, so Schularick.
Trotz der vielen Schlagzeilen über Impfstoffstreit, Lieferengpässe und Ärger wegen der schleppenden Impfungen gibt es doch auch ermutigende Nachrichten. So kündigte der französische Pharmakonzern Sanofi an, Biontech/Pfizer bei der Produktion unterstützen zu wollen. Ab Sommer wolle das Unternehmen mehr als 125 Millionen Dosen des Vakzins für die Europäische Union liefern. Wie es in einer Mitteilung vom Mittwoch hieß, will Sanofi dem Mainzer Biotechunternehmen Biontech Zugang zu seiner Produktionsinfrastruktur gewähren. Ziel sei es, »Fertigungsschritte der späten Phase« zu übernehmen, um die Lieferung des Covid-19-Impfstoffs zu unterstützen. Die ersten Lieferungen sollen im Sommer 2021 aus den Produktionsanlagen von Sanofi in Frankfurt kommen.
Dazu müssten jedoch zunächst noch die Anlagen am Standort Frankfurt-Höchst umgerüstet werden, erklärte eine Sprecherin von Sanofi Deutschland. Denn der Impfstoff von Biontech basiere auf der Technologie von mRNA-Botenstoffen - anders als der Impfstoff, an dem Sanofi mit dem britischen Pharmakonzern GSK (GlaxoSmithKline) forscht. Zu finanziellen Details des Deals mit Biontech und Pfizer machte die Sprecherin keine Angaben. Laut Biontech ändere sich allerdings durch die Unterstützung nichts am Gesamtumfang der Vakzin-Produktion. Es bleibe bei den geplanten zwei Milliarden Impfdosen, sagte eine Unternehmenssprecherin. Mit Agenturen
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