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Debatte über Abschiebeverbot nach Griechenland
Nach einem Abschiebestopp für zwei Geflüchtete durch das Oberverwaltungsgericht NRW fordern Organisationen, Abschiebungen nach Griechenland generell auszusetzen
Unionspolitiker haben das gerichtliche Abschiebeverbot von anerkannten Flüchtlingen nach Griechenland kritisiert. Griechenland sei ein »etablierter Mitgliedsstaat der EU«, daher sei es »schwer nachvollziehbar, dass bei einer Rückführung dorthin eine unmenschliche Behandlung drohen soll«, kritisierte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU).
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hatte in zwei am Dienstag veröffentlichten Urteilen entschieden, dass in Griechenland anerkannte Flüchtlinge derzeit nicht dorthin abgeschoben werden dürfen. Flüchtlinge könnten dort ihre elementarsten Bedürfnisse nicht erfüllen. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl unterstützte die Entscheidung. Karl Kopp, Leiter der Europaabteilung bei der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, sagt gegenüber »nd«: »Wir sind auch der Ansicht, dass es nicht sein darf, dass Menschen innerhalb der EU unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen.« Das Flüchtlingselend in der EU sei jedoch lange bekannt und politisch gewollt. Middelberg ignoriere das. »Das Gericht stellt lediglich die erschreckende Realität fest«, so Kopp. Die menschenrechtliche Konsequenz nach den Urteilen müsse sein, alle Abschiebungen von Flüchtlingen nach Griechenland zu stoppen.
Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, begrüßt das Urteil: »Anerkannte Flüchtlinge landen in Griechenland massenhaft auf der Straße, ihnen drohen extreme Notlagen«, sagt sie »nd«. Jelpke fordert Bund und Länder auf, aus der Gerichtsentscheidung Konsequenzen zu ziehen und alle Abschiebungen nach Griechenland zu stoppen. Zudem müsse die Bundesregierung »mehr Schutzsuchende aus Griechenland aufnehmen und die bisherigen Aufnahmezusagen zügig umsetzen«. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hatte Anfang Januar ebenfalls gefordert, mehr Geflüchtete von griechischen Inseln aufzunehmen.
Bei dem Urteil in NRW ging es nur um bereits anerkannte Flüchtlinge. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verwies derweil am Dienstag die Frage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, ob Fristen für Abschiebungen in andere EU-Staaten wegen der Corona-Pandemie unterbrochen werden. Konkret ging es um zwei Fälle von Asylbewerbern, die über Italien nach Deutschland eingereist waren.
Wegen des Dublin-Verfahrens sind Flüchtlinge dazu verpflichtet, in dem Land Asyl zu beantragen, in dem sie zuerst die Europäische Union betreten haben. Es gab bereits mehrere Gerichtsurteile, die die menschenrechtliche Lage in den Grenzstaaten der EU als nicht ausreichend bewertet hatten. Die Corona-Pandemie verschlechtert diese weiter. Diesem Fakt trug das OVG Münster Rechnung. Griechenland habe 2020 den heftigsten Einbruch des Bruttoinlandsprodukts aller EU-Staaten erlitten. Die Arbeitslosenquote liege derzeit bei etwa 20 Prozent. Den Flüchtlingen sei der Zugang zum Arbeitsmarkt somit zusätzlich erschwert. Das Gericht gab damit der Klage eines 41-jährigen Eritreers und eines 22-jährigen aus Syrien stammenden Palästinensers recht, die gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geklagt hatten. Ihre Asylanträge könnten hierzulande nicht als unzulässig abgelehnt werden, weil ihnen für den Fall ihrer Rückkehr nach Griechenland »die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung« drohe, heißt es in der Begründung. Eine Revision ließ das Gericht nicht zu.
Viele Schutzsuchende kommen erst gar nicht in die Situation, Asyl in der EU zu beantragen. Menschenrechtsorganisationen berichten immer wieder von illegalen Pushbacks (»nd« berichtete). Die Frontex-Mission mit Montenegro, die am Mittwoch zu Ende ging, bestand wohl ausschließlich in der Luftüberwachung. Das geht aus einer Antwort des Direktors der europäischen Grenzschutzagentur, Fabrice Leggeri, auf eine Anfrage der Linke-Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel hervor. »Mit dieser ›Drittstaatenmission‹ wurde die EU-Außengrenze also erneut weiter nach außen verlagert«, stellte Demirel fest. Damit werde Flüchtlingen auch jede Möglichkeit genommen, rechtlich gegen inhumane Maßnahmen vor Gerichten der EU oder ihrer Mitgliedstaaten vorzugehen, kritisiert die Sicherheitsexpertin.
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