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Kämpfen und zweifeln
HEISSE ZEITEN - Der zähe Kampf für Klimagerechtigkeit ist ein mentaler Kraftakt, der nicht immer gelingt, meint Tadzio Müller
Darf ich einen Moment aus der Rolle des Klimagerechtigkeitsagitators, Parteienbashers und Bewegungsromantikers heraustreten und ganz ehrlich zu Ihnen sein?
Ich bin müde. Zutiefst ermüdet von fast 13 Jahren Aktivismus für Klimagerechtigkeitsaktivismus, der viel zu wenig bringt oder zu spät kommt. Ich bin müde vom Demonstrieren und Blockieren, vom Laute-Reden-Halten und davon, Leute auf Podien, in Zeitungsartikeln und auf Twitter anzuschreien.
Heute also, im Gegensatz zu meinem üblichen Haudrauf-Stil, keine Angriffe auf die Kapitalismusfundis bei den Grünen und vielen Öko-NGOs oder die völlig unzureichenden Klimapositionen der Linken und vor allem Sahra Wagenknechts. Heute keine Degrowth-Propaganda und kein »Danni-lebt«-Pathos. Heute etwas anderes, nämlich kritische Reflexion des Sprach- und Argumentationsstils, den ich als hochprivilegierter bürgerlicher weißer Mann in der Öffentlichkeit, und meistens auch in dieser Kolumne pflege.
Anlass dazu war dieser Tweet meiner Freundin und Klimakampfgenossin Jessica Stolzenberger: »Wisst ihr, was ich ganz gefährlich finde? Linke Machos die der Meinung sind, dass die eigene Perspektive die einzig wahre ist, ohne in Erwägung zu ziehen, dass auch andere Recht haben können.« Zuerst einmal also ein »Mea culpa«: Meine erhebliche Frustration über die Niederlagen der Anti-Kohle- und Klimagerechtigkeitsbewegung im vergangenen Jahr (hierzulande: »Kohleausstieg« 2038 und das lächerliche Klimagesetz; global: die Tatsache, dass Emissionsraten steigen und steigen und nur im weltweit verhassten Lockdown sanken) - kombiniert mit meiner bildungsbürgerlich-männlichen Sozialisation und einer guten Prise Arroganz verleiten mich manchmal, wohl zu oft, zu genau der Art von Diskussionsstil, die Jessica in ihrem Tweet beschreibt.
Das mag meine Texte lustig und schlagkräftig machen - aber eben eher zu Agitprop als zu Diskussionsangeboten. Und das eine Diskussionsangebot an die Gewerkschaften? Das war total unehrlich, weil ich überzeugt bin, dass die deutschen Industriegewerkschaften strukturelle Gegnerinnen der Klimagerechtigkeitsbewegung sind. Klang nett, war aber im Grunde eine taktische Lüge.
Dieser aggressive Diskussionsstil ist aber nicht nur ein Resultat der beschriebenen Prozesse und Strukturen. Er ist auch ein hoffentlich nicht zu durchsichtiges Mittel, meine tiefe Verzweiflung über Stand und Richtung der Welt zu kaschieren: Schreien ist, zumindest für mich, einfacher, als leise zu reden. Und Sätze wie »Wenn hier jemand Klimaschutz machen wird, dann sind es nicht die Regierungen, die großen Firmen - sondern die Bewegung« klingen, wenn ich sie mit Pathos in die Menge rufe, viel überzeugender, als wenn ich sie hier aufschreibe.
Dabei steht für mich zweierlei fest: Erstens liegt die Wahrscheinlichkeit, dass wir den Klimakollaps (also das Umkippen des globalen Klimasystems in einen instabilen, chaotischen Zustand) verhindern können, irgendwo im unteren Promillebereich. Wow, das habe ich so noch nie aufgeschrieben. Realer Klimaschutz findet nirgendwo statt. Ergo sind, zweitens, alle bisherigen Klimaschutzstrategien gescheitert - die »moderaten« (Emissionshandel usw.) ebenso wie die »radikalen« (Ungehorsam für schnellen Kohleausstieg). Jede Seite (oder jeder Flügel der Bewegung) hat für das Scheitern Erklärungen, die am Ende immer darauf hinauslaufen, die eigene Überzeugung zu bestätigen.
Als ein Exponent des ungehorsamen, wachstumskritischen Flügels der Klimabewegung muss ich »unsere« Strategie nach innen erklären und nach außen vertreten. Das bedeutet, ich muss jeden Tag, an dem ich politisch kommuniziere, in meinem Kopf die Distanz zwischen meinem Wissen über die nahezu 100-prozentige Wahrscheinlichkeit des Klimakollapses und meinen hoffnungsvollen Reden überbrücken. Mein Mittel dazu: magischer Bewegungsrealismus.
Das ist ein unglaublicher mentaler Kraftaufwand, den ich nicht immer leisten kann. An solchen Tagen schreie ich gerne mächtigere Andere an (Menschen, Institutionen). Weil das einfacher ist, als zu zaubern. Und weil es meine Verzweiflung übertönt. Danach bin ich meistens noch müder, als vorher.
Normalerweise würde hier der ermutigende Schlusssatz kommen. Heute nicht. Einen guten Tag noch.
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