»Das Sicherheitsversprechen der Konservativen ist gefährlich«

Wie geht linke Innenpolitik? Henriette Quade aus Sachsen-Anhalt über ostdeutsche Probleme sowie innenpolitische Ideen und Konzepte für einen grundsätzlichen Wandel

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 6 Min.

Frau Quade, was mögen Sie an Sachsen-Anhalt?

Dass sich immer wieder Leute zusammenfinden und Raum für linke Politik im weitesten Sinne schaffen. Das beeindruckt mich. Ich habe im letzten Jahr großartige Projekte auf dem Land besucht, beispielsweise das Jugendzentrum »RATS« in Obhausen, wo mit einfachsten Mitteln politische Standards gesetzt wurden: dass Nazis nicht hineinkommen, dass niemand diskriminiert wird. Diese jungen Leute haben sich beispielsweise in einem Projekt mit Feminismus auseinandergesetzt. Das ist so wichtig, nicht nur auf dem Land.

Henriette Quade
Henriette Quade wurde 1984 in Halle geboren. Sie gehört seit 2011 dem Landtag von Sachsen-Anhalt an und ist dort Sprecherin ihrer Fraktion für Innenpolitik, Migrations- und Asylpolitik und Strategien gegen Rechts.

Ich stelle diese Frage, weil ich das Gefühl habe, dass Sie als Innenpolitikerin der Linken in Sachsen-Anhalt sonst immer nur über Probleme reden: über die AfD, über die Neue Rechte mit dem Institut für Staatspolitik des Verlegers Götz Kubitschek in Schnellroda, über Antisemitismus-Skandale bei der Polizei. Ist die Lage in Sachsen-Anhalt im bundesweiten Vergleich am schlimmsten?

Es ist ja auch notwendig, über die Probleme zu reden. Es ist immer schwer zu sagen, wo die Lage am schlimmsten ist. Es sind aber auf jeden Fall Probleme, die hier wie in einem Brennglas verdichtet sind.

Wenn wir nun über die Ursachen dieser problematischen Situation sprechen, müssen wir in der Geschichte zurückblicken: Schon in der DDR gab es rassistische Übergriffe, nach der Wende kam es dann zu einer Explosion rechter Gewalt auf den Straßen. Im Rückblick ist von den sogenannten »Baseballschlägerjahren« die Rede. Was lief damals falsch?

Die DDR als antifaschistischer Staat war eine Behauptung, die im Alltag zu wenig echte Entsprechung fand. Rassismus war in der DDR nicht vorgesehen, also konnte auch nicht darüber geredet werden. Natürlich spielt das eine Rolle. Nach der Wende – bis heute - wurde zu wenig über Rassismus und Antisemitismus gesprochen, und wenn, dann immer nur als Problem gesellschaftlicher Ränder. Und: Die Pogrome der Nazis waren ja erfolgreich. Rassisten und Nazis haben von staatlicher Politik nicht zuletzt mit der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl Recht bekommen. Das hat sie bestärkt.

Es gab zur Wendezeit ein Machtvakuum. Der alte Staat war weg, der neue noch nicht ganz da. Es war eine Phase voller Möglichkeiten, aber auch Probleme. Der Rechtsextremismus grassierte. Lehrt der Blick auf diese Zeit, dass es ohne Staat und Polizei nicht geht?

In jedem Falle lehrt der Blick, dass das Handeln von Staat von Polizei entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung von Rechtsradikalen hat. In den 90ern wurden sie in ihrem Tun eher bestätigt als behindert.

Sie sind 1984 geboren. Sie waren ein Kind, als die Mauer fiel. In den 90er-Jahren kamen Sie dann ins Jugendalter, bereits im Jahr 2000 sind Sie mit nur 16 Jahren in die PDS eingetreten. Was hat Sie in dieser Zeit geprägt, was hat Sie politisiert?

Es gab im Jahr 1998 zwei Schlüsselmomente: zum einen der Beginn des Kosovo-Krieges, zum anderen der Einzug der DVU in den Landtag von Sachsen-Anhalt. Diese Momente machten mir Angst und gaben mir den Impuls, etwas dagegen zu tun.

Wie würden Sie die damalige Situation im Bereich Rechtsextremismus im Vergleich zur heutigen beschreiben? Was hat sich verändert, was ist gleich geblieben?

Nazis waren leichter erkennbar, rein optisch. Sie waren vor allem in Kameradschaften und der NPD organisiert. Heute sind Nazis anders organisiert, sehen anders aus, wählen andere Kommunikationsformen. Was gleich geblieben ist: Es ist nach wie vor ein Kampf für Betroffene rechter Gewalt, als solche anerkannt zu werden. Es ist ein Kampf, rassistische Taten als solche zu kennzeichnen und in Behörden für einen Perspektivwechsel zu sorgen.

Sie kämpfen stattdessen für eine antifaschistische Innenpolitik. Wie kann eine solche konkret aussehen?

Antifaschistische Innenpolitik braucht Haltung und konkrete Politik zugleich. Es geht darum, die Arbeit der Sicherheitsbehörden zu verbessern, an der Seite der Betroffenen zu stehen, Strafverfolgung und Entwaffnung von Nazis zu intensiven, Demokratie zu fördern.

Schauen wir nach Berlin: Dort hat der rot-rot-grüne Senat ein Landesantidiskriminierungsgesetz beschlossen, einen Bürger- und Polizeibeauftragten geschaffen und das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz hin zu mehr Bürgerrechten reformiert. Sind das Ansätze einer Antifa-Politik?

Das sind definitiv Ansätze, um eine antifaschistische Innenpolitik zu betreiben. Wir sehen aber auch, dass diese Gesetze und die Praxis auseinanderklaffen. Wichtig ist deshalb neben den Gesetzen die Kontrolle der Sicherheitsbehörden, die Aufarbeitung von Skandalen und rechten Netzwerken und auch eine Öffentlichkeit, die das einfordert.

Welcher weitergehenden Reformen stellen Sie sich im Bereich Polizei vor?

Um für mehr Sicherheit zu sorgen, ist es notwendig, auch darüber zu reden, was Polizei künftig nicht mehr machen sollte, wo sie keine Macht haben sollte. Drogenkonsum kann und sollte z.B. nicht in die Zuständigkeit von Polizei fallen, für hilflose Personen braucht es andere Instrumente als Polizeigewahrsam. Asyl und Migration sind vor allem soziale Themen, nicht innenpolitische.

Traditionell stehen Linke und Polizei in einem Spannungsverhältnis. Ist es notwendig, dieses Spannungsverhältnis aufzulösen, um antifaschistische Innenpolitik tatsächlich auch mit der Polizei umsetzen zu können?

Nein. Es ist notwendig, das Spannungsverhältnis selbstverständlich zu machen. Nicht nur Linke sollten in einem Spannungsverhältnis mit Sicherheitsbehörden stehen. Aus der besonderen Stellung der Polizei ergibt sich eine besondere Legitimationspflicht.

Die Linke will auch den Verfassungsschutz abschaffen und ihn durch eine Informations- und Dokumentationsstelle für Menschenrechte, Grundrechte und Demokratie ersetzen. Wie soll eine solche Behörde konkret aussehen, wie soll sie funktionieren?

Sie soll zivilgesellschaftlich sein, mit nachvollziehbaren Quellen arbeiten und zugänglich sein. Sie soll ausfinanziert sein und das tun, was Zivilgesellschaft bereits jetzt mit oftmals größerer Expertise als der Staat tut. Dokumentieren, was Nazis tun, und darüber aufklären. Diese nichtstaatlichen Stellen stehen mittlerweile unter einem enormen Rechtfertigungsdruck, gerade auch in Sachsen-Anhalt. Das ist ein Ergebnis konservativer Innenpolitik.

Diese Konzepte mögen interessant sein, doch wenn in Umfragen nach Parteienkompetenzen gefragt wird, dann schneidet die Linke beim Thema Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung stets schlecht ab. Kann die Partei ihre Konzepte nicht gut kommunizieren?

Wenn Konservative von einem »starken Staat« reden, dann meinen sie Law & Order und wollen davon ablenken, dass sie den Staat überall dort, wo dieser tatsächlich als stark erlebbar sein sollte – beispielsweise in den Bereichen soziale Absicherung, Bildung und Infrastruktur –, kontinuierlich schwächen. Und genau hier liegt doch auch die eigentliche Verunsicherung in der Gesellschaft. Das muss eine Linke auch so benennen. Und, dass das Sicherheitsversprechen der Konservativen nicht nur gefährlich ist, sondern auch leer. Weder Fußfessel noch Videoüberwachung machen irgendetwas sicherer, aber bauen Grundrechte ab. Den Kampf um einen konservativen Sicherheitsbegriff kann eine Linke nicht gewinnen. Sollte sie auch gar nicht wollen. Sondern darum kämpfen, dass Sicherheit nicht zur Bedrohung durch staatliche Übermacht wird, sondern alle Menschen gleichermaßen schützt. In der Kommunikation sollten wir als Linke uns bemühen, den Sicherheitsbegriff zu erweitern. Sicherheit als soziale Dimension und als strukturelle Planbarkeit des eigenen Lebens.

30 Jahre deutsche Einheit sind auch 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland. Welche Erfolge hat die Antifa im Osten errungen?

Die Erfolge – und das ist auch eine bittere Bilanz – liegen darin, Räume verteidigt zu haben. Es gibt punktuelle Erfolge im Zurückdrängen neonazistischer Organisierung durch konsequente antifaschistische Gegenwehr. Die gesellschaftliche Lage ist aber in keiner Weise besser geworden. Und dennoch gibt es Hoffnung, wenn junge Leute wie selbstverständlich Klimaschutz und Antifaschismus zusammendenken, wenn sich People of Color organisieren und ihre Rechte einfordern. Und, wenn sich an vielen Stellen - in Städten und im ländlichen Raum - etwas bewegt.

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