- Politik
- Nord Stream 2
Konfliktstoff aus der Pipeline
Beim Streit um Nord Stream 2 geht es um geopolitische Fragen
Wenn ein Gefängnis »Matrosenruhe« heißt, weckt das grauenhafte Assoziationen. Hier soll offenbar der Widerstand besonders harter Kerle gebrochen werden, oder es handelt sich um einen Ort, wo den Insassen die ewige Ruhe droht. Tatsächlich wird das Untersuchungsgefängnis Nr. 1 des Föderalen Strafvollzugsdienstes Russlands in Moskau von vielen Menschen so genannt, weil es sich in der Straße Matrosskaja tischina (»Matrosenruhe«) befindet. Über die Haftbedingungen kursieren schlimme Berichte. Was davon stimmt, lässt sich schwer überprüfen.
Prominentester Häftling ist derzeit der Oppositionspolitiker und selbst ernannte Antikorruptionsaktivist Alexej Nawalny. Er wurde nach seiner Rückkehr aus Deutschland in einem Eilverfahren zu 30 Tagen Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft begründete dies damit, dass Nawalny gegen Bewährungsauflagen verstoßen habe. Er hatte sich nach einem Giftanschlag in der Bundesrepublik aufgehalten und sich nicht bei der russischen Polizei gemeldet.
Die Frage, wie es mit Nawalny weitergeht, ist auch wichtig für die Beziehungen zwischen Russland und westlichen Staaten. Anfang der Woche hatten die EU-Außenminister über eine Verschärfung der Sanktionen gegen Moskau beraten. Die Bundesregierung will ihre Haltung laut Außenminister Heiko Maas nach dem nächsten Gerichtsverfahren gegen Nawalny bekannt geben. »Es wird sehr viel davon abhängen, wie dieses Gerichtsurteil ausfällt - ob er nach 30 Tagen wieder freikommt oder eben nicht«, sagte der Sozialdemokrat. Am Dienstag will ein Moskauer Gericht entscheiden, ob die Bewährungsstrafe in eine Haftstrafe umgewandelt wird.
Es ist absehbar, dass somit auch die Debatte um Nord Stream 2 angeheizt wird. Die Gegner der Pipeline meinen, dass der Fall Nawalny für ihre Zwecke hilfreich sein könnte. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner forderte kürzlich im »Spiegel« ein Moratorium für den Weiterbau. »Solange in Russland grundlegende Menschen- und Bürgerrechte verletzt werden, können wir nicht zur Tagesordnung übergehen«, sagte er mit Blick auf die Festnahmen bei Demonstrationen für Nawalnys Freilassung am Wochenende in Russland.
Die Grünen haben hingegen nicht die Illusion, dass man mit wirtschaftlichem Druck Einfluss auf die russische Politik nehmen könnte. Sie wollen Nord Stream 2 nach den Worten ihrer Vorsitzenden Annalena Baerbock komplett stoppen. Diese Haltung vertreten auch einige Politiker der Union, die ebenso wie viele Grüne in transatlantische Netzwerke eingebunden sind, zum Beispiel Norbert Röttgen. Der CDU-Außenpolitiker ist stellvertretender Vorsitzender der Atlantik-Brücke. Der Verein verfolgt das Ziel, eine wirtschafts-, finanz-, bildungs- und militärpolitische Brücke zwischen den USA und Deutschland zu schlagen.
Die Haltung der Vereinigten Staaten zu Nord Stream 2, ob nun unter dem Präsidenten Donald Trump oder Joe Biden, ist eindeutig. Sie haben Sanktionen verhängt beziehungsweise angedroht. Die Pipeline soll aus ihrer Sicht nicht fertiggestellt werden und die Bundesrepublik lieber auf das Fracking-Gas der USA setzen.
Bei dem Konflikt um Nord Stream 2 geht es aber um mehr als nur die Frage, ob die Bundesrepublik auf Kosten von Russland enger mit den Vereinigten Staaten kooperiert oder nicht. Bei einer Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung am Donnerstag hatte Annalena Baerbock erklärt, dass eine gemeinsame EU-Außenpolitik nicht möglich sei, solange die Bundesregierung an dem Pipeline-Projekt festhalte. Das hat ihr nämlich viel Kritik aus osteuropäischen Ländern eingebracht, auch weil diese als Transitländer durch die neue Pipeline, die unter der Ostsee gebaut wird, umgangen werden und Transitgebühren verlieren.
Hinzu kommt, dass die Spannungen in der Region seit dem Krieg in der Ukraine zugenommen haben. Insbesondere die baltischen Staaten und Polen fordern ein härteres Vorgehen gegen Russland. Deutschland hat zu diesem Zweck Militär ins Baltikum entsandt, um seine Verbündeten vor der angeblich drohenden Aggression von Russland zu schützen. In Warschau und Riga will man aber mehr, nämlich Maßnahmen, welche den Nachbarn im Osten wirtschaftlich hart treffen. Unterstützung erhalten die Osteuropäer vom EU-Parlament, das vor wenigen Tagen in einer Entschließung mehrheitlich einen Baustopp für Nord Stream 2 forderte.
Allerdings wäre das endgültige Scheitern der Pipeline auch für Teile des deutschen Kapitals von erheblichem Nachteil. An dem Projekt sind hiesige Firmen wie der Gas- und Ölproduzent Wintershall Dea beteiligt. Das ist ein wichtiger Grund, warum die Große Koalition in Berlin und die rot-schwarze Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns darauf drängen, dass Nord Stream 2 fertig gebaut wird. Wenn nach der Bundestagswahl im Herbst die Grünen anstelle der SPD mit der Union regieren sollten, dürften auch innerhalb der Bundesregierung die Auseinandersetzungen um Nord Stream 2 zunehmen.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!