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Theater zwischen Eiszeit und Kommune

Ein Band über verbotene und vergessene Stücke in der DDR

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer noch zu Zeiten der Intendanz von Claus Peymann das Programm des Berliner Ensembles verfolgte, stieß auf eine Reihe mit dem Titel »Verbotene und vergessene Theaterstücke der DDR«. Der Regisseur Manfred Karge und der Dramaturg Hermann Wündrich stellten vor, was sie in der dramatischen Literatur des Sozialismus unter diesem Aspekt aufgefunden hatten. Dargeboten wurde das neben einer Einführung als szenische Lesung von Schauspielern des Ensembles. 44 Veranstaltungen wurden es schließlich, die nun mit dem Buch »Erstürmt die Höhen der Kultur! Umkämpftes Theater in der DDR« im Ventil-Verlag dokumentiert sind. Der Rückblick auf kontroverse Stücke und Autoren entwirft zugleich ein Bild der DDR mit ihren Widersprüchen und Konflikten.

In Erinnerung blieben Abende wie der mit Bertolt Brechts »Die Tage der Commune«, nicht zuletzt aufgrund der großen Personnage und den entsprechend zahlreichen Schauspielern. Die Pariser Kommune war eines der wichtigsten Ereignisse der politischen Moderne, das nicht nur Marx euphorisierte, sondern sogar noch Lenin zum Tanzen brachte (an jenem Tag, als die Bolschewiki sich länger halten konnten als die Pariser Kommunarden, so besagt es die Anekdote). Brechts Stück über die Geschehnisse von 1871 gehört nun nicht zu den verbotenen, sondern zu den vergessenen. Dementsprechend wäre es sehr zu wünschen, dass sich doch wenigstens zum 150. Jahrestag der Kommune irgendein Theater für den Text erwärmen könnte (und falls es für den Förderantrag oder das Programmheft noch »Aktualitätsbezug« als Zutat braucht, könnte man immerhin in Erwägung ziehen, dass auch dieser Tage nach einem großen Kladderadatsch des Imperialismus eine Situation entstehen könnte, in der die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen). Brecht wollte mit »Die Tage der Commune« das ihm überlassene Theater am Schiffbauerdamm eröffnen - möglicherweise nicht nur als Mahnung vor äußeren Feinden, sondern auch davor, dass wer die Revolution nur halb macht, sein eigenes Grab schaufelt. Von dem Vorhaben nahm er aber Abstand, zu gewagt schien es in den jungen Jahren der sozialistischen Republik. Erst 1962, nachdem man sich stabilisiert und die Mauer errichtet hatte, wurde das Stück am Berliner Ensemble aufgeführt.

Nun gehört es zum Wesen einer solch losen Sammlung von Ereignissen, Stücken und Autoren, dass Dinge zusammenkommen, die sonst teils kaum Berührungspunkte hatten. Allein schon geschichtlich: es beginnt bei Heinar Kipphardt, der die DDR Ende der 50er Jahre verließ, und endet mit Ronald M. Schernikau, der erst Ende der 80er richtig in ihr ankam. Dazwischen finden sich Lothar Trolle, Volker Braun und Franz Fühmann. Dann Christoph Hein mit »Die wahre Geschichte des Ah Q« neben Heiner Müllers »Weiberkomödie« und »Die Schlacht«. Hartmut Langes »Marski«, ein großartiges Stück über die Dialektik von Freundschaft in der Klassengesellschaft, neben Paul Gratziks »Handbetrieb«. Peter Hacks ist mit »Der Müller von Sanssouci« und »Barby« vertreten, Rudi Strahl mit »Flüsterparty«. Irina Liebmanns »Berliner Kindl« ist dabei, ebenso Georg Seidels »Königskinder« und Alfred Matusches »Kap der Unruhe«. Mit Friedrich Wolf, Hanns Eisler und Berta Waterstradt zudem ein paar gestandene Kommunisten der älteren Generation. Und auch der einstige Theaterkritiker des »Neuen Deutschland«, Rainer Kerndl, ist mit einem Stück vertreten. Um nur einige zu nennen.

Die Einführung zu Werk und Autor ist meist auf wenige Seiten beschränkt, Fotos und Dokumente bieten weitere Einblicke - wie auch ausführliche Interviews im Anhang. Manche der porträtierten Werke wurden nie aufgeführt, andere wurden erst Jahre nach der Entstehung gespielt, wieder anderen blieb eine große Wirkung verwehrt. Leider wurden keine Auszüge aus den Stücken beigestellt. Doch es sind dann selbst ohne diese über 300 Seiten geworden, auf denen anhand der umstrittenen Bühnenliteratur auf kursorische Weise eine Theatergeschichte der DDR erzählt wird - ausgehend von Texten, nicht von Inszenierungen (das wäre wieder eine andere Geschichte). In den Konflikten verdichtet sich gesellschaftliche Erfahrung.

Wie nebenher entsteht aus den vielen Einzelstücken ein grober Abriss der DDR-Kulturpolitik. In den frühen Jahren wurden die Konflikte meist groß und eher öffentlich ausgetragen, die Teilnehmer zeigten sich schwer munitioniert mit Theorie von Shdanow, Brecht, Lukács und anderen. Kipphardt, der dann in der BRD von niemand geringerem als von dem späteren Vorzeigesozi Günter Grass denunziatorisch erledigt wurde, stand noch im Mittelpunkt eines solchen Kampfs, ebenfalls Eisler mit seinem »Johann Faustus« oder Heiner Müller 1961 mit »Die Umsiedlerin«. In späteren Jahren hingegen dominierte die sanfte Macht der Bürokratie, die von sich aus zur Entpolitisierung von Konflikten neigt, was wiederum Feigheit und Opportunismus begünstigt, was dann wiederum für ein sozialistisches Gemeinwesen auch ungünstige Folgen haben kann.

Dass - wie im Buch ein mehrseitiger Stasi-Bericht dokumentiert - sich jemand wie Peter Hacks Ende der 1980er Jahre dafür einsetzte, eine offizielle Zensurstelle zu schaffen, reagierte auf den Missstand, dass die Autoren zwar über die Ablehnung ihrer Werke in Kenntnis gesetzt wurden, nicht mehr jedoch über die Gründe. Und als es 1987 zu einem Treffen für ein geplantes Theater der Autoren kam, saßen neben Hacks mit Helmut Baierl, Werner Buhss, Hein, Liebmann, Müller und Trolle durchaus ästhetisch und politisch gegensätzliche Kräfte an einem Tisch. Aus der Idee wurde nichts, das sei ein Vorgriff aufs nächste Jahrhundert, lautete die Einschätzung eines Beteiligten. Doch lässt das 21. Jahrhundert auch in der Hinsicht auf sich warten - und ob sich heute überhaupt Autoren noch fürs Theater als literarische Kunstform interessieren, und das betrifft leider teils auch jene, die für es schreiben, ist mehr als fraglich. »Unter der Medien schweigen die Musen«, spottet Hacks einst, der die Kunst im Spätkapitalismus auf dem Wege zur »Mixed-Media-Schlamperei« sah. Unrecht hatte er nicht.

Das Bewusstsein für Widersprüche, die sich auf dem Weg aus der Vorgeschichte in die klassenlose Gesellschaft auftaten, war geschärft, das schlug sich auch in der auf Konflikte fokussierten Dramatik nieder. »Erstürmt die Höhen der Kultur!« demonstriert jedenfalls, auch das eher nebenher, welch hochentwickelte Theaterkultur die DDR hatte, welch einen Fundus an dramatischer Literatur.

Manfred Karge und Hermann Wündrich: Erstürmt die Höhen der Kultur! Umkämpftes Theater in der DDR. Ventil-Verlag, 328 S., br., 30 €.

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