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Wie ticken die Bauern?

Uta Ruge beschreibt das Leben auf dem Land

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 5 Min.

Auf beinahe der Hälfte deutschen Bodens wird Landwirtschaft betrieben. Kaum jemand wohnt weiter als einige Kilometer von Feldern und Äckern entfernt. Und doch trennt ein tiefer Graben diejenigen, die Getreide anbauen, Kühe melken und Vieh mästen von jenen, die landwirtschaftliche Erzeugnisse als ansprechend verpackte Produkte erwerben. Um dieses oft schwierige Verhältnis geht es Uta Ruge in ihrem Buch »Bauern, Land«. Sie gehört beiden Gruppen an. Die Journalistin und Übersetzerin hat lange in London gearbeitet, seit vielen Jahren wohnt sie in Berlin. Zuvor aber war sie ein Bauernkind. Ruge ist Angehörige jener Generationen, die in der alten Bundesrepublik den sozialen Aufstieg schafften, von der Dorfschule aufs Gymnasium, an die Universität, von dort in die bildungsbürgerlichen Institutionen. Sie hat für Verlage, Zeitungen und Radiosender gearbeitet.

Man könnte sagen, sie hat es vom Dorf in die Welt geschafft, was allerdings den Graben nur vertiefen würde, denn das Dorf war immer schon Teil der Welt und nie so weit von ihr entfernt, wie man abschätzig oder romantisierend denken könnte. Ob oder wie arm der Bauer auf seiner Scholle war, hing schon im 19. Jahrhundert genauso von den Wetterverhältnissen vor Ort wie denen in Russland oder den USA ab. »Die Geschichte meines Dorfes im Weltzusammenhang«, heißt das Buch denn auch im Untertitel. Ruge beleuchtet Gegenwart und Historie des niedersächsischen Dorfs, in dem sich ihre Familie nach dem Zweiten Weltkrieg niederließ.

Es ist ein Vermittlungsversuch zwischen den Städtern, zu denen auch sie gehört, und dem Landkind, das sie nie aufhörte zu sein. Das Konfliktpotenzial zwischen beiden Lagern kommt immer wieder in launigen Bemerkungen ihres Bruders zum Tragen, der den Hof von den Eltern übernahm. Beispiel für ein Reizthema wäre die Frage danach, wie man es mit dem Wolf hält. Aus der Ferne der Städte ist die Verbreitung der Rudel ein gutes Zeichen. Da kehrt eine verloren gedachte Art zurück, zumal eine, die bislang immer das Böse, Unheimliche verkörperte. Den Wolf willkommen zu heißen, seine steigenden Bestände zu begrüßen, darf man geradezu als Buße für früher begangenes Unrecht verstehen, womit sich ein Überlegenheitsgefühl verbindet, auch gegenüber jenen, die sich dort auf dem Land irrational und unverbesserlich gegen dieses Geschenk der Natur zur Wehr setzen. Allerdings muss der Städter auch nicht den Anblick gerissener Schafe ertragen, er braucht sich nicht mit gestressten Kühen beschäftigen, die ihre Kälber nach einem Angriff zu früh oder tot zur Welt bringen und er muss auch die Furcht nicht verstehen, die Eltern kleiner Kinder umtreibt. Ruge protokolliert diese und andere Klagen, die so gar nicht in das Idealbild des Landlebens passen, das, so die Ansicht der Dörfler, vor allem Naturschützer aus der Stadt gerne vor sich hertragen.

»Bauern, Land« will nicht anklagen, wohl aber aufklären, das Buch richtet sich an das Milieu jener, die nichts vom Land verstehen und will ihnen dieses Nichtwissen zunächst vor Augen führen, um ihnen sodann einen Zugang zu vermitteln. Diese Stärke des Vorhabens ist an einigen Passagen aber auch seine Schwäche. Etwas didaktisch geraten Ruges Recherchevorhaben über die Kulturgeschichte der Bauern. Immer, so scheint es, waren sie die Entrechteten oder zumindest die Missverstandenen. Das soll auch für die Zeit des sogenannten Dritten Reichs gelten. Ruge informiert aufschlussreich über das Bauernbild im Nationalsozialismus, drückt sich aber davor, die Frage zu beantworten, warum viele Bauern selbst die Nazis wählten. Pflichtschuldig notiert sie: »Die wirtschaftliche Lage der meisten norddeutschen Bauern hatte sich nach den Jahren der Inflation nicht verbessert. Wer ihnen versprach, ihnen ihre Schulden zu erlassen, dem glaubten sie gern.« Später seien sie Leidtragende der inkompetenten Politik des »Reichsbauernführers« Walther Darré geworden. Von der Ideologie hätten sie ohnehin nichts wissen wollen und »den rabiaten Antisemitismus ignorierten sie, solange sie konnten, und arbeiteten weiter mit jüdischen Viehhändlern, die wenigstens bar bezahlten«. Man hat hier den Eindruck, als wollte die Autorin ihre Bauern unter Artenschutz stellen, für eine Apologetik müsste sie aber Quellen vorweisen und diese ergebnisoffen befragen.

Eindrücklicher ist das Buch hingegen, wenn Ruge die Veränderung des sozialen Lebens auf dem Land schildert. So war bis in die Nachkriegszeit die Nachbarschaftshilfe unter den Bauern noch erste Bürgerpflicht, auch wenn der Bauer von nebenan mit der eigenen Frau schlief, half man ihm mit der kalbenden Kuh oder dem kaputten Trecker. Nur wenige Jahre und einige Fernseherkäufe später scheint die Vereinzelung selbst in diesem Milieu ganze Arbeit geleistet zu haben. Ihr fiel auch der Inbitter zum Opfer, ein Mann, der im Auftrag der Brautleute und Hinterbliebenen die Höfe abklapperte und zu Beerdigungen und Eheschließungen einlud. Zum Dank erhielt er an jeder Tür einen Schnaps, was seinen Job wohl zu einem der härtesten machte.

Ruge verbindet solche Anekdoten, persönliche Erzählungen der Dorfbewohner und ihre Recherchen souverän. Mit Gewinn lässt sich »Bauern, Land« damit als soziologische Studie lesen, die gesellschaftliche Entwicklung in einem Raum nachzeichnet, der nahe liegt, über den aber dennoch viel Unwissen und Missverstandenes kursiert, und den zu entdecken und neu zu entdecken lohnt.

Uta Ruge: Bauern, Land. Die Geschichte meines Dorfes im Weltzusammenhang, Verlag Antje Kunstmann, 480 S., geb., 28 €.

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