Weltmann von Geist
Vor 150 Jahren starb der Schriftsteller und Gartengestalter Hermann Pückler-Muskau
Es schien, als sei alles umsonst gewesen. Schier erdrückt von einer gigantischen Schuldenlast, hatte sich Fürst Hermann Pückler zum Schein und auf ihren Vorschlag von seiner Frau Lucy scheiden lassen und war im September 1826 mit eigener Dienerschaft und üppiger Garderobe nach England aufgebrochen, um eine millionenschwere Frau zu suchen, die ihn von allen finanziellen Sorgen befreien würde. Zwei Jahre war der 1785 geborene Exzentriker, Dandy, Genießer, Freigeist und geniale Gartengestalter geblieben, war sogar von König George IV. empfangen worden, hatte nebenbei ausgiebig die englische Gartenkunst studiert und die Meinungsfreiheit auf der Insel bewundert, in den Salons für Aufsehen und Klatsch gesorgt und schließlich auch eine neue Geliebte gefunden - nicht die reiche Britin, die sein Schloss Muskau retten konnte, sondern eine Preußin vom Rhein, die anmutige und berühmte Sängerin Henriette Sontag (der er später im Park von Branitz, umrahmt von Rosen, eine Porträtplastik setzte); aber auch aus dieser Liebe ist nichts geworden. Der Fürst stand, als er im Februar 1829 zurückkehrte, mit leeren Händen da. Und einem Schuldenberg, der durch seine enormen Ausgaben bei der Brautschau beträchtlich gewachsen war.
Er hatte Glück. Zu Hause, im Schloss Muskau, waren die Briefe, die er unterwegs schrieb, auf helle Begeisterung gestoßen, und immer, wenn Karl August Varnhagen mit Rahel, seiner Frau, zu Besuch war, las Lucie, Pücklers »Schnucke«, vor, was der Reisende ihr von seinen Unternehmungen berichtet hatte. Die Briefe waren farbig und lang, amüsant, spöttisch und frech, und die entzückte Runde war sich bald einig: Das musste gedruckt werden. Varnhagen machte sich umgehend an die Arbeit, redigierte ein wenig und kürzte, den Rest besorgte Lucie, die noch alles irgendwie Anstößige eliminierte. Pückler fand ein beinahe fertiges Manuskript vor. Anfang 1830 erschien das Werk, aufgeteilt in zwei Bände, unter dem Titel »Briefe eines Verstorbenen« anonym in München.
Nun zahlte sich die England-Reise, o Wunder, doch noch aus. Plötzlich war der Fürst ein berühmter Schriftsteller. Die Leute rissen sich ums Buch, das ihnen unerwartete Einblicke ins Treiben der Aristokratie bot, die Zeitungen veröffentlichten ausführliche Berichte, und die erste Auflage war im Handumdrehen vergriffen. Natürlich wusste man gleich, wer dieser »Verstorbene« war, der mit Lust, Esprit und einiger Bosheit die Arroganz der britischen Oberschicht vorführte, literarisch inspiriert von Heinrich Heine, dessen gerade erschienene »Reisebilder« seine Lieblingslektüre waren, und wer genau hinsah, merkte rasch, dass es beileibe keine englische Besonderheit war, die der Fürst hier glossierte. Auch der alte Goethe, dem Pückler in Weimar alles über seinen Park in Muskau erzählen musste, fand Gefallen an den amüsanten Schilderungen und applaudierte hörbar. Der Schreibende, rühmte er, sei ein »Weltmann von Geist und lebhafter Auffassung«, umsichtig in Literatur und Kunst, und sein Buch ein »für Deutschlands Literatur bedeutendes Werk«. Börne indes, der sich nicht einmal die Mühe machte, die Biefe zu Ende zu lesen, meinte spöttisch: »Der Verfasser soll ein Fürst sein; das ist schön … Er soll kein Geld haben. Noch schöner, er sei uns herzlich willkommen! Das ist der wahre Stempel des Genies.« Ganz anders äußerte sich später Heinrich Heine. Pückler hatte sich für ihn energisch bei Cousin und Bankhauschef Carl Heine in Hamburg eingesetzt, weil der den gelähmten Kranken, den bedeutendsten Spross der Familie, in seiner Not allein ließ. Einer der »letzten Ritter der alten Geburtsaristokratie«, schrieb Heine 1846 an Lassalle, habe den »Emporkömmlingen der neuen Weltaristokratie« eine Lektion erteilt. »Welch ein Grandseigneur«, meinte er und widmete seinem mehrmaligen Helfer in der Not zum Dank die »Lutetia«, die Sammlung seiner Berichte aus Paris.
Trotz aller Schmähungen und Skandale, der unendlich vielen Liebschaften und Provokationen, trotz seiner Selbstinszenierung und der acht Duelle: Pückler war ein Jahrhundertkerl, ein Mann von höchstem Adel mit bemerkenswert republikanischer Gesinnung, den Aristokraten, wie er selber sagte, zu liberal, den Liberalen zu aristokratisch, für andere ein halber Revolutionär, ein Starautor mit horrenden Auflagen, den man auch in England und Amerika mit Vergnügen las, ein Abenteurer, der Anfang 1835 zu seinem spektakulärsten Unternehmen aufbrach, einer Mittelmeerfahrt über Algier, Tunis, Athen, Theben und Kreta nach Kairo und von dort zu Pferd durch halb Afrika. Er sah Reichtum und Elend, kaufte auf dem Sklavenmarkt in Kairo Machbuba, eine junge Abessinierin, die seine Geliebte wurde, die er unterrichtete und mit nach Muskau nahm (wo sie Wochen nach der Ankunft starb und begraben wurde). Er sah Giseh und die Sphinx, die Nilkatarakte, Assuan und den Tempel von Luxor. Er tafelte mit Herrschern, ging auf die Jagd, ritt durch die Wüste, kam bis nach Khartum, fasziniert von den gewaltigen, unberührten Landschaften, unbeeindruckt von Strapazen, Gefahren, Stürmen, Fieber und Krankheiten. In drei Bänden hat Pückler nach seiner Rückkehr 1840 von der Reise erzählt, und auch dieser Bericht wurde 1845 ein Bestseller. Preußens Leser staunten. Sie fanden in den Schilderungen ein Afrika, in dem es gar nicht primitiv und verwegen zuging, wie sie dachten, in dem Respekt und Gastfreundschaft herrschten und die Völkerschaften ohne Vorurteile und Hass miteinander auskamen. Und im Islam entdeckte Pückler, der nur manchmal übertrieben hat, ein »wunderbares Gemisch von Tugenden und Laster, von unerschütterlicher Willenskraft, tiefem politischen Sinn und maßlosem Ehrgeiz, der die Instinkte und Leidenschaften der Massen in Bewegung setzt«.
Vom Ruhm des Schriftstellers ist wenig geblieben. Vergessen all die mehrbändigen Werke, die einmal große Erfolge waren (von den »Briefen eines Verstorbenen« abgesehen), auch die »Andeutungen über Landschaftsgärtnerei« von 1834, das einzige Buch, das unter seinem Namen erschien. Viele halten Pückler für den Erfinder einer Eiskreation (die man freilich nicht ihm, sondern seinem Koch verdankt). Geblieben ist Branitz und das Gartenkunstwerk, das er dort schuf, nachdem er das überschuldete Anwesen in Muskau verkauft hatte. Der Fürst war nun 60 und fand eine Aufgabe, die all seine Kraft und Fantasie erforderte. Branitz war ein väterliches Erbstück, das er, der Weltreisende, vorher nie gesehen hatte, ein baufälliges Schloss mit defektem Dach inmitten einer trostlosen Ödnis. Pückler nahm sich vor, aus dem Anwesen in der »elenden Kottbuser Gegend« ein Paradies zu machen, eine »großartige Dichtung«, wie Varnhagens Nichte Ludmilla Assing 1874 sagte, »mit smaragdenen Lettern in den Sand der Lausitz geschrieben«. Er gab die Schriftstellerei auf, nur das Reisen nicht, holte den Baumeister Gottfried Semper zu Hilfe und nahm nun wieder, wie schon in Muskau, Axt und Spaten in die Hand, entwarf Wege, Seen mit kleinen Inseln und romantische Wasserläufe, besorgte Humus, ließ große Bäume und Baumgruppen pflanzen und künstliche Hügel schaffen, um der platten Landschaft die Eintönigkeit zu nehmen, kaufte Land dazu und wurde der wichtigste Arbeitgeber des Landstrichs. Es dauerte Jahre, bis die Umrisse seiner Schöpfung zu sehen waren, dann kamen die ersten Besucher, immer wieder Alexander von Humboldt, Mitglieder der Königsfamilie, einmal sogar Wilhelm IV., allesamt Bewunderer dieser wie von Zauberhand geschaffenen Oase. Das vollendete Werk, sein Meisterstück, das heute zu den viel besuchten nationalen Kulturdenkmälern gehört, hat Pückler nicht mehr erlebt. Er starb am 4. Februar 1871; er wurde 85. Man hat ihn auf eigenen Wunsch in Branitz, im Tumulus seiner Seepyramide, bestattet.
»Am Ende«, schreibt sein Biograf Heinz Ohff, »ist von ihm mehr geblieben, als von den vielen Staatsmännern, Verwaltungsreformern, Diplomaten, Generälen und Volkshelden, auf die Preußen im Lauf seiner Geschichte so stolz gewesen ist, auf die Prinzipienverfechter, die es aufgebaut und dann verloren haben.«
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