Zur Vernunft gezwungen
Weil der Profifußball durch Corona Milliardenverluste hinnehmen musste, ändert sich das Transferverhalten
Kaum Millionentransfers, Leihen als neues Kaufen und generell wenig Fluktuation - die Coronakrise zwingt die Fußballklubs zu einer neuen Vernunft. Der Wintertransfermarkt hat mit seinem Ende am Montag einen riesigen Einbruch erlebt - das schier endlose Wachstum endete mit einer Vollbremsung. Nicht nur in Deutschland, auch in der vermeintlichen Goldgrube Premier League und den anderen internationalen Topligen war angesichts leerer Kassen neue Kreativität gefragt.
»Der Fußball und der Sport sind nachhaltig finanziell geschädigt worden«, erklärte Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Die Krise habe alle Vereine schwer getroffen, »egal ob sie Freiburg, Bielefeld oder Bayern München heißen. Alle ächzen unter den finanziellen Problemen, die der Fußball in dieser Qualität noch nie erlebt hat.« Verlief die Wechselperiode im Sommer noch einigermaßen normal, sind die finanziellen Reserven vieler Vereine nun aufgebraucht. »Es ist sehr wenig Geld im Umlauf, das spürt man auch«, sagte Eintracht Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic. Generell sei deshalb »wenig passiert«.
Markteinbruch um mehr als zwei Drittel
Dies lässt sich zahlenmäßig eindrucksvoll untermauern. Kratzten die besten fünf Ligen Europas im letzten Winter mit ihren Transferausgaben noch fast an der Milliardengrenze, sind die Investitionen in neue Spieler nun auf 270 Millionen Euro gesunken. Keine der Eliteligen in Deutschland, England, Spanien, Italien und Frankreich gab auch nur halb so viel Geld aus wie im Vorjahr. Und mit Said Benrahma ist ein eher Unbekannter mit einer Ablösesumme von 23 Millionen Euro der teuerste Spieler des Winters. Der 25-jährige Algerier zog es vom englischen Zweitligisten Brentford in die Premier League zu West Ham United. Im Vorjahr wechselten acht Spieler für teilweise deutlich mehr Geld im Winter. Königstransfer war damals Bruno Fernandes, der für 55 Millionen Euro von Sporting Lissabon zu Manchester United kam.
Verwunderlich ist diese Entwicklung nicht. Das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte schätzt, dass allein die 20 bestverdienenden Fußballvereine der Welt durch die Coronafolgen zwei Milliarden Euro verloren haben. Gerne ablösefrei oder per Leihe lautete deshalb das Motto: In England nahmen überhaupt nur sieben Erstligaklubs Geld für fixe Transfers in die Hand, in der Bundesliga sogar nur vier. Stattdessen waren in der Premier League 35 der 46 und in Deutschlands Eliteklasse 17 von 28 getätigten Transfers Leihgeschäfte. Solche Deals seien für abgebende Vereine ein beliebtes Mittel, »um Budget zu sparen«, erklärte Bobic und für die abnehmenden eben eine günstige Variante der Kaderaufbesserung.
Komplizierte Leihgeschäfte
Und dennoch halbierte sich die Zahl der Wintertransfers fast überall. Dies liege vor allem an der Spielerseite, glaubt Sven Mislintat. »Es ist unheimlich schwierig für Spieler, die gutes Geld verdienen und zum Beispiel bei großen englischen Klubs kaum spielen, diese Gehälter woanders noch zu finden«, erklärte der Sportdirektor des VfB Stuttgart. Das mache auch Leihdeals kompliziert. »Wir haben eine klare Rezession auf dem Markt. Und der müssen wir uns stellen«, betonte der 48-Jährige. Denn schließlich dürfte die Coronakrise die Vereine und vor allem ihre Finanzen auch noch im anstehenden Sommertransferfenster im Griff haben.SID/nd
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