- Wirtschaft und Umwelt
- Soziale Ungleichheit
Arme erben meist gar nichts
Erbschaftswelle verschärft laut einer Studie die Ungleichheit
Zehn Prozent aller Erwachsenen in Deutschland haben in den vergangen 15 Jahren geerbt oder eine größere Schenkung erhalten. Die durchschnittliche Höhe dieser Erbschaften beläuft sich auf etwas mehr als 85 000 Euro pro Person, die der Schenkungen auf 89 000 Euro. Das sind jeweils rund 20 Prozent mehr als im Jahr 2001. Die Zahlen gehen aus einer gemeinsamen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der Universität Vechta und des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA) hervor. Die am Mittwoch veröffentlichte Studie kommt zudem zum Ergebnis, dass Erbschaften die Vermögenden in Deutschland noch reicher machen. Denn diese erben laut der Studie am häufigsten und zugleich die höchsten Beträge. Nach Angaben des DIW geht fast die Hälfte des Erbschafts- und Schenkungsvolumens an die reichsten zehn Prozent der Begünstigten. Die anderen 90 Prozent teilen sich die verbleibende Hälfte.
«Zwar sinkt mit Erbschaften die relative Ungleichheit. Das ist wenig verwunderlich, denn wenn eine Person stirbt, überträgt sie ihr Vermögen oft auf mehrere Erben, wodurch es auf mehrere Personen umverteilt wird», erklärt Studienautor Markus M. Grabka die Ergebnisse. «Doch gleichzeitig wird der Abstand beim Vermögen zwischen denen, die erben, und denen, die leer ausgehen, immer größer», so Grabka. Wenn das individuelle Nettovermögen der beiden Gruppen verglichen wird, beträgt die Differenz im Jahr 2017 rund 142 000 Euro. Dieser Betrag ist weitaus höher als der durchschnittliche Zuwachs durch Erbschaft, der bei rund 85 000 Euro liegt. Laut DIW liegt das daran, dass vor allem diejenigen von Erbschaften und Schenkungen profitieren, die bereits vorher über hohes Vermögen oder Einkommen verfügen. Die familiäre Herkunft spielt demnach eine wichtige Rolle, auch deshalb, weil laut Studienergebnissen «die eigene soziale Stellung neben Bildung, Einkommen und Vermögen auch über intergenerationale Transfers an die nachfolgende Generation übertragen werden kann».
Ob jemand überhaupt erbt und wie viel, hängt laut der Studie jedoch nicht nur vom Einkommen und Vermögen ab, sondern auch von der regionalen Herkunft. Die Studienautoren kommen zu dem Schluss, dass Menschen in den ostdeutschen Bundesländern seltener Erbschaften und Schenkungen erhalten als Westdeutsche. Außerdem sind die erhaltenen Summen deutlich kleiner. So beträgt etwa die durchschnittliche Erbschaft im Zeitraum von 2002 bis 2017 im Osten Deutschlands rund 52 000 Euro, im Westen erbten Menschen hingegen durchschnittlich 92 000 Euro.
«Die schon lange angekündigte Erbschaftswelle ist ins Rollen gekommen und verschärft die Vermögensdifferenzen zwischen Begünstigten und Nichtbegünstigten, wenn vor allem diejenigen erben, die schon viel haben», fasst Claudia Vogel vom DZA die Ergebnisse zusammen. Die Studienautoren schlagen daher eine Steuerreform vor: «Die Politik sollte dem entgegensteuern, indem sie beispielsweise verhindert, dass das Vererben großer Vermögen mit der Zehnjahresfrist zeitlich gesplittet wird», so Vogel. Die derzeit geltende Zehnjahresfrist erlaubt es, große Summen in zeitlichen Abständen steuerfrei zu verschenken. Würde diese Frist abgeschafft und große Erbschaften damit effektiver besteuert werden, ergäbe sich daraus Spielraum, Freibeträge für nicht oder entfernt verwandte Personen anzuheben, ergänzt Grabka. «Dies würde nicht nur der neuen Vielfalt der Familienformen entsprechen, sondern auch zusätzlich die soziale Ungleichheit reduzieren, resümiert Grabka.
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