Pandemie und Transformation

Ist die Zero-Covid-Kampagne »unrealistisch«? Nein, meint Tomasz Konicz - solange man den Spätkapitalismus nicht als Naturzustand betrachtet.

  • Tomasz Konicz
  • Lesedauer: 3 Min.

Die progressive Initiative Zero Covid scheint mit ihrer Kampagne eine Selbstverständlichkeit zu propagieren: Mittels eines umfassenden solidarischen Shutdowns, der auch die Wirtschaft umfassen müsste, soll die Zahl der Neuansteckungen möglichst rasch unter Kontrolle gebracht werden. Der Lockdown solle dabei um eine starke soziale Komponente erweitert sowie auf europäischer Ebene koordiniert werden. Mit der Pandemiebekämpfung verhält es sich tatsächlich so ähnlich wie mit dem Klimawandel. Aus der Krise ergeben sich objektive Notwendigkeiten, wie ihr zu begegnen wäre: durch eine Reduzierung der gesellschaftlichen Kontakte auf das absolut Notwendige, oder eben durch die Reduzierung der Emissionen von Treibhausgasen. Alles andere ist ideologische Augenwischerei. Und dennoch gehört es zu den beliebtesten Kritikpunkten, den Machern der Kampagne vorzuwerfen, nicht realistisch zu sein.

Das Realitätsverständnis, von dem in solchen Fällen die Rede ist, ist aber selber von Ideologie durchtränkt. Es beschreibt nicht die Pandemie in ihrem Verlauf als den objektiven Krisenprozess, zu dessen Bekämpfung die Gesellschaft eine Anpassungsleistung vollbringen müsste, sondern hier wird dieses Verhältnis auf den Kopf gestellt: Der Spätkapitalismus wird zu einer unabänderlichen, quasi natürlichen »Realität« verdinglicht, an die es sich bei der Pandemiebekämpfung anzupassen gelte. Dieser Taschenspielertrick, implizit den Kapitalismus zur objektiven »Natur« zu erklären, hat durchaus seine ideologische Logik: Damit werden bei der Krisenbekämpfung alle Maßnahmen als realitätsfremd verworfen, die an den herrschenden Verhältnissen ernsthaft rühren würden.

Das Problem bei der Pandemiebekämpfung besteht nur darin, dass effektive, nachhaltige Maßnahmen und Strategien letztendlich nur im Rahmen einer Systemtransformation gangbar sind. Das Kapital als sich selbst verwertender Wert kann seinen Wachstumszwang, an dem die gesamten spätkapitalistischen Gesellschaften in Form von Löhnen und Steuern hängen, nicht abstreifen. Die bisherigen Lockdown-Maßnahmen haben in der Peripherie Hunderte Millionen Menschen in existenzgefährdende Armut getrieben, sie lassen in den Zentren die Armut anschwellen und sie führen zu einer gigantischen Geldschwemme samt abermaliger Schuldenexplosion. Die gesellschaftliche »Realität« muss folglich grundlegend angepasst, der Wachstumszwang des Kapitals muss in Geschichte überführt werden, um den kommenden Krisen ohne Zivilisationsbruch begegnen zu können. Die Pandemie bildet ja nur einen Vorgeschmack auf die sozialen Erschütterungen, die der Klimawandel auslösen wird.

Deswegen müssten Initiativen wie Zero Covid ihre konkreten Vorschläge als Teil des unausweichlichen Transformationsprozesses begreifen und entsprechend propagieren. Die Idee, Patente für Impfstoffe abzuschaffen und durch einen Open-Source-Ansatz zu ersetzen, die effiziente, sachorientierte Nutzung der Produktionskapazitäten einer Pharmaindustrie, die dekadenlang bei der Erforschung von Impfstoffen und Antibiotika versagte - diese Initiativen müssten als Wege in die Systemtransformation begriffen und erläutert werden. Ähnliches gilt für die soziale Komponente der Initiative, wo mit der Forderung nach einem bedingungslosen Einkommen die Kappung des widersprüchlichen Zusammenhangs zwischen Lohnarbeit (somit Kapitalverwertung) und Existenzsicherung auf der Hand liegt. Und selbst die Diskussion der grundlegenden Produktionsverhältnisse scheint in einer Krisenzeit, in der Konzerne Schlange stehen, um Staatsgelder abzugreifen, sich faktisch von selbst zu ergeben.

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Die Linke könnte somit wieder als progressive Kraft agieren, indem sie schlicht sagt, was Sache ist, um das notwendige Krisenbewusstsein zu verbreiten: Der Kapitalismus ist am Ende, die Transformation unausweichlich. Und hierzu können gerade Initiativen wie Zero Covid einen unschätzbaren Beitrag leisten, wenn reformistische Forderungen als Einstieg in einen unausweichlichen Transformationsprozess propagiert werden: Gerade weil Zero Covid unrealistisch scheint, muss die Kampagne als Moment einer Umwälzung der gesellschaftlichen Realität begriffen und offensiv propagiert werden.

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