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Auch bei uns kann’s krachen
Von Mamuju bis Köln - Erdbeben gefährden Städte.
Verzweifelte Menschen, zerstörte Häuser, fieberhafte Rettungseinsätze - das zeigen Bilder aus der Stadt Mamuju in West-Sulawesi, die am 15. Januar von einem Erdbeben der Stärke 6,2 erschüttert worden war. Schockierende Bilder aus Erdbebengebieten unserer tektonisch sehr lebhaften Erde sind keine Seltenheit.
Bisweilen sieht man auch aus Deutschlands Erdbebenregionen wie der Niederrheinischen Bucht Bilder von Schäden. Allerdings sind Erdbeben in Deutschland in aller Regel nur sehr schwach, wie das der Stärke 2,8, das am 2. Januar in Aachen, dem belgischen Lüttich und in Köln gespürt wurde. Solch schwache Beben sind in der Region westlich von Köln keine Seltenheit. Doch auch Erschütterungen mit einer Stärke von 6,5 sind in der Region durchaus im Bereich des Möglichen. Gottfried Grünthal, Experte für historische Erdbeben am Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ), weiß: »Statistische Analysen zeigen, dass in der Niederrheinischen Bucht etwa alle hundert bis dreihundert Jahre mit einem Beben der Stärke 5,5 zu rechnen ist. Mit einem Beben der Stärke 6,5 ist etwa alle 1000 bis 3000 Jahre zu rechnen.«
Was also passiert, wenn es in der Nähe von Köln mal so richtig rumst? Mit diesem Szenario befasst sich die »Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2019«, deren Bericht Ende 2020 dem Deutschen Bundestag vorgelegt wurde. In dem 125 Seiten starken Dokument hat eine Expertengruppe des GFZ auf Grundlage einer computergestützten numerischen Modellierung eines starken Erdbebens in der Nähe der Millionenstadt Köln detailliert aufgelistet, mit welchen Auswirkungen bei solch starken Bodenbewegungen zu rechnen ist: beschädigte und zerstörte Häuser, blockierte Straßen, viele Verletzte und Tote.
Marco Pilz, GFZ-Experte für Erdbebengefährdung, beschreibt die fiktive Ausgangssituation: »In einer Tiefe von nur wenigen Kilometern kommt es in der Niederrheinischen Bucht am Erftsprung zu einem tektonischen Bruch. Nur Sekunden später erreichen die Erdbebenwellen die Oberfläche und die nahe gelegene Stadt Köln.« Gefährdet seien in Köln vor allem Gebäude mit älterer Bausubstanz, so dass die Verteilung der Schäden im Stadtgebiet »recht heterogen« sein könnte.
Für die Risikoanalyse haben die GFZ-Wissenschaftler eng mit Stadt- und Kreisverwaltungen, Feuerwehren, Technischem Hilfswerk und Energieversorgern zusammengearbeitet. »Erstmals wurde die kommunale Ebene - Stadt Köln und Rhein-Erft-Kreis - auf Vorschlag des Innenministeriums des Landes NRW nun mit einbezogen«, teilte die Pressestelle der Stadt Köln dem »nd« mit. Einen »Spezialplan« der Stadt für ein solches Erdbeben gebe es aber nicht. Die Empfehlungen aus dem Risikobericht - Selbsthilfefähigkeit fördern, Anlaufstellen schaffen oder Reaktionszeit der Behörden optimieren - seien eher allgemein gehalten.
Erdbeben wären vielleicht weniger verheerend, könnte man sie genauer vorhersagen. Traditionelle Frühwarnsysteme sind sehr ungenau und bieten nur Warnzeiten von wenigen Sekunden. Wissenschaftler des GFZ haben zusammen mit Kollegen der Berliner Humboldt-Universität jetzt eine ursprünglich aus dem Bereich Textverständnis und automatisierte Übersetzung kommende Methode der Künstlichen Intelligenz, so genannte Transformer-Netzwerke, an die Analyse seismischer Daten angepasst.
Diese neue Methode wurde mit Datensätzen aus den stark erdbebengefährdeten Ländern Italien und Japan getestet, die beide ein sehr dichtes Netz an seismischen Messstationen haben. Danach gaben die Forscher ein weiteres Set von aufgezeichneten Beben hinzu, die der Algorithmus noch nicht »kannte«. In diesen retrospektiven Tests ergab sich laut der im Dezember 2020 im »Geophysical Journal International« veröffentlichten Studie eine erhebliche Verbesserung der Warngenauigkeit bei tatsächlichen Beben.
»Erheblich« ist allerdings relativ. »Für starke Erschütterungen in Japan gibt unser Model 67 Prozent mehr korrekte Warnungen als das beste Vergleichsmodell, während die Zahl der falschen Warnungen konstant bleibt. Die Warnzeit erhöht sich dabei um 0.31 Sekunden«, erklärt Jannes Münchmeyer, Leiter des interdisziplinären Forschungsprojekts.
Die Studie ist laut Münchmeyer ein »proof-of-concept«, also der Beleg, dass das neue Verfahren funktionieren kann. Einsetzbar ist die Methode zur Erdbebenfrühwarnung für erdbebengefährdete Regionen wie Köln oder Indonesien noch nicht. Dazu seien noch weitere Entwicklungsarbeiten nötig und in Echtzeit verfügbare Daten aus dichten seismischen Messnetzen, so Münchmeyer.
Das bekannteste Kölner Gebäude mit »älterer Bausubstanz« ist der Dom. An der Kathedrale lösen sich bei kleineren Erdbeben schon mal »kleinere Bauelemente«, sagt Matthias Deml, Pressesprecher der Dombauhütte. Untersuchungen der Erdbebenmessstation in Bensberg, die am Dom mehrere Messstationen unterhält, und ähnliche, die das GFZ vor etlichen Jahren durchgeführt hatte, zeigen, dass der Dom »in seiner Struktur auch stärkere Beben gut überstehen kann«, fügt Deml hinzu. Ein Grund könnte das »ungewöhnlich starke« mittelalterliche »Schichtfundament aus schweren Säulenbasaltblöcken und weicherem und relativ flexiblem Tuffstein sein, dessen Masse in etwa dem darüberstehenden Bau entspricht«. Ob das wirklich so ist, weiß man nicht. Deml sagt: »Da wir keine mittelalterlichen Quellen zum Fundament haben, muss es letztlich offen bleiben, ob die Bauleute im 13./14. Jahrhundert intuitiv richtig gebaut haben oder bewusst - etwa aufgrund konkreter Erfahrungswerte mit Erdbeben in der Region.«
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