»Ich habe sehr viele Spiegel zerschlagen«

Sasha Gold war mal die Szene-Anwältin Alexandra Wichmann. Jetzt steht sie nicht mehr im Gericht, sondern baut Skulpturen.

  • Leonie Ruhland (Text) und Leon Salner (Fotos)
  • Lesedauer: 10 Min.

Wie geht es Ihnen?

Ganz gut, ich bin ein bisschen aufgeregt, weil ich gestern eine Zusage bekommen habe, dass ich in China in einem Museum ausstellen könnte.

Abgefahren, wie kam es dazu?

Das ist ein Ausstellungsprojekt für einen kulturellen Austausch für europäische und chinesische Künstler*innen. Ich hatte mich zuerst mit meinem Debüt, dem verspiegelten Auto, beworben, aber das ist wohl zu groß für die Reise. Vielleicht fliege ich mit den kleineren Projekten. Erst mal aufregend!

Total, herzlichen Glückwunsch! Sasha Gold ist Ihr Künstlerinnenname. Davor waren Sie als »Szene-Strafanwältin« Alexandra Wichmann bekannt. Diesen Job haben Sie vor zwei Jahren wegen Ihrer Gesundheit aufgegeben. Können Sie erzählen, was los war?

Das war alles nach G20. Aber insgesamt ist Strafverteidigung sehr stressig. Das können glaube ich alle, die diesen Job machen, unterschreiben. Man muss im Gericht immer funktionieren, den ganzen Tag präsent sein, und für die Leute geht es immer um sehr viel. Da ist viel Druck im Spiel. G20 war zusätzlich eine hohe Belastung für alle Anwält*innen, die dort mitgewirkt, die Protestierenden verteidigt und versucht haben, quasi die Grundrechte zu verteidigen. Ich habe nicht gesehen, dass sich das ändern wird. Der Beruf hat mir Spaß gemacht, und wenn’s mit weniger Workload gehen würde, hätte ich das auch fortgeführt. Aber ich habe Stresssymptomatiken bekommen und schließlich für mich entschieden, dass es mir wichtiger ist, dass es mir gut geht.

Was sehr viel Mut erfordert. Gerade Jura ist ein krasses Studium, für das man viel Zeit opfert. Wie war das Gefühl, alles fallen zu lassen?

Mir wurde nicht eingetrichtert, dass es immer wichtig sei, Sachen durchzuziehen. Vielleicht hatte ich es vom Mindset her einfacher. Es gibt Menschen, die krass darauf gepolt sind, zu Ende bringen zu müssen, was sie angefangen haben. Ich habe das so gedeutet: Ich will die Erfahrung nicht missen. Ich will das Jurastudium nicht nicht gemacht haben, ebenso wie die Arbeit als Strafverteidigerin. Es ist total interessant, diese Einblicke zu haben. Ich habe interessante Menschen getroffen und sehr viel Wissen angesammelt. Das bereue ich nicht.

Das war ein Teil Ihres Lebens und jetzt kommt der nächste.

Genau. So sehe ich das.

Konnten Sie sich darauf vorbereiten?

Nicht so richtig. Als ich angefangen hatte im Anwaltsbüro Schulterblatt36 zu arbeiten, das als Kollektiv organisiert und in dem Feld tätig war, das mich interessierte, dachte ich tatsächlich: Das mache ich bis zur Rente. Das hat mir damals auch ein bisschen Angst gemacht. Die Entscheidung aufhören, habe ich dann doch recht plötzlich getroffen.

Wieso sind Sie überhaupt Rechtsanwältin geworden?

Als es um die Wahl des Studiums ging, habe ich mich sehr an meinem Vater orientiert, der auch Jurist ist. Ich hatte mir Anerkennung erhofft. Meine Mutter meinte damals zu mir, ich solle das auf gar keinen Fall studieren. Diese starren Regeln und auch die Menschen konnte sie sich für mich gar nicht vorstellen. Während des Studiums habe ich mich gefragt, was ich mit dem Staatsexamen eigentlich machen will. Strafverteidigerin oder Anwältin kam am meisten mit meinen Überzeugungen überein. Ich habe auch über den Bereich Asylrecht nachgedacht.

Als Rechtsanwältin haben Sie Betroffene von Polizei-Razzien vertreten, sich für einen chronisch Kranken eingesetzt, der Hanf für den Eigenbedarf anbaute und eine Klage gegen einen Spitzeleinsatz in der linken Szene eingereicht. Was hat Sie am meisten beschäftigt in dem Beruf?

Die Verfahren mit den Menschen, denen vorgeworfen wurde, Kleinstmengen an Marihuana an der Hafenstraße verkauft zu haben. Die haben mich berührt. Das waren Geflüchtete, bei denen häufig nicht klar war, ob sie traumatisiert waren. Dann werden sie in Unterkünften irgendwo weit weg von Städten untergebracht, was für junge Menschen furchtbar ist. Wie alle Mitte 20 haben sie das Bedürfnis nach Leben, Arbeit, Selbstverwirklichung. In Hamburg wurde es üblich, dass Haftstrafen im Raum stehen, wenn der Vorwurf lautete, 0,5 oder ein Gramm Marihuana verkauft zu haben. Jedenfalls wenn Geflüchtete die Beschuldigten waren. Im Gefängnis ist es auch schwieriger für Menschen, die kein Deutsch sprechen. Du bist im absoluten System, aber du verstehst die Regeln nicht. Ich habe oft miterlebt, wie unfair sie behandelt wurden. Rassismus im Gefängnis.

Haben Sie auch weniger belastende Momente als Anwältin erfahren?

Es sind natürlich immer witzige Geschichten dabei, die das Leben so schreibt. Eine gewisse Komik hat immer ein selbstverschuldetes Verhalten, das zur Strafverfolgung führt. Ich hatte Mandanten, die einen Rucksack in der Bahn vergessen hatten, wo klar war, dass sich eine nicht unerhebliche Menge Drogen darin befindet und kein Perso. Die Person hat sich dann trotzdem bei der Bahn oder dem Hamburger Verkehrsverbund gemeldet und nach dem Rucksack gefragt. (lacht) Solche Sachen sind natürlich tragisch, aber bringen einen auch zum Schmunzeln.

Sie leben eher in einer linken Bubble. Würden Sie behaupten, so ein extremer Berufswechsel ist hier einfacher?

Das ist ein bisschen zwiespältig. Was die Kunst anbelangt würde ich sagen, ja, auf jeden Fall ist so eine Entscheidung einfacher. Es bestehen glaube ich mehr Kontakte zu niedrigschwelligen künstlerisch tätigen Menschen oder Räumen, die man nutzen kann. In meinem privaten Umfeld haben mich viele supportet, weil sie gesehen haben, wie es mir mit dem Anwältinnenberuf ging. Andererseits gibt es auch einen gewissen Erwartungsdruck, dem linke Anwält*innen ausgesetzt sind, und natürlich ist es für die Szene auch immer traurig oder enttäuschend, wenn jemand aufhört. Ich habe viel Verständnis für die Entscheidung erfahren, aber trotzdem ist es eine gewisse Form von Druck, weiter zur Verfügung zu stehen. Enttäuschung erzeugt auch Druck.

Sie haben sich »ausgerechnet« für Kunst entschieden.

Ich war eigentlich schon immer kreativ tätig. Ich habe eine ganze Zeit lang abstrakte Spraykunst gemacht - aber immer nur so nebenbei. Das, was ich jetzt mache, ist sehr zeitaufwendig. Und das auszubauen, war mir jetzt erst möglich. Zwischendurch hatte ich bei Kulturevents, Partys und Festivals kleine Installationen gemacht und dabei gemerkt, dass ich am meisten Spaß habe und es mir am besten geht, wenn ich eine Woche lang minutiös so einen Floor gestalten und da wirklich in Kleinstarbeit versinken kann.

Ihr erstes Projekt ist ein verspiegeltes Auto. Als ich das erste Mal davon gehört habe, hat es mich wieder an diese kapitalistische Welt erinnert, aus der Sie geflohen sind.

Ja klar, ein Auto, da steckt total viel drin. Das ist ein Statussymbol, das hierzulande einen ganz hohen Wert hat. Auch ein emotionales Thema. Ich hab es für 150 Euro bei Ebay Kleinanzeigen gekauft. Das war der allererste Autokauf meines Lebens: Ein Schrottauto für ein Festival. (lacht) Es hat überall Dellen. Ich fand es schade, das Auto seiner zweiten Bestimmung zu überlassen und es zu verschrotten. Ich wollte es wieder aufwerten und daraus ein glamouröses Glanzstück zaubern. Es wurde also vom Schrottobjekt wieder etwas wert für die Menschen, die darauf getanzt haben.

Spiegel sind ein Symbol für Narzissmus. Ich habe alle umsonst bekommen, es waren Wegwerf-Objekte. Aber im Überfluss vorhanden. Die Leute, die mir ihre alten Spiegel geschenkt haben, waren alle so froh, dass sie jetzt noch eine Bestimmung bekommen haben. Wie kommt das, dass so viele Menschen so etwas zu Hause stehen haben, obwohl sie sie nicht mehr brauchen? Wenn man einen Spiegel wegschmeißt, schmeißt man sich sozusagen in dem Moment selbst weg. Außerdem bringen Spiegelscherben Pech. (überlegt) Ich hab jetzt sehr viele Spiegel zerschlagen. (lacht)

Aber Sie haben sie zu etwas Neuem zusammengefügt.

Ja. Vielleicht heißt das, dass ich jetzt alle verkleben muss, so dass keine Scherben übrig bleiben.

Ich mag den Titel des Spiegel-Autos: »Why Not? Everybody’s Darling«. Wo kommt er her?

Das »Why not« ist zufällig entstanden, weil ich es so lustig fand, wie verschieden Leute darauf reagiert haben. »Everybody’s Darling« ist eine Person, die von allen gemocht wird. Das wird eigentlich eher über Frauen gesagt. Das Auto ist eine »Sie«. Die sehr aufwendige Verwandlung in eine Schönheit spielt darauf an, dass Frauen nach wie vor einem krassen Schönheitsideal unterliegen und ihnen krasse Erwartungen entgegengesetzt werden. Beliebt sein ist immer noch daran gekoppelt, wie Frau aussieht. Und das durch alle Gesellschaftsschichten hinweg. Das mag in linken Kontexten weniger sein, aber ich glaube, auch da ist der Druck auf Frauen recht hoch, gut auszusehen.

Sie machen noch mehr Dinge mit Spiegeln.

Spiegel und Objekte, die nicht mehr gebraucht und als wertlos angesehen werden. Das Durchfahrt-Verboten-Schild habe ich auch vom Schrottplatz. Es ist von der Sonne ausgeblichen und verbeult. Der Titel ist »Where are my boundaries?«. »Wo sind meine Grenzen« ist eine Frage, die zunächst einfach wirkt, aber eigentlich ist es ein lebenslanges Projekt, die Antwort darauf herauszufinden. Auch eine genderspezifische Betrachtung ist sehr spannend. Die Frage stellt sich für weiblich sozialisierte Menschen auf andere Art und Weise. Sie sind darauf gepolt oder so sozialisiert, zu gefallen. Das steht im Fokus, und sie merken oft erst im Nachhinein, dass sie gewisse Dinge gar nicht wollten. Nur die andere Person wollte es, deswegen haben sie es mitgemacht.

Und das hier (zeigt auf einen Mini-Mercedes für Kinder, der halb mit Spiegeln beklebt ist) steht für diese frühzeitige Polung auf den Kapitalismus. Dem Kind frühzeitig beizubringen, dass das ihr Lebensziel sein wollte, impft sofort einen kapitalistischen Druck ein. Der Titel ist »Projection / what about the boys?«. Ich glaube nämlich überhaupt nicht, dass das Spielzeug unbedingt Eltern kaufen, die selbst einen Mercedes fahren. Sondern dass das eine Projektion von ihren eigenen Wünschen ist, die sie nicht erfüllt bekommen haben. Was auch traurig ist. Man projiziert viele Wünsche in die eigenen Kinder. Meine Vermutung ist, dass mehr Jungs dieses Auto geschenkt bekommen als Mädchen.

Ihr Debütprojekt entstand, während die Welt wegen Covid-19 einen Stillstand erleben musste. Wie hat das Ihre Arbeit beeinflusst?

Tatsächlich hat diese Situation die Realisierung möglich gemacht. Das Auto stand irgendwo in Schleswig-Holstein auf einem Grundstück von einem Bauern, wo ich jedes Mal hätte hinfahren müssen. Da das Dockville-Festival nicht stattfinden konnte, kam mir der Gedanke zu dessen Gelände hier in Wilhelmsburg. Die Leute vom Dockville haben mir das ermöglicht und auch immer nettes Feedback gegeben.

Die Pandemie hat Ihnen geholfen.

Ja, und es war ein passendes Projekt, weil ich in den Zeiten, wo man sich sozial distanzieren musste, draußen aber trotzdem alles voll war, hier auf dem Gelände alleine arbeiten und viel draußen sein konnte. Für mich ist der Lockdown deswegen auch psychisch nicht so anstrengend. Da habe ich eine sehr privilegierte Position.

Was dürfen wir noch von Ihnen erwarten?

Feministische Themen sind mir auf jeden Fall sehr wichtig. Kunst ist ja auch etwas, was man selbst erlebt hat. Also alles, was man so erfahren hat, drückt man irgendwie in dem künstlerischen Objekt aus. Das ist teils bewusst und teils unbewusst. Das zweite Thema ist Asyl und Asylrecht, Rechtsprechung und juristische Sprache. Ich habe eine grobe Idee für eine zukünftige Installation, um das von diesem sehr abgeschlossenen Rechtsraum zu transportieren. Wie alles juristisch formuliert und gewertet wird, ist für den »Durchschnittsmenschen« nicht so einsehbar. Das ist ein Thema, das mir vor dem Auto noch durch den Kopf ging. Lustigerweise werden da auch Spiegel Teil sein.

Am Ende fließt die Anwältin-Persona also wieder mit dem Künstlerinnen-Ich zusammen. Wie geht es Ihrer Work-Life-Balance jetzt?

Darüber habe ich in den letzten Tagen auch nachgedacht. Ich arbeite schon viel, wenn man alles zusammenrechnet. Aber ich muss nicht sechs Tage die Woche zehn Stunden arbeiten, die mit Prozessen voll sind. Ich bin freier und kann mir Auszeiten nehmen und mir geht’s total gut damit.

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