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Bürgerrechte mittels Arbeitskampf

Erstmals könnte an einem Amazon-Standort in den USA eine Gewerkschaftsvertretung entstehen

  • Johannes Schulten
  • Lesedauer: 3 Min.

»Sie hängen sogar vor dir, wenn du auf die Toilette gehst«, sagt Darryl Richardson und erzählt von unzähligen Flugblättern, die seit Tagen vom Management im Amazon-Logistikzentrum in Bessemer, Alabama, verteilt werden. Die Botschaft sei immer dieselbe: »Die Gewerkschaft will nur euer Geld!« Kollegen berichten von Kleingruppengesprächen mit »antigewerkschaftlicher Propaganda« sowie täglichen Textnachrichten auf ihren Handys. Die Botschaft: Die Gewerkschaft raube ihnen »ihr Recht, für sich selbst zu sprechen«.

Am Montag stimmen 5805 Beschäftigte des Logistikzentrums im Süden der USA per Briefwahl ab, ob sie von einer Gewerkschaft vertreten werden wollen. Organisiert werden die Wahlen von der Einzel- und Großhandelsgewerkschaft RWDSU; im Falle einer Zustimmung wäre BHM1 der erste Amazon-Standort mit gewerkschaftlicher Vertretung in den USA.

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Zahlreiche Berichte über Einschüchterungen, die dieser Tage in großen US-Medien veröffentlicht werden, lassen wenig Zweifel an dem enormen Druck, dem die Belegschaft in Bessemer ausgesetzt ist. Bis zuletzt versuchte der Onlineriese noch, die von der US-Arbeitsbehörde aufgrund der Corona-Pandemie angeordnete Briefwahl zu verhindern. Für eine Wahl vor Ort hatte das Unternehmen ein Hotel angemietet. Dem Antrag hatte die Aufsichtsbehörde NLRB am Freitag eine endgültige Absage erteilt. Für den RWDSU-Vorsitzenden »ein weiterer Sieg der Arbeiter auf ihrem Weg, ihr Recht auf Gewerkschaftsvertretung wahrzunehmen«.

Bis eine solche erreicht ist, dürfte es ein langer und harter Weg werden. Das Wahlverfahren dauert ganze sieben Wochen, was mit der durch Corona eingeschränkten Arbeitsfähigkeit der NLRB begründet wird. Der Ausgang ist schwer vorherzusagen. Alabama ist wie die meisten Südstaaten der USA hartes Pflaster für Gewerkschaften. Nur in wenigen Betrieben gibt es gewerkschaftliche Vertretungen. Das Lohnniveau ist niedriger als im Norden. Amazon zahlt seinen Beschäftigten einen Stundenlohn von 15,30 US-Dollar und damit mehr als das Doppelte des Mindestlohns von 7,25 Dollar.

Der Ausgang der Abstimmung dürfte vom Grad der Verankerung der RWDSU im Logistikzentrum abhängen. Im Dezember hatten bereits 1500 Beschäftigte schriftlich erklärt, die Gewerkschaft zu unterstützen und damit die gesetzlichen Voraussetzungen für die Abstimmung erfüllt. Für eine Mehrheit müssen aber noch mindestens 1500 weitere Beschäftigte überzeugt werden. Angesichts des Dauerdrucks, unter dem die Belegschaft seit Wochen steht, kein leichtes Unterfangen. Um Anerkennungswahlen dieser Größenordnung zu gewinnen, fahren US-Gewerkschaften normalerweise langfristig vorbereitete und teure Organisierungskampagnen. Das Logistikzentrum in Bessemer existiert aber seit März 2020. Im Sommer nahmen Beschäftigte Kontakt zur Gewerkschaft auf. Hinzu kommt, dass die mit etwa 100 000 Mitgliedern relativ kleine RWDSU eher als bürokratisch und hierarchisch gilt. Stuart Appelbaum ging im Januar in sein 23. Jahr als Vorsitzender.

Die Gewerkschaft ist trotzdem optimistisch: Dutzende Organizer*innen stünden seit Monaten mit den Beschäftigten in Kontakt, so RWDSU-Sprecherin Chelsea Connor gegenüber »nd«. Unter diesen seien auch zahlreiche Ehrenamtliche aus Betrieben der Region. Die RWDSU, die ihre Wurzeln im New Yorker Einzelhandel hat, ist in den vergangenen Jahren im Süden der USA stark gewachsen und verfügt auch in Alabama über stabile Strukturen, vor allem in der dort wichtigen Geflügelverarbeitung.

Corona sowie die Black-Lives-Matter-Bewegung könnten allerdings alle bisher gültigen Regeln für US-Gewerkschaftswahlen über den Haufen werfen und für ein »Momentum« sorgen. Die Expansion von Amazon während des letzten Jahres hat unter den Beschäftigten eine nie dagewesene Welle der Empörung über unzureichenden Gesundheitsschutz und hohen Arbeitsdruck entfacht. Die Angst, sich während der Arbeit mit Corona anzustecken, war ebenfalls ein Motiv der Bewegung in Bessemer. Hinzu kommt: Etwa 85 Prozent der Beschäftigten in Bessemer sind Afroamerikaner*innen, und sie wollen endlich mit Respekt behandelt werden, so RWDSU-Chef Appelbaum. »Unserer Kampagne ist daher ebenso ein Kampf für Bürgerrechte wie ein Arbeitskampf.«

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