Holocaust-Forscher stehen in Polen vor Gericht

Historiker Barbara Engelking und Jan Grabowski werden für ihre Arbeit zur Aufarbeitung von Verbrechen im Zweiten Weltkrieg unter Druck gesetzt

  • Doris Heimann, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.

Warschau. Kollaboration mit den Nazis während der deutschen Besatzungszeit - in Polen ist das immer noch ein Reizthema. Wer sich damit befasst, gerät schnell ins Visier der Rechtskonservativen. Das bekommen gerade die renommierten Holocaust-Forscher Barbara Engelking und Jan Grabowski zu spüren. Sie stehen in Warschau vor Gericht - wegen ein paar Sätzen und zweier Fußnoten in einer umfangreichen historischen Studie. Wissenschaftler und Holocaust-Experten weltweit schlagen Alarm. Das Urteil in dem Fall soll an diesem Dienstag fallen.

In ihrem 2018 erschienenen Forschungswerk »Dalej jest noc« (Und immer noch ist Nacht) haben Engelking und Grabowski gemeinsam mit anderen Autoren in neun Lokalstudien untersucht, welche Überlebensstrategien Juden in der ostpolnischen Provinz unter deutscher Besatzung hatten. Dabei geht es auch um die Rolle der polnischen Bevölkerung - und genau damit treffen die Historiker einen wunden Punkt.

Polen wurde 1939 von Nazi-Deutschland überfallen, bis 1945 war es unter deutscher Besatzung. Insgesamt drei Millionen polnische Juden wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Die Besatzer verfügten die Todesstrafe für jeden Polen, der Juden half. Trotzdem gab es viele Mutige, die genau das taten. Auch im Buch von Engelking und Grabowski finden sich viele Beispiele dafür. Aber auch schwer erträgliche Schilderungen von Antisemitismus, Denunziation und Verstrickung von Polen in NS-Verbrechen. Das kratzt heftig am Geschichtsmythos von den Rettern, den Polens Rechte kultiviert.

Gegen die Historiker klagt die 80-jährige Filomena Leszczynska, Nichte eines früheren Ortsvorstehers aus Ostpolen. Sie sieht die Erinnerung an ihren Onkel geschädigt, verlangt umgerechnet rund 22.500 Euro Entschädigung und eine öffentliche Entschuldigung. Unterstützt wird die Klage von der rechtsnationalen Stiftung »Reduta. Festung des guten Namens - Liga gegen Verleumdung«. Die Webseite der Stiftung bezeichnet den Onkel der Klägerin als »polnischen Helden«, der Juden vor den Nazis gerettet und dabei sein Leben riskiert habe.

Das Bild, das Engelking und Grabowski in ihrem Buch von diesem Ortsvorsteher namens Edward Malinowski zeichnen, ist indes ein anderes: Er sei mitschuldig am Tode von mehr als 20 im Wald versteckten Juden gewesen, die den Deutschen ausgehändigt worden seien. In einem Nachkriegsprozess sei er freigesprochen worden, nachdem eine jüdische Zeugin falsch und zu seinen Gunsten ausgesagt habe. Belege für diese beiden Behauptungen fehlen in dem Buch.

Mittlerweile hat Engelking in einer Erklärung Details nachgeliefert. So sagte die jüdische Zeugin 1996 der Shoah Foundation, sie habe ihre Aussage in dem Prozess gegen Malinowski geschönt. Auch zeigen Akten, dass die Dorfbewohner, die den Ortsvorsteher wegen Kollaboration angezeigt hatten, danach von einer Bande verprügelt wurden und vor Gericht nicht mehr aussagen wollten.

Dass Grabowski und Engelking für ihr Fachbuch vor den Kadi gezerrt werden, entsetzt Historiker und Holocaust-Experten. »Längerfristig könnten solche Angriffe dazu führen, dass unabhängige Forschung über den Holocaust in Polen beendet wird«, befürchtet Grabowski selbst. Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem spricht von »einer schwerwiegende Attacke auf freie und offene Forschung«.

Ähnlich sehen das deutsche Historiker. »Es hat ein enormes Einschüchterungspotenzial, wenn es zu solchen Gerichtsverhandlungen kommt«, sagte Eva Schlotheuber vom Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands. Besonders jüngere Forscher könnten abgeschreckt werden. Auch entstehe ein großer Schaden für die Gesellschaft, wenn »wissenschaftlich fundierte Forschungsergebnisse nicht im wissenschaftlichen oder öffentlichen Diskurs verhandelt werden, sondern vor Gericht«.

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Doch gerade mit dieser Debatte tut sich die polnische Gesellschaft schwer. Bereits im Jahr 2000 enthüllte der Historiker Jan Tomasz Gross in seinem Buch »Nachbarn«, dass der Mord an rund 1600 Juden in der Kleinstadt Jedwabne im Juli 1941, der jahrzehntelang den deutschen Besatzern angelastet worden war, von den Nachbarn der Opfer begangen worden war. Gross wurde dafür heftig angefeindet.

»Ein Schock« sei das Buch von Gross für die Polen gewesen, sagt der Soziologe Jozef Niznik von der Polnischen Akademie der Wissenschaft. »Die Gesellschaft nimmt das ungern auf, denn sie will sich vor dem Gefühl der Schuld schützen. Das ist so ein Leugnungsmechanismus.« Die meisten Polen würden das Buch von Jan Grabowski und Barbara Engelking gar nicht kennen. »In tendenziösen Medienberichten erfahren sie, dass dies Bücher seien, die die Polen in Verbrecher verwandeln und ihnen mindestens im gleichen Maß die Schuld am Holocaust geben wollen wie den Deutschen.«

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