- Politik
- Abschiebememorandum in den USA
Die Abschiebungen gehen weiter - auch ohne Trump
Die neue US-Regierung bricht mit der harschen Abschottungspolitik des Vorgängers, doch so leicht ist diese nicht zu beenden
Die Vorwürfe gegen die Behörde wiegen schwer: »ICE ist eine außer Kontrolle geratene Behörde, die zur Räson gebracht werden muss«, sagt der progressive demokratische Kongressabgeordnete Mondaire Jones. Der 33-jährige Afroamerikaner vertritt seit Anfang Januar den 17. Wahlbezirk des Bundesstaates New York. »Es kann nicht sein, dass eine Behörde unter der Kontrolle des Leiters der Exekutive weiterhin Menschen abschiebt, nachdem der Präsident der USA ein Dekret unterzeichnet hat, das Abschiebungen für 100 Tage untersagt«, so Jones gegenüber dem »Guardian«
ICE steht für Immigration and Customs Enforcement, Immigrations- und Zollvollzugsbehörde. Seit dem 20. Januar ist Donald Trump nicht mehr im Amt, aber seine extensive Abschiebepolitik wird bis heute fortgesetzt. Zwar hat sein Amtsnachfolger, Joe Biden, per Dekret zum 22. Januar ein 100-tägiges Abschiebemoratorium verfügt, doch dies wird von ICE geflissentlich missachtet. Grund dafür ist die Entscheidung eines von Trump ernannten Richters in Texas, mit der Bidens Dekret vorläufig außer Kraft gesetzt wird. Die Biden-Regierung ist bisher nicht gegen diese richterliche Entscheidung vorgegangen.
Also wird weiter abgeschoben. Davon betroffen war zuletzt auch ein Einwohner aus Mondaire Jones’ Wahlbezirk, Paul Pierrilus, ein 40-jähriger Finanzberater aus dem Bundesstaat New York. Er wurde am Dienstag mit einem Abschiebeflug nach Haiti ausgewiesen, obwohl er noch nie in Haiti war und kein haitianischer Staatsbürger ist - Pierrilus ist staatenlos. Er sollte bereits am 19. Januar abgeschoben werden, aber dies konnte Mondaire Jones durch sein Intervenieren zunächst noch verhindern. »Letztlich konnten wir nichts tun«, so Jones im »Guardian«. »Leider ist Pauls Geschichte nicht ungewöhnlich. Schwarze Migranten wurden von unserem rassistischen, unmenschlichen Einwanderungssystem, insbesondere in den letzten Wochen, überproportional häufig ins Visier genommen und abgeschoben.« Dies bestätigt auch der demokratische Senator des Bundesstaates Maryland, Chris Van Hollen. Ihm zufolge schiebe ICE in letzter Zeit vermehrt Asylsuchende aus afrikanischen Ländern ab.
Bereits während des demokratischen Präsidentschaftsvorwahlkampfes war Joe Biden wegen der rigorosen Abschiebepraxis der Obama-Regierung, der er als Vizepräsident angehörte, in die Kritik geraten. Die Abschiebung von 2,7 Millionen Menschen - vor allem Latinos - während seiner acht Amtsjahre brachte Barack Obama die Bezeichnung »Deporter in Chief«, Chef-Abschieber ein. Damit hat Obama mehr Abschiebungen vorgenommen als alle anderen US-Präsidenten - auch Donald Trump. Von Biden erwarten seine Wähler nun eine sofortige Kurskorrektur.
Eines der großen Probleme dabei ist ICE, die für Abschiebungen zuständige Behörde. Die progressive demokratische Kongressabgeordnete, Alexandria Ocasio-Cortez, forderte im Rahmen ihres Vorwahlkampfes 2018 deren Abschaffung. Was zunächst radikal klingt, ist bei genauerer Betrachtung indes nicht abwegig: ICE wurde 2003 infolge der Anschläge vom 11. September zwei Jahre zuvor geschaffen. Sie ist somit eine recht neue Behörde, ohne die die USA auch zuvor ausgekommen sind. Das Hauptproblem von ICE sind ihre mutmaßlichen, wiederholten, massiven (Menschen-) Rechtsverstöße, die zum Teil Gegenstand von Untersuchungen sind: Trennung von Kindern und Eltern an der Grenze zu Mexiko als Abschreckung für Migranten, mangelnde medizinische Versorgung Gefangener, sexueller Missbrauch an Gefangenen, Berichte Gefangener über Folter, laut Aussage einer Whistleblowerin wurde zahlreichen Frauen in Gefangenenlagern ohne wirksame Einwilligung und ohne medizinische Indikation die Gebärmutter entfernt (»nd« berichtete).
ICE untersteht dem Heimatschutzministerium, ebenfalls erst 2002 gegründet, welches unter Trump über die Machenschaften von ICE hinwegsah, geschweige denn dagegen vorging. Sollte Joe Biden tatsächlich vorhaben, die Abschiebepraxis der USA zu rehumanisieren, wäre es womöglich ein sinnvoller Schritt, die Behörde, die für ihr inhumanes Handeln berüchtigt ist, abzuschaffen.
In der Tat gibt es von der neuen US-Regierung Anzeichen, dass sie einen anderen Weg in der Asylpolitik einschlagen will. Am Wochenende verkündete das Außenministerium, dass ein von Trump verhandeltes umstrittenes Migrationsabkommen mit den mittelamerikanischen Ländern Guatemala, Honduras und El Salvador offiziell gestoppt werde. Das Abkommen zwang Migranten, die auf dem Weg in die USA eines dieser Länder betreten hatten, dort Asyl zu beantragen - somit durften sie dies in den USA nicht mehr tun. Die neue US-Regierung will außerdem die Möglichkeiten legaler Einwanderung ausbauen. Im laufenden Haushaltsjahr will die Biden-Regierung bis zu 65 000 Flüchtlinge aufnehmen, ab Oktober für dasnächste dann 125 000 - mehr als dies die USA unter Obama taten.
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