Frage nach dem Ursprung von Sars-Cov-2 bleibt offen

Nach der WHO-Untersuchung in China fordert die Volksrepublik jetzt Nachprüfungen in anderen Ländern

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 3 Min.

Nichts ist sicher, könnte das Fazit der Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation WHO in Wuhan lauten. Dennoch hat die Delegation ein wenig Licht ins Dunkel gebracht. Die vorläufigen Ergebnisse sind dabei eher wenig überraschend: Höchstwahrscheinlich sei das Virus von einem tierischen Zwischenwirt auf den Menschen übergesprungen. Dass Sars-CoV-2 aus einem Forschungslabor entwichen sein konnte, ließe sich zwar nicht zu 100 Prozent ausschließen, sei jedoch »extrem unwahrscheinlich«. Eine dritte, ebenfalls eher ungewisse Theorie, müsse allerdings weiter untersucht werden - nämlich, dass das Virus über importierte Tiefkühlnahrung nach Wuhan gelangt sein könnte.

»Haben wir ein dramatisch anderes Bild erhalten als zuvor? Das glaube ich nicht«, sagte der dänische WHO-Delegationsleiter Peter Ben Embarek über die Untersuchungskommission. Sehr wohl aber habe der zweiwöchige Trip das Verständnis über den Virusursprung verbessert.

Die Virus-Experten waren aufgebrochen, um die Gretchenfrage unserer Zeit aufzuklären: Wie genau ist das Coronavirus, das weltweit mittlerweile weit über zwei Millionen Menschen getötet hat, auf den Menschen übergesprungen? Den mittlerweile historischen Huanan-Wildtiermarkt haben die Forscher besucht, sie haben sich von Wuhans Krankenhäusern Datensätze über Fieberpatienten aushändigen lassen und Viruslabore auf deren Sicherheitsstandards überprüft. Dabei war schon im Vorfeld klar, dass sie China wohl nicht mit definitiven Antworten verlassen werden - zu komplex ist die Aufklärungsarbeit über ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie.

Dennoch war die Abschlusskonferenz in Wuhan am Dienstag durchaus aufschlussreich, wenn sich auch die spannendsten Momente noch vor Beginn der eigentlichen Veranstaltung zugetragen haben. Im Konferenzraum tauschten Dutzende Journalisten ungläubige Blicke aus, einige checkten gelangweilt ihre E-Mails auf dem Handy, ein anderer Kollege stöhnte derart laut auf, dass seine Verärgerung auch dem Live-Stream zu entnehmen war. Eine Mischung aus Verärgerung, Verwunderung und Neugierde machte sich darüber breit, warum die vielleicht am ungeduldigsten erwartete Pressekonferenz des noch jungen Jahres wieder und immer wieder verschoben wurde. Feststeht: Zwischen der chinesischen Seite und der WHO wurde lange darüber gerungen, ob es diese Veranstaltung überhaupt geben soll. Wahrscheinlich wurde bis zur letzten Minute über die Details gerungen.

Dennoch machten die Veranstalter zumindest nach außen gute Mine zum vermeintlich bösen Spiel - und klärten die Öffentlichkeit in über zweieinhalb Stunden über ihre Spurensuche auf: Akribisch sammelten die Forscher Proben aus mehr als 200 Krankenhäusern in Wuhan und der näheren Umgebung. Letztendlich konnten sie einen »Patienten Null« bislang nicht rekonstruieren. Die WHO vermutet, dass sich das Virus auf dem Huanan-Tiermarkt erstmals flächendeckend verbreitete; doch wie es dort hinkam, ist weiterhin offen. Die vielleicht wichtigste Erkenntnis lautet, dass die Wissenschaftler keine Hinweise darauf fanden, dass sich Sars-Cov-2 bereits vor Dezember 2019 in Wuhan verbreitete.

Die politisch aufgeladene Kontroverse, vor allem zwischen Peking und Washington geführt, wird wohl auch nach der Untersuchungskommission nicht abebben. Dabei sind die jeweiligen, von den Erzrivalen propagierten Theorien am unwahrscheinlichsten: Die US-Regierung unter Ex-Präsident Donald Trump hatte immer wieder behauptet, Beweise für einen Virus-Leak einer Forschungseinrichtung zu haben, ohne diese jedoch zu präsentieren. Und in der Tat gibt es nur einen Steinwurf vom Huanan-Tiermarkt entfernt ein Viruslabor, an dem auch zu Coronaviren geforscht wurde. Doch laut Angaben der WHO wäre keines darunter, welches ausreichend Ähnlichkeiten zu Sars-Cov-2 besitzt. Zudem: »Natürlich ist es nicht unmöglich, aber solche Vorfälle sind extrem selten«, sagte Ben Embarek am Dienstag.

Gleichzeitig gilt die von Pekings Staatsmedien propagierte Theorie, nach dem das Virus aus dem Ausland über Tiefkühlnahrung nach Wuhan kam, ebenfalls als überaus unwahrscheinlich. Denn bislang gibt es überhaupt nur eine Handvoll dokumentierter Übertragungen von Lebensmitteloberflächen auf den Menschen.

Doch in Zukunft, so viel steht schon jetzt fest, wird China darauf drängen, dass die WHO ihre Untersuchung in anderen Ländern fortführen wird. »Der China-Teil« der Untersuchung sei hiermit abgeschlossen, sagte schon zu Beginn der Konferenz Liang Wannian von der staatlichen Gesundheitskommission.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.