Vom Geldverdienen abgeschnitten

Bewegung »Friseure in Not« beschäftigt Gerichte aller Bundesländer mit Klagen gegen den Lockdown

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit 18 Jahren betreibt Nadine Potrafke ihren Salon »Frisör-Werkstatt« in Neuenhagen bei Berlin. Sie beschäftigt fünf Angestellte, alle fünf sind Frauen, drei von ihnen haben kleine Kinder und benötigen jeden Cent ihres Lohns und das Trinkgeld. In normalen Zeiten geht es. In normalen Zeiten floriert das Geschäft, sagt Potrafke. Doch seit Frühjahr 2020 sind die Zeiten nicht mehr normal. Nach dem ersten Lockdown mit sechs Wochen Schließzeit kam der zweite. Am 16. Dezember musste die Friseurmeisterin ihren Salon erneut schließen. Seitdem habe sie noch keinen Euro Überbrückungshilfe vom Staat bekommen, sagt die 44-Jährige. Nur das Kurzarbeitergeld für die fünf Angestellten wurde gezahlt. Aber das sei so gering, dass die Frauen damit auf Hartz-IV-Niveau runtergedrückt sind. Besonders für die drei Mütter mit kleinen Kinder tut ihr das leid. Sie hat selbst ein kleines Kind. Darum zahlte Potrafke einen Monat lang den normalen Lohn weiter. Dann konnte sie das nicht mehr.

Im ersten Lockdown gab es für ihren Salon immerhin noch 9000 Euro. »Aber das reichte hinten und vorne nicht.« Potrafke verbrauchte ihre Ersparnisse und nahm zusätzlich 10 000 Euro Kredit auf. Diese finanzielle Belastung ist bitter. Potrafke steckte in 18 Jahren viel Energie und Geld in ihren Salon. Das soll nicht umsonst gewesen sein. Aber ewig lange können sie und ihre Angestellten nicht durchhalten. Sie können so, wie es jetzt ist, nicht noch einen dritten oder vierten Lockdown durchstehen. »Meine Hoffnung ist, dass es wieder bergauf geht«, sagt die 44-Jährige am Dienstag.

Aber allein auf Hoffen und Bangen verlässt sie sich nicht mehr. Ende vergangener Woche reichte sie beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einen Eilantrag ein, um überprüfen zu lassen, ob die Schließung aller Friseursalons rechtlich einwandfrei ist. Damit steht Potrafke nicht allein. Sie hat sich der bundesweiten Betroffeneninitiative »Friseure in Not« angeschlossen. In jedem Bundesland leitete ein Friseur der Initiative beispielhaft juristische Schritte ein. Anders geht es nicht, da jeweils die Länder per Verordnung verfügten, die Salons zu schließen. Mit Nadine Potrafke in Brandenburg ist der Vorstoß nun in allen 16 Bundesländern erfolgt. In Hessen hat das Verwaltungsgericht Kassel am 5. Februar bereits einen der Eilanträge zurückgewiesen.

»Diese Gerichtsentscheidung enttäuscht uns«, sagt Noah Wild, Sprecher der Bewegung »Friseure in Not«. Er erklärt: »Es geht um die Existenz von mindestens 80 000 Friseursalons, von denen 24 000 inzwischen unmittelbar von der Insolvenz bedroht sind.« Die Kollegen, »die den Mut haben, sich gegen den undifferenzierten Lockdown zur Wehr zu setzen«, handeln im Interesse aller Friseure in der Bundesrepublik, sagt Noah Wild. In gewissem Sinne handeln sie auch im Interesse ihrer Kundschaft. Viele leiden darunter, dass sie sich nicht professionell die Haare schneiden lassen dürfen, weiß Nadine Potrafke. Sie hat unter ihren Kunden alte Damen, die es allein zu Hause nicht fertigbringen, sich die Haare zu waschen, und deshalb in ihren Salon kommen, wo sie aber jetzt nicht bedient werden dürfen.

»Das Coronavirus ist gefährlich«, bestätigt Potrafke. Sie gehört beileibe nicht zu den Menschen, die dieses Risiko nicht sehen. Aber die Friseursalons seien kein Hotspot für Ansteckungen. Während der Öffnungszeit im Sommer 2020 sei peinlich genau auf die Hygiene geachtet und immer sorgfältig desinfiziert worden, versichert sie. Nach Kenntnis von Potrafke sind im gesamten Jahr 2020 kaum mehr als eine Handvoll Corona-Infektionen in deutschen Friseursalons gemeldet worden. In Brandenburg habe es keinen einzigen Fall gegeben.

Brandenburgs Handwerkskammertag appellierte am Dienstag an Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), sich an diesem Mittwoch bei der Beratung mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Länderchefs über das weitere Vorgehen für eine schrittweise Öffnung der Wirtschaft stark zu machen. »Die Belastungsgrenze bei vielen Unternehmen ist längst erreicht. Insbesondere Friseure und Kosmetiker können den Gesundheitsschutz strikt gewährleisten. Sie wollen endlich wieder arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen.« Der Handwerkskammertag unterstütze die Forderung der Friseure nach einer Öffnungsperspektive zum 15. Februar, sagte Präsident Robert Wüst. Wolf-Harald Krüger, Präsident der Handwerkskammer Frankfurt (Oder) sekundierte: »Es dient nicht dem Gesundheitsschutz, wenn illegal in Wohnzimmern frisiert wird oder Brandenburger weitgehend unkontrolliert ins benachbarte Polen fahren, weil Friseursalons und Kosmetikstudios dort geöffnet haben.«

Am Sonntag hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Fernsehen erklärt, wie man sehe, müsse auch er dringend mal zum Friseur. Doch warnte er davor, Lockerungen zu leichtfertig vorzunehmen.

Derweil macht sich Friseurmeisterin Potrafke keine großen Illusionen, dass sie vor Gericht siegen könnte. Ihr geht es vor allem darum, auf die Misere aufmerksam zu machen, ein Zeichen zu setzen.

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