Partei der Frühaufsteher

Andreas Koristka über Franziska Giffeys Ansprüche an die Wähler der SPD

Wenn es nicht gerade um sauberes wissenschaftliches Zitieren in Doktorarbeiten geht, hat Franziska Giffey hohe Ansprüche an sich und ihr Umfeld. Ganz besonders hoch sind ihre Ansprüche, was die eigenen Wähler betrifft. Wer kann es ihr verdenken? Allein die Vorstellung, dass ungehobelte faule Menschen mit ihren schmutzigen Fingern, Dreck- und der Blutkruste unter den Nägeln, ein Kreuz vor einen Namen setzen, der einem selbst gehört, lässt nicht nur Franziska Giffey die Herpes-Bläschen auf der Lippe sprießen. Und wahrscheinlich aus diesem Grund, machte sie jetzt klar, dass sich die SPD auf Leute ausrichten müsse, »die morgens aufstehen, ihren Job machen, die wollen, dass die Stadt funktioniert, dass sie sauber und sicher ist und die U-Bahn pünktlich kommt«.

Das ist ein nobler Ansatz. Denn mit seiner Veröffentlichung macht Frau Doktor Giffey a.D. klar, dass sie nicht auf die Stimme ihres eigenen Mannes zielt, der seine Arbeit im Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales verlor, weil er eben nicht morgens zur Arbeit ging, sondern lieber in den Urlaub flog.

Trotzdem bleibt die bange Frage, ob die Familienministerin das Anforderungsprofil an ihr Stimmvieh etwas lax angesetzt hat. Reicht es wirklich, morgens früh aus den Federn zu kommen und eine saubere und pünktliche U-Bahn zu erwarten, um die beste aller sozialdemokratischen Parteien der Welt wählen zu dürfen? Nein, von einem richtigen SPD-Wähler sollte man schon perfekte Blasenkontrolle erwarten können. Mindestens! Er sollte täglich die Unterwäsche wechseln, Vater und Mutter ehren und regelmäßig die größten Wollmäuse unter seinem Bett wegsaugen. SPD-Wähler sollten im Supermarkt den Gesamtpreis der Waren in ihrem Einkaufswagen grob im Kopf zusammenrechnen und Lieder aus dem Radio gut nachsingen können. Außerdem müssen sie es beherrschen, einen platten Fahrradreifen in weniger als 45 Minuten zu flicken. Wer dazu nicht in der Lage ist, für den bietet unser breitgefächertes Parteienspektrum viele andere weniger anspruchsvolle Wahlmöglichkeiten. Deshalb sollte Giffey ihre Ansprüche noch mal leicht nachjustieren.

Sport ist in dem Zusammenhang auch so ein Thema. Körper von SPD-Wähler müssen natürlich nicht perfekt aussehen. Beileibe nicht. Aber wer täglich nur eine Stunde Cardio-Training macht und ein- bis dreimal die Woche ein halbstündiges Workout mit Sit-ups, Schließmuskeltraining und einarmigen Klimmzügen, der wird nicht gleich umfallen, wenn Olaf Scholz ihn mit Geldscheinen aus seiner Finanzminister-Bazooka beschießt. Zudem ist Sport eine gute Prophylaxe für Krankheiten aller Art. Wer fit ist, der liegt auch den Krankenkassen weniger auf der Tasche. Wenn man die Anforderungen ans eigene Klientel nicht auf der allerniedrigsten Ebene ansetzt, profitiert die gesamte Volkswirtschaft!

Der SPD-Wähler darf dann stolz auf seine Leistungen und seine Genügsamkeit sein. Franziska Giffey hat bereits angekündigt, dass sie den Mietendeckel nicht verlängern möchte. Das ist für sie kein Problem, denn sie weiß, dass es ihren Wählern nichts ausmacht, wenn die Mieten steigen. Solange die U-Bahnen sauber, sicher und pünktlich sind, kann man auch in ihnen schlafen. Aber funktionieren muss halt alles.

Wenn der TÜV-geprüfte Waggon einen sanft in den Schlaf ruckelt, kann der SPD-Wähler wohligen Gedanken nachhängen. Draußen wird derweil an jedem Mittwoch der Restmüll von der BSR abgeholt, die Tiere im Zoo werden artgerecht gehalten, und das Ordnungsamt parkraumbewirtschaftet, was das Zeug hält. Dann entsteht so ein warmes Gefühl in der Magengegend, bis man Wasser im Bauchnabel zum Sieden bringen könnte. Wer jetzt nicht aufsteht und seinen Wecker für morgen auf 4:30 Uhr stellt, der hat die Sozialdemokratie vielleicht nie geliebt.

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