- Berlin
- »Seeling 29«
Widerstand in der City West
Die Seelingstraße 29 könnte als erstes Charlottenburger Haus vorgekauft werden
Vor der abgerockten Fassade der Seelingstraße 29 steht der kiezbekannte Sänger Olaf Maske mit Mütze, Feder und Band und singt ein Lied, das die Teilnehmer*innen der Kundgebung am Samstag schnell zum Schunkeln und Mitsingen animiert: »Da gibt es Spekulanten / die durchaus amtsbekannten / doch keiner is’ da, der was gegen tut«. Was dagegen tun, das wollen die Mieter*innen des Hauses in der Nähe des Klausenerplatzes in Charlottenburg-Wilmersdorf, seit 2016 Milieuschutzgebiet. Das Haus war rund zwölf Jahre im Besitz der britischen Firma Marylebone, die das Haus nach Aussagen der Bewohner*innen kaum instand gehalten hat. Nun wurde es an einen anderen Investor verkauft. Die Mieter*innen fordern den Bezirk auf, von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen.
Viola Dollinger-Rauch wohnt seit 13 Jahren in der Seelingstraße 29 und vertritt die Mietergemeinschaft nach außen. Sie erzählt, dass im Haus viele Familien mit Kindern leben, aber auch Rentner*innen, Menschen mit Migrationshintergrund und Studierende. »Was uns alle verbindet, ist, dass wir lange hier wohnen, dass wir hier wohnen bleiben wollen, weil das unser Zuhause ist. Aber wir wissen auch, dass wir finanziell nicht in der Lage sein werden, hier im Bezirk neu zu mieten.« Ihre Rede wird von zustimmenden Rufen der Anwesenden begleitet. 200 Menschen hat die Mietergemeinschaft gezählt.
Dass ihre Sorge berechtigt ist, macht Wibke Werner vom Berliner Mieterverein deutlich: »Man könnte denken, wenn der Eigentümer wechselt, hat das mietrechtlich erst mal keine Relevanz. Aber die Erfahrung zeigt, wer ein Haus zu so teuren Preisen kauft, hat ein reges Interesse daran, das zu refinanzieren, und wird alles daran setzen, die Mieten in die Höhe zu treiben.« Oder wie der Kiezbarde Olaf Maske singt: »Wenn’s unbezahlbar wird, dann fliegst du raus.«
Nun ist das mit der Bezahlbarkeit so eine Sache in dem Bezirk. »Wir haben in Charlottenburg das Riesenproblem, dass das mit dem Vorkauf normalerweise nicht funktioniert, weil hier einfach alles zu teuer ist«, sagt Bezirksbaustadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne). Doch deswegen sei er keineswegs untätig gewesen: Am 12. Januar habe man vom Verkauf des Hauses erfahren und noch am selben Tag die Prüfung des Vorkaufsrechts eingeleitet. Aber: »Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sollen so kaufen, dass sie das wirtschaftlich betreiben können. Und bei den Quadratmeterpreisen in diesem Bezirk geht das nicht«, so Schruoffeneger.
Viola Dollinger-Rauch hat für diese Argumentation wenig Verständnis: »Es ist ein konkretes Versäumnis der Politik, dass die Bodenpreise in Charlottenburg so hoch sind. Wir Mieter können das nicht ausbaden«, sagt sie zu »nd«. »Wir brauchen ein politisches Signal, dass hier im Westen auch mal was geht.« Über ihr Haus hinaus unterstützt die Mietergemeinschaft deshalb die Initiative für eine bundesgesetzliche Änderung, die eine Verlängerung der Vorkaufsfrist von zwei auf sechs Monate und die Möglichkeit für Kommunen, preislimitiert vorzukaufen, vorsieht.
Im Fall der »Seeling 29« stehen die Zeichen nicht schlecht. Vor Ort zeigen sich am Samstag nicht nur andere Mieterinitiativen solidarisch. Auch die geladenen Politiker*innen äußern sich zugunsten der »Seeling 29«. »Um jedes einzelne Haus muss gekämpft werden«, sagt Lisa Paus, die in der Nähe wohnt und für die Grünen im Bundestag sitzt. Und SPD.Politikerin Ülker Radziwill, Vorsitzende des Ausschusses für Stadtentwicklung und Wohnen des Abgeordnetenhauses, erklärt: »Ich wünsche mir sehr, dass Charlottenburg-Wilmersdorf mit der ›Seeling 29‹ ein Exempel statuiert.«
Selbst der Bezirksbaustadtrat zeigt sich am Ende »guter Dinge«: Man sei mit der Finanzverwaltung im Gespräch über eine Ausnahmeregelung. »Wenn die Investoren wissen, dass wir hier nie kaufen können, brauchen wir gar nicht mehr zu verhandeln«, so Schruoffeneger. Stimmt der Finanzsenator zu, könnte die Senatsverwaltung am 23. Februar den Vorkauf beschließen.
Niklas Schenker, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung, versetzt dem Ganzen gegen Ende einen Dämpfer. Charlottenburg-Wilmersdorf ist für ihn wohnungspolitisch so etwas wie »ein failed state«, sagt er. »Der Baustadtrat hat heute eine gute Rede gehalten, aber bisher ist er vor allem dadurch aufgefallen, dass er wenig für Mieterschutz gemacht hat«, sagt Schenker zu »nd«.
Die Mieter*innen zeigen sich am Ende der Kundgebung froh, aber auch ein bisschen erstaunt. »Erst mal warten bis die Tinte trocken ist«, sagt Nachbarin Jenny Porschin zu »nd«.
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