Das Patriarchat zertanzen

Feminist*innen protestieren am Valentinstag gegen Gewalt an Frauen

  • Jessica Ramczik
  • Lesedauer: 3 Min.

Etwa 50 Personen versammeln sich am Sonntagnachmittag in schwarzen Kapuzenpullovern vor dem Brandenburger Tor. Sie tragen Masken und Schilder. »Dance to stop the screams« ist darauf etwa zu lesen: Tanzt, um die Schreie zu beenden. An einem Klavier sitzt die Sängerin Jocelyn B. Smith und interpretiert den Song »Break the chain« (Zerbrecht die Kette). Die kleine Gruppe tanzt in diesem Jahr aber nicht, denn die weltweite Initiative One Billion Rising - Eine Milliarde erhebt sich - fällt in diesem Jahr pandemiebedingt deutlich kleiner aus und findet größtenteils Online statt.

Die Tanzdemonstration in der Hauptstadt wird vom Reinickendorfer Jugendzentrum Centre Talma organisiert. Man wolle mit dem Tanz kollektive Stärke gegen die Gewalt gegen Mädchen und Frauen demonstrieren, erklärt dessen Leiterin Bettina Lutze-Luis Fernández. Tanz sei eine Möglichkeit, sich mit allen Menschen universal verbinden zu können. Per Video gibt es ein Grußwort von Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) und von der Rapper Eko Fresh den Song »Stärker als Gewalt«.

Die Kampagne wurde in der Vergangenheit vor allem von linken Feminist*innen kritisiert. Sie monierten, dass Frauen*, die dem weißen, heteronormativen und geschlechterbinären Frauenbild des Aktionstages nicht entsprechen, darin unsichtbar gemacht würden. Gerade zu Beginn der ersten Aktionen in der Bundesrepublik geriet der wenig inklusive Charakter einer Tanzveranstaltung in die Kritik. In den letzten Jahren verstummte diese aber allmählich. Das könnte sich mit dem Motto der diesjährigen Veranstaltungen von One Billion Rising wieder ändern. Unter dem Titel »Rising Gardens« wolle man in diesem Jahr ausdrücklich die Natur in den Vordergrund rücken, heißt es auf der deutschen Homepage der Kampagne.

Nicht nur einmal greift der Aufruf auf das Bild der Mutter Erde zurück. Die Rhetorik erinnert dabei an Sichtweisen, die Weiblichkeit immer wieder in die Ecke von Natur und Ursprünglichkeit rücken. In der »feministischen« Esoterik ist das »Weibliche« schließlich lebensspendend, göttlich, mythisch, archaisch, auf einer höheren Bewusstseinsebene und mit der Natur verbunden.

Dazu kommt: Auch in diesem Jahr bleibt bei One Billion Rising das Thema Schwangerschaftsabbruch unangetastet. Dies scheint in Anbetracht eines faktischen Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen im Nachbarland Polen und der Legalisierung derselben in Argentinien verwunderlich. Zwar hat sich One Billion Rising programmatisch manchen Kritiker*innen angenähert, aber konkrete Forderungen stellt die Initiative nicht. Stattdessen ruft sie dazu auf, Fahrräder mit Pflanzen schmücken, Bäume zu pflanzen und Banner sichtbar aufzuhängen.

Unter dem Aufruf »Rache am Patriarchat« finden andere Feminist*innen am späten Sonntagnachmittag am Hermannplatz andere Worte. Auch ihre Demonstration richtet sich gegen die Gewalt, die Frauen, lesbischen, intersexuellen, nonbinären, trans- und asexuellen Menschen im öffentlichen, privaten und digitalen Raum entgegenschlägt. Belästigung in der Öffentlichkeit, nicht erlaubtes Anfassen, häusliche Gewalt, heimliche Filmaufnahmen durch Spionagekameras, Androhung von Gewalt und Gewaltfantasien: »Auch während der Covid-19-Pandemie verschwindet die Gewalt nicht, sie wird nur unsichtbar gemacht«, erklärt das Bündnis auf der Internetseite. »Seit Beginn der staatlichen Maßnahmen steigen die registrierten Vorfälle häuslicher Gewalt sowie sexueller Übergriffe immer weiter an, ganz zu schweigen von den Dunkelziffern.«

Eine geschlossene Haltung zu One Billion Rising wolle man sich nicht anmaßen, heißt es seitens des Bündnisses. Grundsätzlich sehe man kein Problem darin, auf möglichst unterschiedliche Weise am Valentinstag - und an allen anderen Tagen - das Problem der Gewalt an Frauen* und Mädchen* öffentlich sichtbar zu machen.

Die Initiative Women Defend Rojava Deutschland hat den Valentinstag unterdessen zum Aktionstag gegen Femizide, den gezielten Mord an Frauen, erklärt: »Wir können und wollen es nicht mehr hinnehmen, dass unsere Schwestern täglich verschwinden, gefoltert, misshandelt und getötet werden.«

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