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In der selbst gebauten Durchhaltefalle
Die Nato trifft sich zum Gipfel und hat mehr als ihr Dilemma in Afghanistan zu besprechen
»Kein Nato-Land will länger bleiben als notwendig«, sagt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und meint: Eine politische Lösung sei der einzige Weg, um den Krieg in Afghanistan zu beenden. Gedanklich ist der Dompteur von 30 europäischen und nordamerikanischen Bündnisstaaten auf dem richtigen Weg. Doch zu spät: Das, was die USA unter Umgehung der Regierung in Kabul und der Nato-Partner mit den Taliban über einen Rückzug der ausländischen Streitkräfte auch ausgehandelt haben - es funktioniert nicht.
Der fundamentalistischen Opposition war von den USA im sogenannten Doha-Abkommen der Abzug aller fremden Militärs bis Ende April in Aussicht gestellt worden. Man wollte die Taliban so zu Friedensgesprächen und einem weitgehenden Gewaltverzicht bewegen. Die USA haben ihre Truppenstärke in Afghanistan auf 2500 Bewaffnete reduziert - ein Tiefstand seit dem Einmarsch 2001. Wie sein Vorgänger Donald Trump verspricht auch der neue US-Präsident Joe Biden seinen Wählern ein Ende aller »endlosen Kriege«, in denen die USA stecken.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Nach allem, was aus dem Nato-Hauptquartier in Brüssel zu hören ist, werden beim Verteidigungsministertreffen keine Entscheidungen über den Abzug der noch rund 10 000 im Land befindlichen Nato-Soldaten getroffen. Stattdessen will das Bündnis den Taliban noch eine »letzte Chance« einräumen, um zu den Verhandlungsergebnissen zurückzukehren und ernsthafte Friedensverhandlungen mit der Regierung in Kabul zu führen.
Warum aber sollten die das tun? Militärisch sind die Taliban in der Vorhand. Entsprechend eindeutig lesen sich auch ihre Drohungen. Mitte Februar nutzte man den 32. Jahrestag des sowjetischen Rückzugs aus Afghanistan, um dem Westen ein letztes Achtungszeichen zu setzen. Die Taliban fordern »alle Beteiligten der aktuellen Besatzung« dazu auf, »Lehren aus dem Schicksal der Sowjetunion und den gescheiterten Erfahrungen der aktuellen zwei Jahrzehnte andauernden Besatzung zu ziehen«. Kurzum: Die »verbrecherische Invasion« des Westens sei nicht irgendwann, sondern »sofort zu beenden«.
Wie die anderen Verbündeten, so ist auch die Bundeswehr - nach rot-grüner Unterwerfung unter den Willen der USA vor gut zwei Jahrzehnten - als zweitgrößter Truppensteller in den Krieg am Hindukusch verwickelt. Ihre derzeit knapp 1100 Soldatinnen und Soldaten, die fast sämtlich bei Masar-e Scharif stationiert sind, in nur wenigen Wochen heil und mit dem wichtigsten Material außer Landes zu bringen, überfordert die Truppe.
Doch ein Verbleib im Land kann kritisch werden. Nicht nur, weil das aktuelle Mandat des Bundestags Ende März ausläuft. Sicher wird nach dem Nato-Treffen ein entsprechender Verlängerungsantrag im Parlament eingehen. Doch im September sind in Deutschland Wahlen, und nach den politischen Gepflogenheiten soll eine abtretende Bundesregierung ihre Nachfolgerin (wie auch immer sie aussieht) nicht zu lange an Ererbtes binden. So dies nicht völkerrechtlicher Natur ist.
Deshalb ist damit zu rechnen, dass das nun zu beantragende Mandat sein Verfallsdatum Ende des Jahres erreicht. Damit müssen auch all jene rechnen, die in Afghanistan als Hilfsorganisation oder im Rahmen der Polizeiausbildung agieren. Deutschland klemmt - so wie die Nato insgesamt - fest in der selbst gebauten Durchhaltefalle.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) warnt vor einer »verschärften Sicherheitslage«. Das Auslandsführungskommando versetzte bereits daheim stationierte Verstärkungskräfte für die sogenannte Force Protection in eine 30-Tage-Bereitschaft und versicherte sich der Unterstützung niederländischer Infanteristen. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr stellte eine spezielle Einsatztruppe zusammen.
Auch wenn es im Mittelpunkt steht, so hat die Nato auf ihrem zweitägigen Gipfel nicht nur das Thema Afghanistan auf dem Tisch. Es geht auch um langfristige globale Entwicklungen und eine dazu passgenaue Nato-Reform. Stoltenberg will das Bündnis - auch angesichts der Erfahrungen mit dem abgewählten US-Präsidenten - stärker als Forum für transatlantische Fragen nutzen. Dabei sollen wirtschaftliche Themen oder Technologiefragen einbezogen werden. Zugleich regt er an, dass sich nicht nur die Außen- und Verteidigungsminister regelmäßig treffen, sondern auch die nationalen Sicherheitsberater der Mitgliedstaaten. Er erhofft sich davon mehr Verständnis füreinander, eine höhere Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit.
Unkomplizierter als in der Politik geht es bei den militärischen Fachleuten zu. Die Strategen blicken zwei, drei Jahrzehnte voraus und haben 2020 entsprechende Konzepte ausgearbeitet: eines zur »Abschreckung und Verteidigung des Euro-Atlantik-Raums« und eines, das sich »Nato Warfighting Capstone Concept« nennt. Die geheimen Schlachtaufstellungen wurden im Januar vom Nato-Militärkomitee hochgelobt.
Generell müsse man jedoch neben regionalen Konflikten die Risiken des internationalen Terrorismus sowie den Aufstieg Chinas im Blick haben. Und vor allem müsse man das »aggressive Vorgehen Russlands zurückweisen«. Nach umfangreichen Verstärkungen in den baltischen Staaten und Polen kommt nun zunehmend auch die südliche Nato-Flanke ins Spiel. Immer öfter tummeln sich US-Kriegsschiffe im Schwarzen Meer, um mit Alliierten im »russischen Hinterhof« zu üben. Dazu rechnet man auch Georgien und die Ukraine. Mitte des Jahres sollen erstmals deutsche Jets nach Bukarest verlegt werden.
Dass die aktuelle Nato-Tagung, wenn es um die Ursachen des gerade wieder einsetzenden neuen Rüstungswettlaufs geht, mit dem Finger Richtung Osten zeigt, ist absehbar. Parallel dazu müsse, so Stoltenberg, »die Finanzierung der Nato für unsere Kernaktivitäten in den Bereichen Abschreckung und Verteidigung erhöht werden«. Einsätze wie in Afghanistan oder Vorwärtsoperationen wie im Baltikum sollen demnächst nicht mehr national finanziert, sondern aus einer erweiterten Nato-Kasse bestritten werden.
Statt sich jetzt mit dringend benötigten Rüstungskontrollvorschlägen und Initiativen zur Vertrauensbildung hervorzutun, setzt die Bundesregierung auf die Weiterentwicklung des Militärs als wesentliches Instrument der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. So steht es im Positionspapier, das die Verteidigungsministerin und ihr Generalinspekteur nicht zufällig unmittelbar vor dem Nato-Gipfel lancierten. Diesem Papier entsprechend und um nicht - wie zu Amtszeiten Obamas und Trumps - wegen ungenügender Rüstungsanstrengungen am Pranger zu stehen, meldete man der Allianz wachsende Verteidigungsausgaben. Für das laufende Jahr stünden 53,03 Milliarden Euro bereit - eine Steigerung um 3,2 Prozent im Vergleich zu 2020. Das werden die USA und die Nato zur Kenntnis nehmen - und mehr fordern.
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