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EU-Staaten bald ohne Klimaziele?
Anke Herold warnt davor, in den Bereichen Verkehr und Gebäude allein auf den CO2-Preis zu setzen.
Nachdem die Europäische Union sich auf ein höheres Klimaziel von 55 Prozent weniger Treibhausgasen gegenüber 1990 bis zum Jahr 2030 geeinigt hat, steht in diesem Jahr die deutlich schwierigere Frage auf der Tagesordnung, wie dieses höhere Ziel konkret umgesetzt werden soll. Bisher wurde das Reduktionsziel zwischen dem EU-Emissionshandel und den restlichen emittierenden Sektoren aufgeteilt. Der Emissionshandel musste 40 Prozent des Ausstoßes in der Energiewirtschaft und den energieintensiven Industrien bis 2030 mindern, die Sektoren außerhalb des Emissionshandels - das sind Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft - mussten insgesamt 30 Prozent reduzieren. Für die Sektoren außerhalb des Emissionshandels galten verbindliche Reduktionsziele für jeden Mitgliedstaat in der Lastenteilungsverordnung. Die einzelnen Mitgliedstaaten müssen dann wirksame Minderungsmaßnahmen umsetzen.
Die Europäische Kommission möchte das nun grundlegend ändern. Sie hat drei Optionen zur künftigen Ausgestaltung vorgeschlagen, die sich in einem Aspekt ähneln: Die Ziele der Mitgliedstaaten werden entweder ganz abgeschafft oder der Teil der Emissionen, den diese Ziele umfassen, wird deutlich reduziert. Die erste Option weitet den Emissionshandel auf alle fossilen Brennstoffe in allen Sektoren aus (das sind vor allem Verkehr und Gebäude). Die Lastenteilungsverordnung mit den nationalen Klimazielen wird hingegen aufgegeben. Eine zweite Option weitet ebenfalls den Emissionshandel aus und behält gleichzeitig die Lastenteilungsverordnung bei, allerdings nur noch für einen deutlich reduzierten Umfang an Nicht-CO2-Emissionen, die nur ca. 30 Prozent der bestehenden Emissionen im Vergleich zum Status quo ausmachen. Eine weitere Option schlägt vor, den Emissionshandel auszuweiten und Lastenteilungsverordnung gleichzeitig anzuwenden und damit den Verkehr und Gebäudesektor doppelt zu regulieren.
Zu diesen Optionen hat die Kommission gerade einen Prozess der Öffentlichkeitsbeteiligung beendet. Es ist spannend zu sehen, dass nicht nur die Umweltverbände, sondern auch sehr viele Unternehmen und Industrieverbände die geplante Ausweitung des Emissionshandels auf die Sektoren Verkehr und Gebäude ablehnen und die verbindlichen Ziele der Mitgliedstaaten beibehalten und verschärfen wollen.
Die Umweltverbände kritisieren vor allem, dass die Option fehlt, die verbindlichen Ziele der Mitgliedstaaten entsprechend dem höheren EU-Ziel zu verschärfen. Ohne verbindliche Verantwortung für nationale Ziele, an denen die Mitgliedstaaten gemessen und zur Rechenschaft gezogen werden, wird es sehr unwahrscheinlich, dass die EU-Länder die notwendigen Instrumente in Form von Förderprogrammen, Standards, Regulierungen, Anreizen und Verboten beschließen, die den Klimaschutz erst wirksam machen. Und strenge nationale Klimaziele waren in der Vergangenheit auch die Bedingung dafür, dass die Staaten den Vorschlägen für klimaschützende EU-Regulierungen wie den CO2-Grenzwerten für Fahrzeuge zugestimmt haben.
Sehr viele Stellungnahmen auch aus der Industrie oder von den Energieversorgern äußern Bedenken gegen die Ausweitung des Emissionshandels auf den Verkehr und die Gebäude. Diese Sektoren reagieren wenig sensitiv auf kurzfristige Preissignale: Mieter können nicht einfach ihr Heizsystem wechseln. Menschen in ländlichen Gebieten haben oft keine Alternativen zum Auto. Das heißt, es gibt viele Hürden und Hemmnisse, die mit Förderprogrammen oder besseren Angeboten adressiert werden müssen.
Sehr viele Umwelt- und Wirtschaftsverbände befürchten, dass die Vorschläge zur Ausweitung des Emissionshandels vor allem Haushalte mit niedrigen Einkommen belasten würden. Und falls diese dann mit Ausgleichszahlungen entlastet würden, verschwindet wiederum die ökologische Wirkung des Preissignals. Der CO2-Preis ist wichtig, aber er wirkt aber im Verkehr und Gebäudesektor nicht alleine, sondern nur in einem Instrumentenmix. Und ohne verbindliche Klimaziele fehlt die Motivation für die einzelnen Staaten, einen solchen Mix gegen vielfältige Widerstände durchzusetzen.
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