• Politik
  • Textilarbeit in Bangladesch

Weder ausreichend Schlaf noch Respekt

Der Lohn der Textilarbeiterinnen in Bangladesch reicht oft nicht einmal für eine tägliche nahrhafte Mahlzeit

  • Fabeha Monir
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit der Coronapandemie haben Sie Ihren Job in der Textilfabrik Dragon Sweater verloren. Wie kam es dazu?

Am 25. März 2020 rief die Regierung in Bangladesch einen landesweiten Lockdown aus. Damit wurde alles geschlossen, auch die Fabrik. Es gab keinerlei Ankündigung oder weitere Informationen darüber, wann wir wieder zur Arbeit gehen können.

Hamida Begum

Hamida Begum ist 35 Jahre alt. Seit ihrem 17. Lebensjahr ist sie in der Textilbranche tätig. Von 2016 bis 2020 arbeitete die verwitwete, alleinerziehende Mutter im Schichtdienst in der Dragon-Sweater-Fabrik in Bangladesch. Dort stellte sie Kleidung für Firmen wie New Yorker, Lidl, Primark, Walmart, Zara und Mango her. Zum Lockdown im März wurde ihr gekündigt. Den Rest des Jahres kämpfte sie mit ihren Kollegen für ihren ausstehenden Lohn, für Sozialleistungen und faire Arbeitsbedingungen. Sie lebt mit ihrem Sohn, ihren Eltern und ihrer Schwester in einer Einraumwohnung in Dhaka. Mit ihr sprach Fabeha Monir.

Was passierte dann?

Wir waren sehr verunsichert. Schon vor dem Lockdown hatten wir seit vier Monaten kein Gehalt mehr bekommen. Generell waren die Arbeitsbedingungen sehr schlecht. Ich habe im neunten Stock der Fabrik in 12- bis 16-Stunden-Schichten gearbeitet. In der Zeit konnte ich etwa zwölf Pullover herstellen, sechs bei einem schwierigen Design. Als Frau erhielt ich kaum Erleichterungen.

Hatte sich die Situation mit der beginnenden Pandemie verschlechtert?

Schon seit 2016 war es immer dasselbe. Wir mussten stets darum kämpfen, bezahlt zu werden. Kein Einziger hat jemals pünktlich sein Gehalt erhalten. Jedes Jahr haben wir protestiert oder mussten die Produktion stoppen, damit der Fabrikbesitzer unsere Löhne zahlt. Wir legten mehrere Beschwerden beim Arbeitsministerium und anderen Verbänden ein, aber es änderte sich nie etwas Grundlegendes.

Was würde Ihnen und anderen Arbeitern derzeit am meisten helfen?

Gerechtigkeit. Wir wollen Gerechtigkeit für alle entlassenen Arbeiter. Die Fabriken wurden geschlossen und die Besitzer hatten es auf die Arbeiter abgesehen, die sich in Gewerkschaften engagieren, und auf ältere Arbeiter, die sie nur mit Vergünstigungen hätten entlassen können. Die Fabrikbesitzer nutzen diese Pandemie aus, um die Rechte der Arbeiter einzuschränken. Viele erheben gar nicht erst ihre Stimme, aus Angst, ihren Job zu verlieren. Uns wurde gesagt, dass die Entlassenen von Dragon Sweater eine Schande für die Industrie sind, weil wir öffentlich protestiert haben, und dass keiner von uns einen Job bekommen wird, weil Arbeitgeber keine Unruhestifter in ihren Fabriken wollen.

Wenn Sie es sich aussuchen könnten, was wäre ein faires Gehalt?

Als ich 2016 bei Dragon Sweater anfing, betrug mein Gehalt 6000 Taka (etwa 64 Euro) im Monat. Die Miete für meine Einraumwohnung betrug 3500 Taka (37 Euro). An manchen Tagen musste ich mich entscheiden, ob ich die Ausbildungskosten meines Sohnes begleiche oder Lebensmittel kaufe. Inzwischen beträgt unsere Miete 7000 Taka (75 Euro) und ich lebe zusammen mit meinen Eltern, meiner Schwester und meinem Sohn, damit ich Essen und die Ausbildung für meinen Sohn bezahlen kann. In unserer Unterkunft stehen wir Schlange, wenn wir kochen wollen, wir benutzen eine Gemeinschaftstoilette, die von fünfzehn anderen Familien benutzt wird. In der Vergangenheit ging ich jeden Tag eine Stunde zu Fuß zur Arbeit, da ich mir kein Fahrgeld leisten konnte.

Ich habe das Gefühl, dass ein Bettler hier mehr verdient als ein Textilarbeiter. Ich denke, dass nicht nur die Löhne fairer, sondern auch die Arbeitszeiten und der Arbeitsdruck verringert werden müssten. Wir haben Pullover für große internationale Firmen hergestellt, konnten uns aber selbst nicht einmal eine nahrhafte Mahlzeit am Tag leisten. Für das Leben in Dhaka sollte der Mindestlohn eines Textilarbeiters 15 000 Taka (160 Euro) betragen.

Was möchten Sie den Einkäufern der großen Firmen im Ausland über die Situation der Textilarbeiter mitteilen?

Ich fordere die Einkäufer dringend auf, nur Aufträge an Fabriken zu vergeben, die ihre Arbeiter gut behandeln. Sie sollten unsere Arbeitsbedingungen unvoreingenommen prüfen, wenn sie uns Aufträge erteilen. Ich bin stolz darauf, eine Arbeiterin zu sein, die schöne Kleidung für westliche Marken herstellt, aber im Gegenzug möchte ich ein menschenwürdiges Leben führen, in dem ich richtig essen kann, genug Schlaf bekomme und in einer Umgebung produzieren kann, in der wir mit Respekt behandelt werden.

Wie werden Sie in Zukunft Ihren Lebensunterhalt bestreiten?

Ich habe keine Hoffnung für unsere Zukunft. Trotz mehr als 15 Jahren Arbeitserfahrung bekomme ich keinen Job, weil ich für meine Rechte eingetreten bin. Ich konnte von der Arbeit, die ich all die Jahre gemacht habe, keinen einzigen Poisha (100 Poisha sind ein Taka, Anm. d. R.) sparen. Ich würde gerne weiter arbeiten und Kleidung für westliche Marken herstellen, aber ich habe keine Ahnung, was ich tun soll, wenn ich krank werde oder etwas Tragisches passiert, wie jetzt. Ich hoffe, dass die Welt die Arbeiter eines Tages als menschliche Wesen betrachtet und uns gut behandelt, indem sie uns einen existenzsichernden Mindestlohn zahlt.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.