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Freie Milliardäre und Laborratten
Leo Fischer über die Fluchtträume Superreicher weg von der verbrannten Erde
In etwa zehn Jahren könnte man sich auch einmal diese eigenartige Paradoxie anschauen: Während die Wirtschaftsverbände inmitten der Pandemie unablässig für die Rückkehr zu einer ominösen »Normalität« trommeln, für gefüllte Einkaufszentren, vollgepackte Flugzeuge und ein Weiter-so um jeden Preis, entfernen sich diejenigen, die von dieser Politik profitieren, immer mehr von der Welt. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Der ehemalige Amazon-Chef Jeff Bezos erklärte in einem legendären Interview, sein Vermögen sei so groß, dass er es sinnvollerweise nur in den Weltraumflug investieren könne - während seine Mitarbeitenden wegen der nahezu abgeschafften Toilettenpausen Windeln trugen. Der reichste Mann der Welt, Elon Musk, träumt von Marskolonien und einer Abschaffung jenes Sozialstaates, der ihm seine Projekte so großzügig subventioniert hat.
Den Milliardären wird die Erde zu heiß, buchstäblich. Während sie die Klimaszenarien als pessimistisch abtun oder auf neue Technologien hinweisen, die in 50 Jahren kein einziges Dieselauto abgeschafft haben, bereiten sie sich auf den Exodus vor. Die Erde ist ausgeplündert, noch in diesem Jahrhundert wird sie vielerorts unbewohnbar sein. Corona wird keine Episode sein, Pandemien vielmehr die Regel, wenn der zügellose Raubbau an den letzten noch unerschlossenen Biotopen weitergeht. Um es mit UNO-Generalsekretär António Guterres in geradezu rührender Infantilität zu sagen: »Unser Planet ist kaputt!«
Es gibt Pläne, das Schlimmste zu verhindern. Alle diese Pläne verlangen jedoch einen radikalen Umbau der Gesellschaft und der Wirtschaftssysteme. Und viele davon sehen die Existenz von Milliardären nicht mehr vor. Deswegen erscheint ihnen die Flucht ins All - so teuer und sinnlos sie gesamtgesellschaftlich sein mag vor dem Hintergrund, dass es nicht einmal eine einzige Milliarde bräuchte, um den gröbsten Welthunger fürs erste zu stillen - als reelle Alternative. Und weil sich die Mehrheit der Bevölkerung kulturell stärker mit Milliardären identifiziert als mit Klimageflüchteten - obwohl es unendlich viel wahrscheinlicher ist, in den nächsten zehn Jahren zur zweiten statt zur ersten Gruppe zu gehören -, erfahren sie für ihre Pläne kaum Widerstand. Dabei wäre individualethisch wohl nichts so sehr zu verdammen wie der Wunsch, einen Planeten erst auszuplündern, um dann 99 Prozent der Weltbevölkerung auf seinen Überresten zurückzulassen.
Denn dass die Milliardärs-Gesellschaften, die dort oben mit den letzten Ressourcen der Erde entstehen sollen, in irgendeiner Form demokratisch sein könnten, ist fraglich. Erste Experimente dazu laufen schon auf Erden: In verstörenden Szenarien träumt eine Gruppe von Ultraliberalen von »freien Privatstädten«, »private cities«, die sich per Vertrag von einem Staatsgebiet unabhängig machen.
Auf den deutschen Seiten einer solchen Initiative, freeeprivatecities.com, träumt ein Titus Gebel von der Abschaffung von Steuern, Sozialabgaben und Parlamenten in solchen ultimativen Gated Communities, und verrät kaum verschnörkelt, was er dort vorhat: »Auch für Ungelernte gibt es - mangels Mindestlohnvorschriften - Verwendung. Neue Medikamente und Behandlungsmethoden sind jedem Erwachsenen zugänglich, der diese in Kenntnis des möglichen Risikos testen will.«
Eine entrechtete Unterschicht als lebenslange Laborratten einer unreglementierten Pharmaindustrie - das ist alles, was das Kapital derzeit als Utopie zu bieten hat. Wie tröstlich und unschuldig die Bilder der Sonde »Perseverance« dagegen aussehen, von einem menschenleeren Mars. Man wünscht ihr, dass sie dort noch lange alleine bleiben darf.
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