Epidemie-Versicherung für die ganze Welt
Corona ging auch an der Allianz und ihren Kunden nicht spurlos vorüber
Oliver Bäte schaut einen Moment lang grimmig. Der Konzernchef der Allianz »ärgert sich, wenn Kunden denken, sie sind versichert, sind es aber gar nicht«. Das verriet Bäte auf der Bilanzpressekonferenz am Freitag. Dabei ging es ihm um Betriebsunterbrechungen wegen der Corona-Pandemie. Die Allianz wie auch das Gros der Versicherer haben sich bisher geweigert, Inhaberinnen und Inhaber einer Betriebsschließungsversicherung (BSV) voll zu entschädigen, wenn die Firma im März infolge einer staatlichen Corona-Allgemeinverfügung dichtmachen musste.
Besonders hart getroffen hat die Blockade der Versicherer die Gastronomie. Die Allianz schickte ihre Anwälte los, um eine gütliche Einigung zu finden. In den meisten Fällen scheint es gelungen zu sein. Die Basis dafür bildete der sogenannte Bayerische Kompromiss. Er wurde im April 2020 während des ersten Lockdowns ausgearbeitet. Beteiligt daran waren die Bayerische Landesregierung, der Gaststätten- und Gewerbeverband (DEHOGA) in Bayern sowie mehrere Versicherungsunternehmen.
Bundesweit schlossen sich weitere Assekuranzen dem Kompromiss an. Er sieht vor, dass die Versicherer zehn bis 15 Prozent der vereinbarten Tagessumme ersetzen müssen, wenn Hotels und Gaststätten aufgrund einer Corona-Allgemeinverfügung dichtmachen mussten. Begrenzt war die Zahlung zudem auf 30 Tage, obwohl bei Betriebsschließungspolicen oft auch Zeiträume von 60 Tagen versichert sind.
Das fanden nicht alle Wirte geschmackvoll. Eine Reihe von Gastronomen klagte vor Gericht. Bislang meist erfolglos. »Alle zwölf bisherigen die Allianz betreffenden Urteile bestätigen unsere Rechtsauffassung, dass Betriebsschließungen durch/mit Covid-19 in unseren Verträgen nicht versichert sind«, ließ der Konzern Ende Januar wissen. Dass diese Verweigerungshaltung nicht ohne Folgen blieb, zeigt freilich eine Umfrage: Die Zahl der Bundesbürger, die ein negatives Image von der Versicherungsbranche gewonnen haben, stieg während der Krise um 21 Prozentpunkte an.
Die Allianz, einer der größten Versicherer der Welt und in 70 Ländern tätig, will nun ihre Verträge einfacher machen, damit klarer wird, was versichert ist und was nicht. Und der Vorstand träumt von einer Epidemie-Versicherung am besten für die ganze Welt. Dabei könne die Privatwirtschaft nur einen Bruchteil der Risiken tragen, glaubt Allianz-Finanzvorstand Guido Terzariol. Den großen Rest müsse der Staat übernehmen, so der Versicherungsmanager.
Dabei könne der deutsche Spezialversicherer Extremus als Vorbild dienen, so Terzariol. Die Versicherungs-AG wurde im Jahr 2002 in der Versicherungshochburg Köln gegründet, um weltweit Schäden durch Terroranschläge auf deutsche Firmen abzudecken. Extremus haftet für eine Summe von bis zu 2,5 Milliarden Euro. Bei höheren Beträgen würde der Staat einspringen, der mit einer Garantiesumme von 6,5 Milliarden Euro im Feuer steht.
Die nächste Epidemie würde allerdings noch in andere Dimensionen vorstoßen. Bis Ende September hatte die Allianz für die Folgen der Coronakrise 1,3 Milliarden Euro ausgegeben, davon rund 900 Millionen in der Sachversicherung. Die Allianz hat dennoch auch 2020 einen satten Milliardengewinn eingefahren. Der Münchener Konzern erzielte im vergangenen Jahr ein Operatives Ergebnis von 10,8 Milliarden Euro. Im vierten Quartal hielten sich negative und positive Aspekte dann die Waage. So sanken aufgrund der geringeren Mobilität der Menschen und weniger Operationen in den Krankenhäusern die Zahlungen der Allianz in der privaten Unfall- und Krankenversicherung.
Gedankenspiele in der Branche gehen noch über die nationale Epidemie-Versicherung hinaus. Rückversicherer wie die weltweite Nummer eins, Münchener Rück, könnten ganze Staaten gegen Pandemien rückversichern. Für die Versicherer wären dies eigentlich ganz normale Verträge. Finanziert werden könnten diese durch die Verbraucher: Beispielsweise beim Kauf jeder Versicherung, etwa fürs Auto oder den Hausrat, zahlt man einen sehr kleinen Prozentsatz in die Katastrophenkasse des Landes. Bei armen Staaten könnten Spender, Weltbank und Vereinte Nationen einspringen.
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