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Liebe, Fürsorge, Mietendeckel

Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) kritisiert »Neiddebatte« um das Gesetz

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

»Liebe entgegensetzen« möchte Berlins Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) jenen, »die Hass säen«. Das sagte er am Montag bei seiner Jahrespressekonferenz, einen Tag, bevor der Mietendeckel sein Jubiläum feiert. Am 23. Februar 2020 ist das »Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen« in Kraft getreten. Für Scheel ist das Gesetz, das Rot-Rot-Grün nach intensiver Diskussion beschlossen hat, Teil dieser Liebe, die sich im politischen und staatlichen Handeln durch Fürsorge zeigt. »Wir haben vielen Menschen die Hoffnung gegeben, dass sich Politik um deren Anliegen und Probleme kümmern«, so der Senator.

Unter Hass fällt bei ihm auch die »Neiddebatte, die von der Wohnungswirtschaft aufgemacht wird«. Gebetsmühlenartig wiederholen deren Vertreter und auch die Opposition, dass vom Mietendeckel vor allem Wohlhabende profitieren, deren Mieten zum Teil um Hunderte Euro monatlich gesunken sind. Gerne ist die Rede von der »topsanierten Altbauperle in Bestlage«, die sich nun auch finanziell schlechtergestellte leisten könnten. »Auch am Kudamm wohnen nicht nur reiche Leute«, sagte Scheel. Einzelne Gebiete in der Stadt sollten weder zum Ghetto noch zur Gated Area werden. »Dafür brauchen wir Mieten, die für alle bezahlbar sind«, so der Senator. »Eine Einstellung von Immobilieneigentümern, der Staat soll sich um die Habenichtse kümmern, ist falsch«, sagte er mit Blick auf den Wohnungskonzern Akelius, der luxussanierte Wohnungen für Mietpreise bis zu 40 Euro pro Quadratmeter inseriert.

Das Portal Immoscout24 berichtet in einer aktuellen Auswertung über eine 30-prozentige Abnahme des inserierten Wohnungsangebots im für den Mietendeckel relevanten Segment der Baujahre vor 2014. Gegner des Mietendeckels führen an, dass Wohnungen einfach nicht mehr vermietet werden, sobald sie leer stehen. Der Stadtentwicklungssenator hält das für etwas zu kurz gegriffen, da ein Großteil des Marktes nicht über solche Portale abgebildet wird. Je günstiger die Mieten sind, um so öfter werden sie über private Kontakte weitergegeben. Auch landeseigene Wohnungsbaugesellschaften inserieren höchstens eine Handvoll teurer Ladenhüter unter ihren Neubauwohnungen dort.

Weiter abgenommen hat hingegen die Fluktuation. Bei den Landesunternehmen lag die Quote in den ersten drei Quartalen 2020 nur noch bei rund 3,2 Prozent. Rechnerisch findet also nur alle 31 Jahre ein Mieterwechsel statt. Zwischen Januar und September 2019 lag die Fluktuationsrate noch bei etwa 3,7 Prozent, das entspricht einem Mieterwechsel alle 27 Jahre. Die Stadtentwicklungsverwaltung vermutet, dass bei anderen Vermietern die Entwicklung ähnlich ist, was einen Großteil des Rückgangs erklären würde. »Ich sehe eher, dass es eine Erfolgsgeschichte ist. Leute müssen nicht mehr umziehen«, sagt Scheel.

Natürlich hänge das auch mit der rechtlichen Unsicherheit zusammen, räumt er ein. Bekanntlich steht eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Frage an, ob Berlin die Kompetenz hat, den Mietendeckel zu erlassen und ob auch alle Regelungen verfassungskonform sind. Angekündigt war ein Urteil für das zweite Quartal dieses Jahres. Ob die Richter den Zeitplan einhalten werden, ist unklar, unter anderem, weil beide Senate des Bundesverfassungsgerichts involviert sind, was zusätzlichen internen Abstimmungsbedarf bedeutet.

»Ich persönlich wäre sehr froh, wenn möglichst schnell entschieden würde«, sagte Senator Scheel. Er sei »sehr zuversichtlich«, was die Frage angehe, ob das Land so ein Gesetz beschließen dürfe. Neue Schützenhilfe gibt es vom Jura-Professor Thomas Ackermann von der Münchner Ludwigs-Maximilians-Universität, der sich in einem aktuellen Aufsatz in der »Juristenzeitung« für eine landesrechtliche Kompetenz bei der Mietpreisregulierung ausspricht, auch wenn er am Berliner Mietendeckel kein gutes Haar lässt.
Größere Fortschritte als zunächst erwartet hat Berlin beim landeseigenen Neubau gemacht. Exakt 5792 Wohnungen haben die Wohnungsbaugesellschaften 2020 fertiggestellt. Erstmals kratzten die sechs Unternehmen damit an der Zielmarke von rechnerisch 6000 neuen Wohneinheiten pro Jahr, die im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag 2016 vereinbart worden war. 2021 werden voraussichtlich nur 4337 neue Wohnungen fertig, 2022, sollen es dann 7281 Stück werden.

Schlupflöcher werden geschlossen
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Das Ziel von 30 000 Neubauwohnungen von 2016 bis 2021 ist damit nur zu zwei Drittel erfüllt worden. »Im Verhältnis zu den Straßenbahnprojekten sind wir richtig gut«, kann sich Scheel einen Seitenhieb auf Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) nicht verkneifen. Man sei »planerisch noch nicht so weit« gewesen begründet er die Verfehlung des Wohnungsbauziels. Das sei für die nächsten Jahre nun anders, mit einer Projektpipeline von über 63 000 neuen Wohnungen – fast doppelt so viel wie zum Regierungsantritt Ende 2016.

»Ich gebe zu, es gab in dieser Legislatur einiges nachzuholen. Wir haben insofern einige Jahre verloren«, sagte der Stadtentwicklungssenator. Er geht davon aus, dass nach der aktuellen Wachstumsdelle wegen Corona – die Berliner Bevölkerung ist 2020 praktisch konstant bei rund 3,77 Millionen Menschen verharrt – der Zuzug wieder einsetzen wird.
»Wir haben eine große Freude an der Aufgabe die Stadtentwicklung in unserer wunderbaren Stadt zu gestalten und wollen auch bleiben. Ich muss alle enttäuschen, die die Erwartung haben, unser Haus zu übernehmen«, stellt Scheel den Anspruch der Linken auch nach der Wahl klar.

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