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Wie man einen Kontinent destabilisiert

Als der Kalte Krieg in Lateinamerika begann: Mario Vargas Llosa hat einen Roman über den US-Putsch 1954 in Guatemala geschrieben

  • Tom Wohlfarth
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war die US-Regierung von George W. Bush, die in der Folge von 9/11 und insbesondere im Zusammenhang mit der Invasion im Irak 2003 die Formel vom »Präemptivschlag« prominent bemühte, um nicht von »Präventivkrieg« sprechen zu müssen. Das schien ihr moralisch zu gewagt. Gleichwohl ging es nicht zuletzt um die Sicherung ökonomischer Interessen - und letztlich bewirkte sie das Gegenteil von Kriegsprävention: die anhaltende Destabilisierung der gesamten Region.

Dass die Bush-Regierung hier keineswegs originell, nur skrupelloser war als ihre Vorgänger, zeigt Mario Vargas Llosa in seinem Roman »Harte Jahre«, der von einem dramatischen Wendepunkt in der Geschichte Guatemalas und damit ganz Lateinamerikas erzählt. Im Jahr 1954 nahm die US-Regierung unter Präsident Eisenhower mithilfe der CIA und tatkräftiger Unterstützung der Werbe-, um nicht zu sagen Propaganda-Strategen des Bananenhandelsimperiums United Fruit auch das Konzept der Fake News vorweg, um die demokratisch gewählte Regierung von Jacobo Árbenz völlig kontrafaktisch als kommunistisch zu diskreditieren - und letztlich zu stürzen.

Äußerst kunstvoll und außerordentlich komplex entfaltet der peruanische Literatur-Nobelpreisträger seine Personen- und Beziehungsgeflechte und hantiert schon in den ersten Kapiteln mit ausreichend Stoff für zahlreiche Staffeln einer vielleicht dereinst zu entwickelnden Fernsehserie, die nicht minder spannend und wendungsreich wäre als etwa der Netflix-Hit »House of Cards«, dafür aber leider um einiges realistischer.

Es beginnt allerdings thematisch eher mit »Mad Men«, der HBO-Serie über die Werbeagenten der New Yorker Madison Avenue in den frühen 60er Jahren. Denn einer deren Pioniere war auch Edward Bernays, ein Neffe Sigmund Freuds und Erfinder der »Public Relations« im Sinne von »Propaganda« und »psychologischer Kriegsführung«, der Mitte der 40er Jahre die PR-Arbeit der United Fruit Company (UFC, heute Chiquita) übernahm. Nach dem Sturz des Diktators Jorge Ubico 1944 und den ersten freien Wahlen in Guatemala fürchtete die US-Firma um ihre neokoloniale Vormachtstellung in dem Land.

Als nach der Wahl Árbenz’ 1951 die Regierung schließlich im Rahmen umfassender Reformen begann, ungenutzte Teile des gigantischen Grundbesitzes der UFC gegen Entschädigung an landlose Bauern zu verteilen, war für die USA offiziell die Schmerzgrenze zum Kommunismus überschritten. Das entbehrt nicht der Ironie, war Árbenz’ erklärtes Ziel doch vielmehr, Guatemala in eine kapitalistische Demokratie nach dem Vorbild der USA zu verwandeln. Da das aber den Geschäftsinteressen der UFC entgegenstand, taten Eisenhowers Außenminister John Foster Dulles und sein Bruder, CIA-Chef Allen Dulles, beide einst Juristen für die UFC, mithilfe von deren Werbeabteilung einfach so, als stünde eine Übernahme Guatemalas durch die Sowjetunion bevor, und initiierten 1954 einen Militärputsch durch den späteren Diktator Carlos Castillo Armas zur vermeintlichen »Befreiung« des Landes.

In schroffen Ort- und Zeitsprüngen kreist Llosa die zentralen Ereignisse - den Putsch und die bald folgende Ermordung von Armas 1957 - immer weiter ein, erzählt dabei aus den Perspektiven unterschiedlicher, vor allem historischer Figuren, darunter auch Árbenz und Armas (im Hörbuch entsprechend facettenreich gelesen von Johannes Steck). Das ist vor allem am Anfang unübersichtlich und in seinen Bauprinzipien nicht immer gleich nachvollziehbar. Nach und nach entfaltet sich jedoch ein beeindruckendes Panorama der gesamtamerikanischen Geschichte in den äußerst harten Jahren der Frühphase des Kalten Krieges mit seinen zahlreichen Stellvertreterkonflikten.

Ins erzählerische Zentrum rückt dabei die einzigartig zwielichtige Figur eines übergewichtigen ehemaligen Pferdesportreporters aus der Dominikanischen Republik, der (nach Llosas Darstellung) im Auftrag des dortigen Diktators Rafael Trujillo, der eine wichtige Rolle beim Armas-Putsch gespielt hatte, die Ermordung der sich als selbstherrlich undankbar erweisenden Marionette Armas erledigte. Erwiesen ist das zwar nicht, aber es unterlegt Llosas stupende Geschichtsstunde mit einer adäquaten Ladung Sex & Crime. Umso mehr, wenn dieser galant-grausame Abbes García es letztlich vor allem auf Armas’ Geliebte, Marta Borrero Parra, genannt »Miss Guatemala«, abgesehen hat, die später eine einflussreiche prodiktatorische Journalistin werden sollte.

Die Ereignisse in Guatemala, mit der verheerenden Rolle der US-Wirtschaft und -Politik, die schließlich mehr als dreißig Jahre Diktatur und Bürgerkrieg zur Folge hatten, sind seit damals oft beschrieben worden. Angesichts der überbordenden Bilanz US-amerikanischer Geheimdienst-Putschhistorie im vergangenen Jahrhundert bis hin zu den quasi-diktatorischen Qualitäten der Trump-Regierung kommt diese eindrückliche Auffrischung aber alles andere als ungelegen.

Auch macht sie die Tragik des Präemptionsprinzips offenbar, das die Bedrohung, die es zu verhindern vorgibt, erst erzeugt: im Falle von Guatemala die dauerhafte Destabilisierung eines demokratisch-souveränen Staates - und letztlich eines ganzen Kontinents -, nur eben gerade nicht durch die vermeintliche Expansion des Sowjetkommunismus, der überhaupt erst durch die folgende Radikalisierung der Linken Lateinamerikas dort Fuß fasste. Am folgenreichsten im Kuba von Fidel Castro und Che Guevara, der den Putsch in Guatemala als damals noch gemäßigter Árbenz-Anhänger miterlebt hatte.

Llosa liefert mit dieser keineswegs nur schwer verdaulichen Kost jener so harten wie hoffnungsvollen Jahre virtuose Aufklärungsarbeit, um solche Zeiten in Zukunft hoffentlich etwas öfter zum Besseren wenden zu können.

Mario Vargas Llosa, Harte Jahre. A. d. Span. v. Thomas Brovot. Suhrkamp, 411 S., geb., 24 €. Als Hörbuch erschienen im Hörverlag.

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