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Lernen nur mit Pass
Kinder ohne Papiere sind vom Schulbesuch oft ausgeschlossen
Seit dieser Woche strömen die ersten Schüler*innen zurück in die Klassenzimmer - doch nicht alle schulpflichtigen Kinder werden dabei sein können. Denn während hitzig darüber diskutiert wird, wie sinnvoll die schrittweise Öffnung angesichts der noch nicht zugelassenen Schnelltests ist, wird eine Gruppe oft vergessen, für die Bildung alles andere als selbstverständlich ist: Kinder ohne Papiere. »Wir haben ein Schulbesuchsrecht in Berlin, aber viele Bezirksämter setzen das nicht um«, kritisiert Susanne Schultz von der Kampagne Legalisierung Jetzt. Weil viele Schulämter, Direktor*innen und Lehrer*innen nicht wüssten, wie sie mit Kindern mit unsicherem Status und fehlender Krankenversicherung umgehen sollen, würden sie diesen häufig den Schulzugang de facto verwehren, indem sie eine Meldebestätigung, Geburtsurkunde oder Ausweisdokumente verlangen - was illegalisierte Menschen nicht vorlegen können.
Angst vor Entdeckung
Aus Angst davor, von den Ausländerbehörden entdeckt und im schlimmsten Fall abgeschoben zu werden, würden Menschen ohne Papiere ihr Kind daraufhin häufig nicht zur Schule schicken - obwohl auch illegalisierte Kinder ein Recht darauf haben. Auch sind Schulen explizit von der in Paragraf 87 Aufenthaltsgesetz enthaltenen Meldepflicht von öffentlichen Stellen ausgenommen. Schulleitungen müssen im Gegensatz zu anderen Behörden nicht an Ausländerbehörden melden, wenn sie vom fehlenden Aufenthaltsstatus eines Kindes erfahren.
Unwissenheit bei Schulleitungen
Dennoch beharrten viele Schulleitungen auf der Vorlage von Dokumenten und verhinderten damit die Anmeldung illegalisierter Kinder - oft aus Unwissenheit, sagt Susanne Schultz, die solche Fälle aus ihrer Arbeit bei der Initiative Respekt kennt. Dabei ist eine Anmeldung auch ohne gültige Papiere möglich. »Der Senat sollte seine Politik auch umsetzen und Schulen und Schulämter informieren, wie sie mit Kindern ohne Papiere umgehen sollen, um das Besuchsrecht auch umzusetzen«, fordert Schultz. Gemeinsam mit der Kampagne Legalisierung jetzt will sie an diesem Mittwoch vor der Senatsbildungsverwaltung mit einer Demonstration auf die Probleme aufmerksam machen.
Die Senatsverwaltung verweist gegenüber »nd« darauf, in engem Kontakt mit den entsprechenden Stellen zu stehen. Erst im Januar habe man Gespräche mit den regionalen Außenstellen, den Koordinierungsstellen für Willkommensklassen und Vertreter*innen der Schulämter durchgeführt, wie Förderangebote für sozial benachteiligte Schüler*innen umgesetzt werden und der Kontakt zu ihnen gehalten werden kann. Auch gebe es Informationen und Handreichungen für Lehrkräfte zur Beschulung Neuzugewanderter. Nachgefragt, wie Kinder ohne Papiere ihr Recht auf Bildung wahrnehmen können, heißt es schmallippig: »Jedes Kind, das in Berlin lebt, ist schulpflichtig.«
Für Tom Erdmann, Vorsitzender der Gewerkschaft GEW Berlin reicht es nicht, dass Schulen den Aufenthaltsstatus nicht melden müssen. »Einige Schulleitungen fühlen sich hierzu dennoch berufen. Entweder aus Unwissenheit oder aus Überzeugung für ein strenges Aufenthaltsrecht«, so Erdmann zu »nd«. Er fordert stattdessen eine Schweigepflicht zum Aufenthaltsstatus der Kinder und deren Familien für Schulen und Schulaufsicht, ähnlich wie bei Ärzt*innen. »Die dürfen ja auch nicht den Aufenhaltsstatus der Patient*innen weitergeben. Das sollte im Bildungsbereich nicht anders sein.«
Die Kampagne Legalisierung Jetzt geht von 60 000 bis 100 000 Menschen aus, die in Berlin ohne Papiere leben, darunter viele Minderjährige, deren Schulzugang nach dem Lockdown nicht gewährleistet sei. »Wie viele genau, können wir nicht sagen, man weiß es einfach nicht«, sagt Schultz. Eine amtliche Statistik gibt es nicht.
Situation Illegalisierter verschärft sich
Schultz und ihren Mitstreiter*innen geht es daher um mehr als nur die Möglichkeit eines Schulbesuchs: »Es braucht eine Legalisierung dieser Menschen, gerade jetzt in der Pandemie«, fordert sie. Denn die Situation der Illegalisierten verschärfe sich in der Coronakrise dramatisch: Weder seien sie im offiziellen Impfplan vorgesehen, noch hätten sie einen ausreichenden Zugang zur Gesundheitsversorgung. Auch die Möglichkeit, sich auf Covid-19 testen zu lassen, bestehe für sie nicht. Die Clearingstelle der Berliner Stadtmission für Menschen ohne Papiere kritisiert Schultz als »sehr bürokratisch«. Die Kampagne fordert eine Anonymisierung der Gesundheitskarte und eine Existenzsicherung für alle. Denn viele illegalisierte Migrant*innen arbeiten häufig informell als Reinigungs- oder Aushilfskräfte in Restaurants oder privaten Haushalten und haben im Lockdown ihre Jobs verloren. Anspruch auf Entschädigung haben sie ohne Dokumente nicht und stehen daher vor dem Nichts.
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