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Silicon Valley gegen Wall Street
Digitalisierung und der Aufstieg der Tech-Konzerne bringen die Finanzmärkte an ihre Grenzen
Musks Sympathien kommen nicht von ungefähr: Sein Unternehmen Tesla, Hersteller von Elektroautos, die gleichzeitig gewaltige Datenverwerter sind, gehört zusammen mit dem iPhone-Konzern Apple zu den »Meme-Stocks« der ersten Stunde. Ein Tesla gilt in der jungen Tech-Szene als cool und Zukunft des Fahrens.
Doch Musk geht es nicht nur darum, den jungen Fans etwas zurückzugeben. Er fühlt sich ihnen auch politisch verbunden. Tesla musste 2016 an die Wall Street gehen, um ausreichend Kapital für die geplante Expansion zusammenzubekommen. Ein Schritt, der Musk nicht leicht fiel. Er gehört zu den Start-up-Gründern, die sich als geniale Erfinder und Visionäre sehen, die sich nicht von Zahlendrehern aus der Finanzwelt reinreden lassen wollen.
Doch es kam sogar noch schlimmer: Immer wieder wetteten Hedgefonds mittels Leerverkäufen auf sinkende Kurse, denn Tesla machte bis zum Jahr 2020 keine Gewinne und hatte große Probleme mit dem Beginn der Massenproduktion. Börsenabstürze sind aber nicht nur schlecht fürs Geschäft, sondern für Musk auch Majestätsbeleidigung, da er nichts weniger als den größten Autobauer der Welt auf die Beine stellen will. Mit den Reddit-Aktionären teilt er nicht nur den Hass auf die Wall Street, sondern auch auf die staatliche Börsenaufsicht SEC, die ihm wegen kurstreibender Tweets immer wieder Ärger machte und ihn sogar zwang, einen Teil seiner Macht im Unternehmen abzugeben. Musk bezeichnete die SEC schon einmal als »Leerverkäuferbereicherungskomission«.
Tesla ist alles andere als ein Einzelfall im Silicon Valley und in der Welt der Tech-Start-ups generell. So modern und unkonventionell die Gründer auch auftreten, sie erinnern mehr an die Zeit des Frühkapitalismus und der Industriellenfamilien, als der Unternehmer alleiniger Herr im Haus war, während sich heute ein angestellter Vorstand von Aufsichtsrat und wichtigen Kapitalgruppen alles Wichtige absegnen lassen muss. Im Silicon Valley stimmen sich die Gründer maximal mit wenigen Risikokapitalgebern ab und haben ansonsten freie Hand, um ihre innovativen Geschäftsideen umzusetzen. Ab einer bestimmten Größe müssen sie aber an die Börse, dann reden plötzlich anonyme Großaktionäre oder Finanzfirmen von der fernen Wall Street mit.
Es wirkte wie ein Schock, als aggressive Hedgefonds im vergangenen Jahr fast Twitter-Chef Jack Dorsey gestürzt hätten, wenn er nicht letztlich einem milliardenschweren Aktienrückkauf zugestimmt hätte – eine Maßnahme, die lediglich den Aktienkurs hochtreibt (Hedgefonds wetten nicht immer auf fallende Kurse, sondern setzen oft auch auf steigende), die aber Mittel verschwendet, welche für Investitionen in die Expansion gebraucht werden. Selbst der ansonsten übermächtige Apple-Konzern machte schon einmal eine ähnliche Erfahrung.
Wegen dieses Grundkonflikts möchte das Silicon Valley den Einfluss der Wall Street stark begrenzt sehen. Doch es geht hierbei auch um Grundsätzliches. Aktien gehören nach Karl Marx zum »fiktiven Kapital«. Die Inhaber der Papiere bekommen nicht das Kommando über einen Anteil an der mehrwerterzeugenden Lohnarbeit, sondern nur ein Anrecht auf einen Anteil am Profit. Mit dem politischen Konzept des Neoliberalismus, das sich ab den 1970er Jahren durchsetzte, verschoben sich die Machtverhältnisse. Im Shareholder-Value-Kapitalismus wurde das Fiktive zum wichtigsten Maßstab: Ziel ist der Anstieg des Börsenwertes und des Gewinns pro Anteil. Vorstände agieren im Interesse der Großaktionäre. An der deregulierten Börse zirkulieren die zigfachen Werte im Vergleich zur Realwirtschaft.
Aus Sicht des Silicon Valley ist der Neoliberalismus eine völlig verstaubte Ideologie. Die neuen Wirtschaftsführer unterscheiden sich schon durch ihr lockeres Outfit mit Hoody und Sneakern von den Gucci tragenden Investmentbankern. Besonders seit der Finanzkrise haben letztere massiv an Einfluss verloren. Die Techkonzern-Gründer wollen sich nicht von den Wünschen der Wall Street knebeln lassen. Aktien sollen quasi wieder zu rein fiktivem Kapital werden. Und nicht nur das: Viele der neuen Börsen-Stars machen gar keinen Profit, der an die Aktionäre zu verteilen wäre. Und der Unternehmenswert bemisst sich mehr an immateriellen Gütern wie Software, riesigen Datenmengen, Design, Patente, Marken, Relevanz und Bekanntheitsgrad, deren Bewertung fast schon beliebig ist.
Zumal es etwa bei den Daten gar kein Eigentum gibt, sondern es um Kontrolle über sie geht. Und selbstlernende Algorithmen ersetzen teilweise die Mehrwertproduktion durch Arbeiter. Die Berechnung eines Unternehmenswertes, auf dem die Wall-Street-Welt praktisch aufbaut, wird dadurch noch mehr zu Alchemie. Hinzu kommt, dass Fintech-Start-ups Dienstleistungen der alten Banken kostengünstiger übernehmen, deren Geschäftsmodell dadurch zunehmend ausgehöhlt wird.
Die Digitalisierung verändert Wirtschaft und Gesellschaft, bringt einen neuen Liberalisierungsschub. Viel wird in der Linken darüber diskutiert, ob dadurch ein Turbokapitalismus erschaffen wird oder ob sich nun eine postkapitalistische Perspektive auftut. Der britische Publizist und linke Theoretiker Paul Mason ist ganz optimistisch: Der digitale Kapitalismus biete die Perspektive auf eine »kollaborative Allmendeproduktion«. Die Open-Source-Bewegung zeige, dass in einer Wirtschaft voller Daten und Informationen neue Formen des Besitzes und Umgangs mit Eigentum nötig seien. Masons Credo: »Eine auf Wissen beruhende Volkswirtschaft kann aufgrund ihrer Tendenz zu kostenlosen Produkten und schwachen Eigentumsrechten keine kapitalistische Volkswirtschaft sein.«
So gesehen, müsste die Bewegung der Wallstreetbets ebenfalls als ein Schritt in diese Richtung gesehen werden. Hier wird ja »wertvolles« Wissen millionenfach geteilt. Und Reddit wie Robinhood, beide haben ebenfalls ihren Ursprung im Silicon Valley, bieten den Nutzern kostenfrei ihre Dienste an.
Doch bislang stehen natürlich auch die Betreiber dieser Apps nicht außerhalb des Kapitalismus. Reddit, eines der reichweitenstärksten sozialen Medien, versucht es in Sachen Monetarisierung vor allem mit Werbung. Allerdings nicht besonders aggressiv, da die Nutzer eher abweisend reagieren. Im Vergleich zu Twitter setzt man pro Nutzer nur einen Bruchteil um. Robinhood wiederum macht Geld mit dem Verkauf von Handelsdaten der Nutzer an Hochfrequenzhändler, die von dem Marktwissen profitieren, während Nutzer möglicherweise schlechtere Kaufkonditionen haben. Und so machen nicht nur die Neo-Aktionäre, wenn es gut läuft, viel Geld – man kann es auch mit ihnen machen. Kurt Stenger
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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