• Sport
  • Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport

Volkssportler als Versuchskaninchen

ARD-Doku berichtet von Doping an DDR-Hobbyathleten in den 1970er Jahren am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport in Leipzig

Hans-Albrecht Kühne war Mitte 20, Journalistikstudent in Leipzig und ein talentierter Freizeitläufer, als er sich 1974 zum Mitwirken in einer ungewöhnlichen Trainingsgruppe überreden ließ: In der »Forschungsgruppe Lauf«, die der Ex-Hindernisläufer und Sportarzt Hermann Buhl am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport anleitete, lief Kühne als Volkssportproband mit.

In der FKS-Gruppe, die anderthalb Dutzend Freizeitläufer umfasste, wurde hart trainiert. Auch an Sportveranstaltungen wie dem Ultramarathon Rennsteiglauf nahm die Gruppe teil. Es sollten wichtige Erkenntnisse für den DDR-Spitzensport gewonnen werden. Langstreckler Kühne musste dabei nicht nur hartes Training sowie Leber- und Muskelbiopsien ertragen. Ihm sei zudem Anabolika in deutlich überhöhten Dosen von teilweise noch nicht einmal zugelassenen Anabolika verabreicht worden, mit - wie er heute sagt - verheerenden Folgen: In der ARD-Dokumentation »Menschenversuche - Die heimlichen Experimente im DDR-Sport« berichtet Kühne, der seinerzeit ausführlich Tagebuch führte, von unmittelbaren schwerwiegenden Beschwerden und gravierenden Spätfolgen dieser Behandlungen durch Buhl.

Direkt nach den Medikationen seien bei Kühne, der laut Tagebuchaufzeichnung ab 1976 unter anderem »Depot-Turinabol« und die noch nicht klinisch erprobte »Steroidtestsubstanz« (STS 648) erhielt, starke Nierenschmerzen aufgetreten, ebenso Schwellungen der Hoden und blutige Verfärbungen des Ejakulats. Vor allem aber traten bei dem Volkssportler bis dahin nie gekannte seelische Probleme auf. Kühne wurde depressiv, in der ARD-Doku sagt er: »Ich hatte Selbstmordgedanken.« Und zitiert aus seinen Tagebüchern die Schilderungen, wie er mehr und mehr dem Alkohol verfiel. »Wodka, Bockbier, Rotwein!« Er habe »getrunken«, was ihm »in die Quere kam«. 1977 habe er es dann gewagt, dem Treiben ein Ende zu setzen und aus der Gruppe auszutreten.

Sportarzt Buhl, der nach 1989 unter anderem an den Universitäten Paderborn, Marburg, Gießen und Würzburg lehrte und forschte, konnte zu den Volkssportprobanden nicht mehr befragt werden. Er starb 2014. In der TV-Doku kommt indes Anne Drescher zu Wort, Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur in Mecklenburg-Vorpommern. »Wenn wir davon ausgehen, dass über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren am FKS Forschungskonzeptionen in einer großen Fülle entwickelt und durchgeführt wurden, dann reden wir hier nicht von Einzelpersonen, sondern von mehreren hundert«, spekuliert sie. Einen Beleg dafür liefert sie indes nicht. Auch die Filmemacher teilen auf der ARD-Website mit, sie könnten nicht sagen, wie viele dieser »Versuchskaninchen« es im Freizeitsport gegeben habe. »Der Sachverhalt ist bislang nahezu unerforscht.« Deswegen seien »seriöse Angaben zur Anzahl schwierig«.

Der 69-jährige Hans-Albrecht Kühne lebt heute in Güstrow. Er leidet unter starken Schmerzen im linken Bein. Die TV-Doku zeigt den halbnackten Kühne bei einem Besuch in der Physiotherapie. Er führt die Narben von insgesamt 30 schmerzhaften Muskelbiopsien vor. Im linken Bein funktioniert der Transport der Lymphflüssigkeit nicht mehr. Kühne wird deswegen bis ans Ende seines Lebens in Behandlung bleiben.

www.tagesschau.de/sport/sportschau/ doping-ddr-101.html

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.