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China beliefert den globalen Süden mit Corona-Impfstoff
In der Pandemie versorgt China viele Länder in Asien oder Lateinamerika mit Impfstoffen
Wer sich die weltweite Impfkarte anschaut, dem wird unweigerlich ein Anflug von schlechtem Gewissen überfallen: Denn auch wenn der Impfstart in der Europäischen Union schleppender als erwartet anläuft, steht man als Bürger eines der führenden Industrieländer dennoch ganz vorne. Weite Teile Asiens und praktisch ganz Afrika hingegen sind weiße Flecken auf der Landkarte. Der Traum von Herdenimmunität dürfte in jenen Regionen laut einer Prognose der Londoner »Economist Intelligence Unit« erst 2023 Realität werden.
Dass auch der globale Süden sein Stück vom Vakzin-Kuchen abbekommt, dafür sorgen derzeit vor allem die chinesischen Pharmahersteller. Im äthiopischen Addis Abeba landen jede Woche auf einem neuerrichteten Cargo-Terminal, der mit einem fußballfeldgroßen Kühlschrank ausgestattet ist, Flugzeuge mit einer Ladung von einer Million Impfdosen, die von dort in alle Teile des Kontinents weiterverfrachtet werden.
Vor diesem Hintergrund scheint der mediale Diskurs über »Chinas Impfstoffdiplomatie« umso absurder: Mit jenem Schlagwort wird umschrieben, dass im Zeitalter der Pandemie Impfstoff zu einer diplomatischen Währung geworden ist, mit der sich politische Loyalitäten einfordern und regionaler Einfluss ausweiten lassen können. Doch angesichts der Tatsache, dass viele Teile der Erde derzeit keinen Zugang zu Impfstoffen haben, lassen sich Hilfslieferungen wohl kaum moralisch verurteilen.
Peking liefert schließlich, anstatt nur leere Versprechen abzugeben: In einer ersten Runde wurden bereits Impfspenden an 13 Länder geflogen, Lieferungen an 38 weitere Staaten sind geplant – von Algerien über Simbabwe, Marokko bis nach Uganda und die Mongolei. Die Mengen sind natürlich an der Gesamtgröße der Bevölkerungen nur marginal, dennoch bieten sie zumindest einen Funken Hoffnung in Richtung Herdenimmunität.
Natürlich ist die Volksrepublik sicher nicht der weltweite Retter, wie es die vor Selbstbewusstsein strotzenden Staatsmedien weismachen wollen. Doch einen Grund zum Dämonisieren der Strategie gibt es auch nicht. Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte.
Natürlich geht es auch ums Geschäft: Neben den Spendenlieferungen stehen ebenfalls zahlende Kunden Schlange. Länder wie die Türkei, Indonesien oder Brasilien haben bereits große Mengen an chinesischen Vakzinen bestellt. Dabei spielen ideologische Motive meist eine untergeordnete Rolle. Oft waren die chinesischen Impfstoffe schlicht die einzig verfügbaren.
Gleichzeitig kann China mit Hilfe der Impfstofflieferungen die Reputation des Landes aufbessern – ganz direkt für seine von Skandalen geplagten Pharmaunternehmen. Doch auch indirekt wird die gesamte Volkswirtschaft profitieren, wenn »Made in China« neben Elektronikware und Textilindustrie in Zukunft auch für zuverlässige Pandemie-Hilfe steht.
Dabei wird jenes globale Impfstoff-Vakuum, welches Europa und die Vereinigten Staaten hinterlassen hat, nicht nur von China gefüllt. Auch Russland sowie Indien konkurrieren derzeit unter etlichen Ländern um die Sympathie in der Region.
Natürlich hat die Impfstoff-Diplomatie auch eine politische Komponente. Für die EU ist es sicherlich beunruhigend, dass Chinas Lieferungen von 1,5 Millionen Impfdosen nach Belgrad und 500 000 Dosen nach Budapest Zwiespalt säen werden, wenn es künftig um das Finden einer geeinten, kritischen China-Strategie geht. Die Vereinigten Staaten hingegen werden mit Argusaugen nach Lateinamerika schauen, dessen Länder ebenfalls von China und Russland beliefert werden – und damit auch einen ersten Schritt in eine Region setzen, wo Peking Zugang zu Öl und Kupfer möchte.
Dabei ist es nicht so, dass China in all jenen Staaten einen besonders guten Ruf genießt. Laut Umfragen in Brasilien oder Pakistan ergibt sich das immer gleiche Bild: Wenn man die Wahl hätte, würde die Bevölkerung lieber zu westlichen Vakzinen wie dem von Biontech greifen. Nur haben sie bis auf absehbare Zeit eben keine Wahl. In einer ebenfalls aktuellen Umfrage vom Asean Studies Centre in Singapur kam heraus, dass die diplomatischen und akademischen Eliten Südostasiens mehrheitlich China als größten Helfer während der Pandemie anerkennen, gleichzeitig dennoch in politischen Fragen mehrheitlich eine Allianz mit Washington vorziehen. Impfstofflieferungen lassen sich also nicht eins zu eins in politische Loyalität ummünzen.
Dass China dennoch etwas mehr als die Hälfte seiner verfügbaren Impfdosen im Ausland verimpft, ist vor allem auch deshalb so erstaunlich, weil der Impfstart in der Volksrepublik selbst schleppend anläuft. Auf 100 Personen hochgerechnet haben in China statistisch weniger als drei Menschen eine Impfung verabreicht bekommen, im EU-Raum liegt der Wert bei etwa 6,3.
Doch die eigenen Anbieter könnten bald Abhilfe schaffen. Denn wie sich derzeit abzeichnet, kommen zu den bisher zwei zugelassenen Vakzinen von Sinopharm und Sinovac noch zwei weitere hinzu: Ein zweiter Impfstoff von Sinopharm, der seine Wirksamkeit bei etwas über 72 Prozent angibt, und der von Cansino und dem Militär entwickelte Kandidat mit einer Wirksamkeit von knapp 69 Prozent stehen kurz vor ihrer Zulassung.
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