Kein schneller Tarifabschluss

Die Geduld der Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie ist am Ende

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Zu den ersten Belegschaften, die schon in der Nacht zum Montag auf die Straße gingen, gehörten Beschäftigte von Arcelor Mittal in Eisenhüttenstadt. Sie standen nach Angaben des IG Metall-Bezirks Berlin-Brandenburg-Sachsen unübersehbar mit Fackeln, Leuchtfeuer und Feuertonnen vor dem Werk und unterstrichen die Gewerkschaftsforderung nach einem Volumen von vier Prozent mehr Geld. Damit sollen höhere Löhne und eine Beschäftigungssicherung etwa durch Arbeitszeitverkürzung mit nur teilweisem Lohnausgleich finanziert werden. Der gewerkschaftliche Forderungskatalog hat auch den betrieblichen Nachwuchs im Blick und zielt auf eine Übernahme von Auszubildenden sowie verbindliche tarifvertragliche Rechte für dual Studierende ab.

Rückenwind spüren die ostdeutschen Stahlarbeiter durch den erneuten Produktionsanstieg im 2. Halbjahr 2020. »Steigende Warmbandpreise und damit auch sehr gute Erlöse für unsere Flachstahlprodukte wirken positiv. Daher sind die Tarifforderungen angemessen«, so Dirk Vogeler, Betriebsratschef bei Arcelor Mittal in Eisenhüttenstadt.

Erste öffentliche Aktionen der Metaller fanden am Montag auch im tiefen Süden statt. So organisierte die Gewerkschaft in Nürnberg frühmorgens vor 20 Betrieben in der Frankenmetropole Aktionen. Später versammelten sich Delegationen der örtlichen Betriebe zu einer Kundgebung vor dem örtlichen Gewerkschaftshaus. Alles selbstverständlich »coronakonform«, wie die Gewerkschaft betonte.

In München kamen Teilnehmer einer Auto-Sternfahrt am frühen Nachmittag zur Theresienwiese, wo eine Kundgebung mit mehreren hundert Teilnehmern aus Betrieben wie BMW, MAN oder KraussMaffei stattfand. Ab 17 Uhr konnten die Metaller per Livestream ein zweistündiges bundesweites Liveprogramm mit Bildern und Berichten von den Aktionen des Tages, einem Beitrag von Gewerkschaftschef Jörg Hofmann sowie Interviews und Kultur verfolgen. Für Dienstag sind zahlreiche befristete Warnstreiks in allen Teilen des Landes geplant.

Bayerns IG Metall-Chef Johann Horn hatte noch am Freitag in einer vierten Verhandlungsrunde mit dem regionalen M+E-Unternehmerverband einen Kompromiss auszuloten versucht und dabei auf Granit gebissen. »Die wollen auch für 2021 weiter eine Nullrunde und beharren auf ihrer Gegenforderung nach automatischen Abweichungen vom Tarifvertrag«, so seine Kritik. Zudem hätten die Unternehmervertreter versucht, »Teile des hart erkämpften Weihnachts- und Urlaubsgeldes aus den Tarifverträgen herauszulösen«. Dies komme nicht infrage. »Damit provozieren sie den Widerstand der Beschäftigten«, so sein Fazit.

Horn sieht sich auch durch die Realität in den Betrieben bestätigt: Viel Arbeit und hohe Gewinne und damit auch etwas zu verteilen, so der Metaller. »Die Beschäftigten mussten 2020 große finanzielle Einbußen verkraften. Jetzt müssen die Unternehmen den Menschen etwas zurückgeben und sie an der wirtschaftlichen Erholung beteiligen.«

Dass die Geduld der Beschäftigten erschöpft ist, bringt auch Jörg Köhlinger, Chef des IG Metall-Bezirks Mitte, auf den Punkt: »Kurzarbeit und Lohneinbußen, Arbeiten mit Abstand und Maske oder im Homeoffice bei gleichzeitiger Kinderbetreuung haben viele Beschäftigte an den Rand ihrer Kräfte gebracht. Statt konstruktiv zu verhandeln, verweigern sich die Arbeitgeber einer Lösung. Das nehmen wir nicht länger hin.«

Somit stehen die Zeichen in den Bastionen der größten deutschen und europäischen Industriegewerkschaft auf Eskalation. Die Hoffnung an der IG Metall-Spitze, durch die Nullrunde 2020 und eine moderate Tarifforderung für 2021 zu einem raschen Abschluss noch vor Ablauf der Friedenspflicht zu kommen, ist nicht aufgegangen. Offenbar nutzen die Arbeitgeberverbände die Krise für eine Offensive und testen die Widerstandskräfte der Gewerkschaften.

Umfragen der IG Metall bestätigen die Bereitschaft zur überbetrieblichen Solidarität im Kampf um Lohnerhöhung, Arbeitsplatzerhalt und kürzere Normalarbeitszeit. Nun muss sich zeigen, wir energisch die IG Metall Stärke zeigt und wie groß die gesellschaftliche Rückendeckung für die Metallgewerkschaft und ihren richtungsweisenden Tarifkampf ist. Susanne Ferschl, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion kommentierte das Angebot der Arbeitgeber in der Metall- und Elektroindustrie als »eine bodenlose Respektlosigkeit gegenüber den 3,8 Millionen Beschäftigten«.

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