Waffenstillstand als Hoffnungsschimmer
Zwischen den verfeindeten Nachbarn Indien und Pakistan sind neue Töne der Entspannung zu vernehmen
»Nicht ein einziger Schuss ist abgefeuert worden«, zitierte zu Wochenbeginn die »Hindustan Times«, eine der größten indischen Tageszeitungen, ohne Namensnennung einen ranghohen Polizeioffizier in Jammu und Kaschmir. Dieser bestätigt damit aus dem Erleben vor Ort, dass die am Donnerstag verkündete Vereinbarung über die Feuereinstellung sich zumindest in den ersten fünf Tagen tatsächlich als belastbar erwiesen hat. »Die Waffenruhe ist eine Win-Win-Situation für Indien und Pakistan sowie die Bevölkerung im Grenzgebiet in beiden Ländern«, schickte der Polizeioffizier noch hinterher. Ähnlich hoffnungsvoll hatten sich nach der Bekanntgabe der zwischen den Militärbefehlshabern erzielten Vereinbarung auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres und Volkan Bozkir, der Vorsitzende der UN-Generalversammlung, geäußert. Dass Guterres in der Wortwahl zunächst nur von einem »positiven Schritt« sprach, illustriert aber auch, wie groß die Vorsicht auf internationaler Ebene ist, nicht gleich zu große Erwartungen zu wecken. Immerhin handelt es sich um einen der ältesten und komplexesten Konflikte auf dem Planeten, dessen Ursprung bis zur Teilung des Subkontinents 1947 zurückreicht.
Was nun de facto wieder in Kraft gesetzt wurde, ist die 2003 geschlossene Vereinbarung über eine Waffenruhe, die zwar nie offiziell von einer Seite aufgekündigt worden war, mit den Jahren aber immer mehr an Wirkung verlor. Allein 2020, so eine am 8. Februar vor dem indischen Parlament vorgestellte Statistik, habe es 5133 Verletzungen der damaligen Waffenruhe gegeben - ein neuer Höchststand nach bereits 3479 im Jahr 2019. Meist handelt es sich bei diesen Vorfällen nur um kleine Schusswechsel, aber auch von 46 Todesfällen allein im vergangenen Jahr ist die Rede. 2021 gab es demnach bei 499 Vorfällen bisher einen bestätigten Toten auf indischer Seite. Um zu verhindern, dass sich lokale Konfrontationen zu einem ernsteren Problem auswachsen, gibt es eine telefonische Hotline, über die nun auch die aktuelle Vereinbarung zwischen den beiden Kommandeuren zustande gekommen sein soll. Welche Einflussnahme politischer Stellen auf höchster Ebene es dabei direkt oder indirekt gegeben hat, dazu gibt es bisher keine offizielle Aussage. Indische Experten spekulierten zwar beispielsweise laut der Tageszeitung »The Hindu«, die Erklärung wäre kaum ohne solchen Rückhalt möglich. Allerdings dementierte Moeed Yusuf, pakistanischer Sonderberater für Fragen der nationalen Sicherheit, dass die Vereinbarung Ergebnis von Hinterzimmerdiplomatie zwischen ihm und seinem indischen Amtskollegen sei.
»Indien strebt normale nachbarschaftliche Beziehungen mit Pakistan an«, benannte Indiens Außenamtssprecher Anurag Srivastava in einem Statement das langfristige Ziel. Man habe immer wieder bekundet, dass man gewillt sei, alle strittigen Themen auf friedlicher Basis im bilateralen Miteinander zu klären. »Es könnte ein guter Anfang sein«, ließ sich wiederum in einer ersten öffentlichen Reaktion Pakistans Außenminister Shah Mehmoud Qureshi vernehmen. Tatsächlich ist neuerdings vor allem in Islamabad ein gewisses Umdenken festzustellen. Bisher hatte Premierminister Imran Khan jeden neuen Dialog mit Indien kategorisch ausgeschlossen, solange die von der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) dominierte Regierung in Delhi nicht ihre Entscheidung vom August 2019 revidiere, die in der Verfassung garantierten Autonomierechte des früheren Bundesstaates Jammu und Kaschmir aufzuheben. Der Schritt hatte eine neuerliche Eiszeit zwischen den verfeindeten Nachbarn ausgelöst. Zuvor hatten aber schon 2016 der Angriff auf den indischen Luftwaffenstützpunkt Pathankot und im Gegenzug indische »Anti-Terror-Operationen« gegen eine bewaffnete Gruppe auf pakistanischem Gebiet für eine weitere Verschlechterung des ohnehin angespannten Klimas gesorgt.
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