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Schutzlos ausgeliefert
Die Beschäftigten in der Sicherheitsbranche klagen über miese Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und unfaire Chefs
»Ich bin 63 Jahre und bewache den Eingang einer großen Brauerei in NRW«, erzählt ein Betriebsrat aus der Sicherheitsbranche, der seinen Namen lieber nicht nennen will. Aus Angst, dass er in seinem Unternehmen Nachteile bekommen könnte. »Nacht- und Tagdienste, morgens um vier geht der Wecker, um halb sechs muss ich da sein.« Zwölf-Stunden-Schichten. Mit An- und Abfahrt werden daraus knapp 14 Stunden. Viel Freizeit bleibt da nicht mehr. Schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne sind üblich in der Sicherheitsbranche. Und eine feindliche Haltung der meisten Unternehmer gegenüber der betrieblichen Interessenvertretung der Mitarbeiter.
Die Branche ist in den vergangenen Jahrzehnten enorm gewachsen: 260 000 Beschäftigte gab es Ende 2019, Anfang der 1990er-Jahre waren es weniger als 70 000. Während der Corona-Krise sind zwar einige Arbeitsplätze - vor allem in nicht tarifgebundenen Unternehmen, die oft Ordnerdienste für Großveranstaltungen, Konzerte und Fußballspiele stellen - weggefallen. Aber es sind auch neue entstanden: Zum Beispiel stocken einige Kommunen ihre Ordnungsämter mit privaten Dienstleistern aus der Sicherheitsbranche auf. Und auch Supermärkte kommen oft nicht ohne Sicherheitsleute aus, die darauf achten, dass Kunden die Hygienebestimmungen einhalten. Bereits im April 2020, während des ersten Lockdowns, hatte der Bundesverband der Deutschen Sicherheitswirtschaft (BDSW) gefordert, für diese neuen Stellen nur den Mindestlohn zu zahlen, weil die Branche durch die Corona-Pandemie Verluste hinnehmen müsse. Dabei gelten in allen Bundesländern Tarifverträge, die eine Bezahlung über dem Mindestlohn vorsehen.
Vor allem die Einrichtung der Flüchtlingsunterkünfte habe zu einem Schub in der Branche geführt, erklärt Harald Olschok, Hauptgeschäftsführer des BDSW, dem größten Arbeitgeberverband der Branche. »Unser Umsatz ging 2015, 2016 um 40 Prozent nach oben, zeitweise war jede zehnte private Sicherheitskraft in den Flüchtlingsunterkünften beschäftigt.« Der Trend hat sich fortgesetzt: Die Umsätze der Branche liegen derzeit bei knapp zehn Milliarden Euro jährlich.
Aber seitdem hat sie auch ein Imageproblem: Einige Sicherheitskräfte, die eigentlich die Bewohner der Massenunterkünfte vor Angriffen schützen sollten, entpuppten sich als rechte Schläger und Sadisten. Die Bilder von misshandelten Asylbewerbern in einer Unterkunft in der nordrhein-westfälischen Gemeinde Burbach sorgten 2014 international für Empörung. Als der Fall bekannt wurde, habe man sofort gehandelt, so der Hauptgeschäftsführer.
Der BDSW einigte sich wenige Tage später mit dem Innenministerium in Düsseldorf auf Kriterien für die Auftragsvergabe zum Schutz von Flüchtlingsunterkünften. Seitdem werden sämtliche Mitarbeiter durch Polizei und Verfassungsschutz überprüft, und es findet eine Sachkundeprüfung der Mitarbeiter gemäß der Gewerbeordnung der Industrie- und Handelskammer statt, die zehn Tage Unterricht voraussetzt. Allerdings werden Kenntnisse über andere Kulturen und Deeskalationstechniken dort nicht vermittelt. Außerdem sollen nur noch Sicherheitsfirmen eine Flüchtlingsunterkunft bewachen, hieß es in der Vereinbarung, die im BDSW Mitglied ist.
Verdi-Gewerkschaftssekretär Andreas Rech, zuständig für die Wach- und Sicherheitsbranche in Nordrhein-Westfalen, betrachtet das Kriterium der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband nicht als Gütesiegel für ein Sicherheitsunternehmen. Eher als Geschäftsmodell. »Viele Aufträge sind deswegen an BDSW-Unternehmen gegangen«, meint Rech, »aber die hatten nicht genug Leute. Auch das größte Unternehmen findet nicht auf einen Schlag hundert qualifizierte Mitarbeiter.« Über Facebook hätten diverse Firmen Stellen ausgeschrieben. »Da wurde nicht nach Qualifikation gefragt, da wurde nicht einmal gefragt, ob die Leute schon im Sicherheitsgewerbe tätig sind, sondern es hieß einzig und allein: Bringt schwarze Kleidung mit.« Beinahe alle, die sich gemeldet hatten, seien genommen worden. Viele der BDSW-Unternehmen hätten außerdem auf Subunternehmer zurückgegriffen, sagt der Verdi-Sekretär. Die alten Probleme seien damit geblieben.
Regelmäßig organisiert Rech im Essener Gewerkschaftshaus Treffen mit Betriebsräten - und mit Kollegen, die einen Betriebsrat gründen wollen. Viele gibt es in der Branche nicht. Die schlechten Arbeitsbedingungen trotz offiziell gültigem Tarifvertrag kommen immer wieder zur Sprache, und auch der noch nicht abgeschlossene Gerichtsprozess zu den Vorfällen in Burbach lenkt die Aufmerksamkeit der Gewerkschafter immer wieder auf die Arbeitssituation in den Flüchtlingsunterkünften.
Ein besonders eklatanter Fall aus Bochum hatte 2016 in der Branche für viel Aufregung gesorgt: Monatelang erhielten knapp 120 Beschäftigte überhaupt keinen Lohn mehr. »Die Stadt Bochum hatte Aufträge an ein Mitgliedsunternehmen des BDSW vergeben, die Rheinischen Sicherheitsdienste, die haben den Auftrag komplett an ein Subunternehmen weitergegeben und dieses Subunternehmen hat wiederum weitere Unternehmen unter Vertrag genommen«, erzählt Rech.
Das war knapp zwei Jahre, nachdem die zwischen BDSW und Innenministerium ausgehandelten Kriterien in Kraft waren, die ausdrücklich die Auftragsweitergabe an Subunternehmen untersagen und eine Entlohnung nach Tarif vorschreiben. Verdi intervenierte, und es kam zu Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht. Die Beschäftigten gingen dennoch leer aus. Das Gericht habe nicht mehr zurückverfolgen können, »wer denn jetzt der Arbeitgeber von diesen Beschäftigten ist«, so der Gewerkschafter.
Gemeinsam mit zwei Kollegen ist Rech zuständig für mehr als 50 000 Arbeitnehmer in Nordrhein-Westfalen. Besonders bei der allgemeinen Bewachung sei es schwer, mit den Mitarbeitern überhaupt in Kontakt zu kommen. »Wir reden ja nicht über große Betriebe, wo Hunderte Beschäftigte in einem großen Gebäude sind, wo wir reingehen, uns mit einem Betriebsrat treffen können, auf Betriebsversammlungen erscheinen oder wo wir uns auch mal vors Werkstor stellen können«, erklärt Rech. Viele Security-Firmen sind kleine und mittlere Betriebe, bei denen die Beschäftigten nicht organisiert sind.
Deshalb hat Rech vor sechs Jahren das Netzwerk Wach- und Sicherheitsdienste NRW, kurz Wasi, aufgebaut. Es ist vor allem eine Internet- und Facebook-Seite, über die sich Beschäftigte informieren, Kontakt mit Rech aufnehmen und ihm ihre Probleme am Arbeitsplatz schildern können.
Unterbezahlte Überstunden, Lohnentzug bei Krankheit, zu niedrige tarifliche Einstufung - solche Beschwerden stapeln sich bei Rech auf dem Schreibtisch, seit er die Internetseite eingerichtet hat. Wasi ist Beschwerdestelle, Kontaktbörse und Plattform, um neue Mitglieder zu gewinnen. Fast alle waren mal Quereinsteiger: aus dem Handwerk, aus dem Einzelhandel, auch ehemalige Akademiker sind dabei. Unzählige Überstunden und eine verlangte permanente Rufbereitschaft sind keine Seltenheit. Häufig kommt es dann zum Streit bei der Bezahlung. »Ich habe schon 320 Stunden bei mir auf dem Schreibtisch gehabt zur Bearbeitung«, erzählt Rech. Die Anfahrtszeiten zählen nicht dazu - und weit vom Wohnort entfernte Einsatzorte sind ein beliebtes Mittel, um unliebsame Mitarbeiter, die sich für ihre Kollegen engagieren, zu »erziehen«, weiß ein Betriebsrat zu berichten, der anonym bleiben will. Zu groß ist die Sorge, deshalb von seinem Arbeitgeber bestraft zu werden.
Auch Abdul Ansari ist regelmäßig bei den Verdi-Treffen in Essen dabei. Er hat in mehreren Flüchtlingsheimen gearbeitet, die vom Sicherheitsdienstleister Stölting, einem Hauptsponsor des Bundesligaklubs Schalke 04, bewacht werden. Auch er will seinen richtigen Namen nicht öffentlich nennen. Bei Stölting Security gibt es keinen einzigen Betriebsrat, und in der Reinigungssparte hatte das Unternehmen sogar schon Kopfprämien von 50 Euro ausgelobt, damit Mitarbeiter aus der Gewerkschaft austreten. Man müsse bei Stölting das Wort Betriebsrat nur in den Mund nehmen und bekomme schon Ärger, sagt Rech. Dabei gäbe es dort für einen Betriebsrat viel zu tun.
»Das grenzt schon an Burn-out, die Leute, die können einfach nicht mehr. Wir haben Mitarbeiter, die immer noch 24 Stunden arbeiten«, erzählt Ansari. Denn in der Freizeit gelte eine faktische Rufbereitschaft. »Wir werden angerufen oder per WhatsApp oder SMS benachrichtigt, ob wir nicht einspringen können«, so Ansari. Das Mobiltelefon müsse immer an sein. Die Order des Chefs sei klar: »Ihr habt gefälligst euer Handy anzumachen, auch nachts.«
Vertreter des Familienunternehmens behaupten, besonders die Beschäftigten in Flüchtlingsheimen entsprechend zu entlohnen. »Gerade im Asylbereich zahlen wir nicht nur den Tarif, sondern teilweise auch übertariflich«, so der Juniorchef des Unternehmens, Dominic Mosbacher. Ansari hat andere Erfahrungen gemacht. »Leute, die krank sind, müssen ihren Stunden hinterherrennen, weil die Krankheitstage bei der Entlohnung nicht berücksichtigt werden«, sagt Ansari. Der Kontaktstelle Wasi liegen zahlreiche Beschwerden von Stölting-Mitarbeitern vor, die sich um ihren Lohn betrogen fühlen.
Konflikte jedenfalls gehören zum Alltag in den Flüchtlingsheimen. Auch Abdul Ansari weiß davon zu berichten. 30 Prozent seiner Kollegen hätten wie er Migrationshintergrund - das sei bei Streitigkeiten natürlich ein Vorteil, weil man eher Zugang zu den Bewohnern habe. Aber manchmal kommen er und seine Kollegen auch damit nicht weiter.
Abdul Ansari erzählt, dass auch er schon öfter mal mit Kratzern und blauen Flecken nach Hause gekommen sei. Nicht alle Kollegen kämen mit der Situation klar: Die Mischung aus unberechenbaren Situationen in den Wohnheimen, wo viele verschiedene Ethnien auf engstem Raum und ohne Perspektive zusammenleben müssten und der Druck des Arbeitgebers, der den Mitarbeitern Unmenschliches abverlange, habe einige Kollegen in die Depression und zum Psychiater getrieben. Andere »entladen ihre Wut an den Schwächeren - und das sind die Flüchtlinge«, so Ansari.
Ein verbindliches Bewacherregister und ein Sicherheitsdienstleistungsgesetz, die eingeführt werden sollen, werden die Situation kaum verbessern. Der Unternehmensverband drängt zwar darauf, dass Letzteres noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten soll, so wie dies die Unionsparteien und die SPD in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten haben. Der BDSW will darin aber auch ein faktisches Streikverbot für verschiedene Sektoren der Sicherheitsbranche durchsetzen. Die Begründung, so heißt es beim BDSW: Schutz kritischer Infrastruktur. Das werde der Arbeitgeberwillkür weiteren Spielraum geben, befürchtet Andreas Rech. Der Gewerkschaftssekretär würde am liebsten die in der Branche üblichen sachgrundlosen Befristungen der Arbeitsverhältnisse abschaffen sowie härtere Sanktionen gegen Unternehmen einführen, die Betriebsratsgründungen verhindern.
Auch Abdul Ansari hätte gerne einen Betriebsrat. Und er will weiter in der Sicherheitsbranche arbeiten. »Ich mag meine Arbeit, weil ich die Möglichkeit habe, Flüchtlingen zu helfen«, erzählt er. Er könne nicht nur einige Sprachen verstehen, sondern auch viele ihrer Probleme, weil er selbst vor vielen Jahren mit seiner Familie aus Zentralasien geflüchtet sei. »Ich weiß, dass man eine schwierige Anfangsphase hat«, erklärt der Mittdreißiger, der vorher als Verkäufer gearbeitet hat. »Mir gefällt es, mit den Leuten zu kommunizieren, ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.«
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