Niemand denkt so filmisch wie er
Dominik Graf ist einer der besten Regisseure. Das zeigt mal wieder sein Berlinale-Film »Fabian ...«
An dieser Stelle sei die Behauptung gestattet, dass Dominik Graf der wahrscheinlich talentierteste deutsche Filmemacher ist. Und ein einsamer Solitär in der Filmlandschaft (neben Andreas Dresen, aber Graf ist schon viel länger im Geschäft). Seit Jahrzehnten versorgt er hauptsächlich das Fernsehen aber auch das Kino mit brillanten Genrefilmen (»Die Katze«!, 1988) oder aufsehenerregenden Fernsehserien (»Im Angesicht des Verbrechens«). Es gibt wohl kaum einen Regisseur in Deutschland, der so filmisch denkt wie Graf und sich dabei leichter Hand der unterschiedlichsten Stilmittel bedient, um seine Geschichte glaubwürdig zu erzählen. Diese Mittel geraten nie zum Selbstzweck, sondern dienen einzig dazu, Authentizität zu erzeugen.
In »Fabian oder der Gang vor die Hunde«, seinem im Wettbewerb laufenden dreistündigen Epos über die Endzeit der Weimarer Republik nach dem Roman von Erich Kästner von 1931, mixt Graf wie selbstverständlich die Zeitebenen. Er wechselt zwischen grobkörniger Schmalfilmästhetik und großem Kino, teilt die Leinwand in mehrere Bilder auf, spielt mit Verweisen auf die Gegenwart, nutzt eine Off-Erzählerstimme (mit Kästners Originaltext), um die Handlung voranzutreiben, schiebt Originalaufnahmen aus den 1920er Jahren ein und verwendet Zwischentitel, um die Stummfilmästhetik zu evozieren.
Damit vermeidet er klug die Ausstattungsfalle, in die Historien-Produktionen wie »Babylon Berlin« regelmäßig tappen, die dann zu Kostümfilmen geraten. Ihm gelingt es, den Zeitgeist zu veranschaulichen, ohne die historische Genauigkeit dieses Hutes oder jenes Kostüms zum Fetisch zu machen, ihm ist der Inhalt wichtiger. Graf ist ein im besten Sinne Besessener, der seine Mitarbeiter mit dem Feilen an kleinsten Details zur Verzweiflung treibt. Das Ergebnis spricht für sich, und es gliche einem Missverständnis, wenn man »Fabian ...« nicht als prädestiniert für einen Bären halten würde.
Der Film erzählt die Geschichte des promovierten Germanisten Jakob Fabian, der tagsüber Werbetexte für eine Zigarettenfabrik verfasst und nachts mit seinem vermögenden Freund Labude durch die Lasterhöhlen, Bars und Bordelle Berlins zieht, wo er mit innerer Distanz zum fiebrigen Treiben nach dem Sinn des Ganzen sucht. Tom Schilling und Albrecht Schuch sind als Besetzung über jeden Zweifel erhaben, beide gehören zu den begabtesten Schauspielern ihrer Generation. Zu ihnen stößt Saskia Rosendahl als Cornelia, und deren Liebe lässt Jakob tatsächlich für eine Weile an seinem ironischen Fatalismus zweifeln. Der Gang vor die Hunde ist jedoch unabwendbar; die Verhältnisse, sie sind nicht so, und im sozialen Überlebenskampf bestimmt der Warencharakter der Liebe die zwischenmenschlichen Beziehungen.
Als Zeitbild am Vorabend der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten (die seine Werke wenig später auf den Scheiterhaufen der Bücherverbrennung warfen) gehört Kästners Roman zu den bedeutendsten Romanen der Weimarer Republik, und es scheint merkwürdig, dass er bisher nur einmal (1980, von Wolfgang Kremm) verfilmt wurde. Wie schon Burhan Qurbanis letztjährige Version des Döblin-Romans »Berlin Alexanderplatz«, der seine Handlung in die Gegenwart verlegte, setzt Grafs »Fabian ...« nichts weniger als den Maßstab für die zeitgenössische Interpretation einer Ära, deren Parallelen zur Gegenwart vielfach beschworen werden.
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