- Wirtschaft und Umwelt
- Lieferkettengesetz
Von Prävention keine Spur
Hannah Pilgrim vom Arbeitskreis Rohstoffe kritisiert das Lieferkettengesetz
Die Bundesregierung hat am Mittwoch den Entwurf für ein Lieferkettengesetz verabschiedet. Damit sollen Unternehmen gezwungen werden, ihrer Verantwortung für die Wahrung der Menschenrechte nachzukommen. Was ist aus ihrer Sicht das zentrale Problem bei dem Gesetzesentwurf?
Besonders für den Rohstoffsektor sind die Regeln zu lasch. Deutschland trägt insbesondere bei metallischen Lieferketten eine besondere Verantwortung, da wir weltweit zu den größten Verbrauchern metallischer Rohstoffe gehören. Außerdem passieren im Rohstoffsektor die meisten und schwerwiegendsten Menschenrechtsverletzungen.
Die Koordinatorin des Arbeitskreises Rohstoffe spricht für mehr als 40 Nichtregierungsorganisationen, darunter Brot für die Welt, Misereor und PowerShift. Das Bündnis setzt sich für die Einhaltung von Menschenrechten und unternehmerischen Sorgfaltspflichten auf der gesamten Lieferkette ein.
Warum sind die Regeln für den Rohstoffsektor zu schwach?
Metallische Lieferketten sind extrem komplex, vielschrittig, teilweise sehr intransparent. Der an sich gute Aufschlag durch das Arbeits- und Entwicklungsministerium wurde durch die Wirtschaftslobby und Wirtschaftsminister Peter Altmaier enorm verwässert.
Warum hatte das Wirtschaftsministerium bei dem Entwurf überhaupt Mitspracherecht?
Im Bereich Rohstoffpolitik spielt das Wirtschaftsministerium immer eine große Rolle. Das kommt daher, weil es in den Augen der Industrie um die sogenannte Versorgungssicherheit mit Rohstoffen, die in dem Fall globaler Lieferketten bedürfen, geht. Abbaubedingungen spielen da allerdings eine nachrangige Rolle.
Und inwiefern hat Altmaier das Gesetz verwässert?
Sein Ministerium hat durchgesetzt, dass es zu einer sogenannten abgestuften Sorgfaltspflicht kommen wird. Das heißt, die Risikoanalyse, die die Sorgfaltspflichten vorsehen, wird nur bis zum ersten Zulieferer durchgeführt.
Parole: bremsen und verwässern. Kurt Stenger über erfolgreichen Lobbyismus beim Lieferkettengesetz
Was bedeutet das konkret?
Nehmen wir als Beispiel einen Autohersteller, der seine Einzelteile von anderen Zulieferern bezieht. Nach dem neuen Gesetz muss er nur bis zum ersten Schritt, also beispielsweise dem Batterienzulieferer, sicherstellen, ob dieser die Menschenrechte und Umweltstandards einhält. Die weiteren Schritte, woher der Batterienzulieferer die dafür notwendigen Rohstoffe bezieht, fallen demnach nicht unter die Sorgfaltspflicht des deutschen Autoherstellers.
Was ist, wenn es bereits Hinweise gibt, dass eine Firma beim Abbau von Rohstoffen die Menschenrechte verletzt?
In diesem Fall spricht man von »substantiierter Kenntnis«. In diesem Fall müsste der deutsche Autohersteller noch mal konkreter den »substantiierten Kenntnissen« nachgehen. Dennoch, das Kind ist dann schon in den Brunnen gefallen, sprich, die Rechtsverletzung ist geschehen. Die vorbeugende Wirkung der Sorgfaltspflichten entfaltet sich nicht.
Entspricht das deutsche Gesetz dem Anspruch, die Menschenrechte zu schützen?
Nein. So, wie der Entwurf jetzt ist, wird er weder Menschenrechtsverletzungen noch Umweltzerstörungen im Bergbau oder in metallisch-mineralischen Rohstofflieferketten wirkungsvoll verhindern. Das widerspricht ganz klar der Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.
Was sind das für Prinzipien?
In dem internationalen Abkommen wird definiert, dass Unternehmen die Menschenrechte entlang ihrer gesamten Lieferkette zu achten haben. Es ist ein präventiver Ansatz, die Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen steht im Fokus. Demnach sollen Unternehmen ihre größten Risiken in der Lieferkette analysieren und deutlich machen, wie sie mit diesen umgehen. Das deutsche Lieferkettengesetz als Ergebnis der Umsetzung der UN-Leitprinzipien auf nationaler Ebene wird dem allerdings nicht gerecht. Mit dem deutschen Gesetz kann die ganze Verantwortung auf den ersten Zulieferer abgeschoben werden. Unternehmen würden erst tätig werden, wenn Menschenrechte bereits verletzt wurden.
Was passiert, wenn auf EU-Ebene strengere Regeln verabschiedet werden?
Dann müsste Deutschland das Gesetz ändern. Es könnte aber auch umgekehrt kommen. Mit dem schwachen Lieferkettengesetz sendet Deutschland falsche Signale an die EU, an die ganze Weltgemeinschaft. Auf EU-Ebene könnte es zu einer Blockadehaltung kommen, wenn sich andere Länder an Deutschland orientieren. Jetzt gilt es, die ersten guten Schritte auf EU-Ebene durch die Ankündigung einer umfassenden Sorgfaltspflicht durch Justizkommissar Didier Reynders zu verfolgen und in Deutschland noch mal ordentlich den politischen Druck zu erhöhen. Das Gesetz kommt jetzt ins parlamentarische Verfahren, sprich jetzt ist der Bundestag inklusive aller Parteien und Abgeordneten gefragt.
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