Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft
China hat im Corona-Jahr der Weltwirtschaft geholfen, doch ab 2022 könnte es abwärtsgehen
Schon im Herbst verspürten Reedereien weltweit starken Rückenwind. Dieses Jahr könnte noch besser laufen. Deutschlands Nummer eins, Hapag-Lloyd, berichtet von einer »außergewöhnlich hohen Nachfrage« nach Containertransporten. Während hierzulande viele Ladengeschäfte geschlossen bleiben, zieht der Welthandel seit Längerem wieder deutlich an. Das liegt vor allem an China. Die Volksrepublik gehört zu den wenigen Ländern, deren Wirtschaft trotz Coronakrise weiter wächst. »Auch zu Beginn dieses Jahres«, so der Konjunkturchef des RWI - Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, Torsten Schmidt, »stützt die steigende Nachfrage vor allem aus China den Welthandel und damit auch die deutschen Exporte«.
Die Volksrepublik war im Jahr 2020 neben den Vereinigten Staaten der wichtigste Abnehmer deutscher Exporte. Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte, wurden nach vorläufigen Ergebnissen Waren im Wert von 95,9 Milliarden Euro nach China exportiert. Dabei blieb das Geschäft mit einem minimalen Rückgang von 0,1 Prozent nahezu auf dem Vorjahresniveau (USA: minus 12,5 Prozent). Die Importe aus China nahmen im vergangenen Jahr sogar um 5,6 Prozent zu, auf 116,3 Milliarden Euro.
Der Aufwärtstrend setzt sich zunächst fort. Der Wert des »China Economic Panel«, den das Mannheimer Forschungsinstitut ZEW und die Fudan-Universität in Shanghai erheben, legte im Februar um 9,1 Punkte auf 64,0 Punkte zu. »Dies ist der bisher höchste Wert seit Beginn der Umfrage Mitte 2013«, sagt ZEW-Ökonom Michael Schröder. Der Indikator gibt die Konjunkturerwartungen für die kommenden zwölf Monate wieder. Befragt werden weltweit China-Fachleute aus Banken, Versicherungen, Kapitalanlagegesellschaften und Industrieunternehmen.
Dennoch: China hat selbst Probleme zu meistern. Der Chef der Bankenaufsicht, Guo Shuqing, warnte in dieser Woche vor einer Blase am heimischen Immobilienmarkt sowie an den Aktienmärkten in den USA und Europa; seit einigen Jahren gehören chinesische Unternehmen zu den wichtigsten Investoren weltweit. »Eines Tages könnten diese Blasen platzen«, warnte der Beamte Shuqing laut der regierungsnahen Tageszeitung »China Daily«, mit gefährlichen Auswirkungen auf die Volkswirtschaft im Reich der Mitte. Auch wenig regulierte Schattenbanken und Problemkredite, die vor allem an staatliche Industriekonzerne vergeben sind, bereiten Marktbeobachtern Sorgen.
China setzt nach wie vor eher auf Masse statt Klasse. Die positive Entwicklung in der Coronakrise basiert in großem Umfang auf staatlichen Ausgaben, etwa für den Ausbau der Infrastruktur. Doch die Produktivität solcher Investitionen sei »stark rückläufig«, warnt Christina Otte von der deutschen Außenhandelsgesellschaft GTAI. Zugleich habe die öffentliche Verschuldung und die der Industrie kräftig zugenommen - Tendenz weiter steigend. Auch die private Nachfrage schwächelt. Außer bei (Elektro-)Autos, deren Kauf vom Staat gefördert wird.
Seit 2007 sank die jährliche Wachstumsrate Chinas von gut 14 auf rund 6 Prozent vor Corona. Nach einer Erholung in diesem Jahr dürfte sich der Abwärtstrend 2022 fortsetzen. Dahinter steht der Wandel von einer kapitalintensiven Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft mit - wie im Westen - geringerem Bedarf an Maschinen und Anlagen sowie einem geringeren Produktivitätswachstum.
Ein Phänomen wie den rasanten Aufstieg Chinas seit Ende der 1990er Jahre wird man daher nicht noch einmal erleben, ist das Beratungshaus Prognos überzeugt. Das liege auch am demografischen Faktor: Chinas Bevölkerung altert rasant, und die Einwohnerzahl wird in wenigen Jahren ihren Höchststand erreicht haben und dann dauerhaft schrumpfen. Prognos hat daher einen Rat an deutsche Unternehmen: den Blick stärker auf Länder wie Indien und Philippinen zu richten, deren Bevölkerung und Pro-Kopf-Einkommen besonders stark zulegen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.