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China baut die Wirtschaft um
Beim Nationalen Volkskongress feiert Peking den Sieg über die absolute Armut und entwirft Zukunftsvisionen
Der »historische« Sieg in Fernost verhallte im Ausland geradezu unbemerkt. Knapp zehn Jahre, nachdem Generalsekretär Xi Jinping erstmals vom »chinesischen Traum« sprach, ist das vielleicht wichtigste Kapitel just zum 100. Jubiläum der Kommunistischen Partei Realität geworden: Ganz offiziell hat die Volksrepublik das Ende der absoluten Armut verkündet. Niemand im Reich der Mitte müsse demnach mit weniger als umgerechnet etwa 1,25 Euro pro Tag auskommen. Das durschnittliche Jahreseinkommen liegt in der Volksrepublik bei 9300 Euro, wobei es am höchsten in den hoch entwickelten Städten an der Ostküste ist und dann nach Westen hin immer weiter abnimmt.
Am Freitag wird sich Xi für diese Errungenschaften beim Nationalen Volkskongress, der vielleicht wichtigsten Veranstaltung im Pekinger Politkalender, vor rund 5000 Abgeordneten feiern lassen. Politiker präsentieren sich in Trachten, Journalisten verfolgen die mit Spannung erwartete Rede von Premier Li Keqiang, und draußen schwingt das Volk am Platz des himmlischen Friedens rote Flaggen mit goldenen Sternchen. In Zeiten der Pandemie wird der Volkskongress jedoch diesmal eine Nummer kleiner ausfallen: Nur wenige Medienvertreter werden in die Große Halle des Volkes gelassen. Genau wie die Diplomaten im Land müssen sie die Nacht zuvor in Quarantäne verbringen und sich auf das Coronavirus testen lassen.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Doch über Symbolik geht der Volkskongress weit hinaus. Immerhin stellt Chinas Staatsführung während der siebentägigen Veranstaltung ihr Modell für die Zukunft des Riesenlandes vor. Sowohl ein Fünf- wie auch ein 15-Jahresplan werden verabschiedet - höchstwahrscheinlich einstimmig, doch einzelne Abweichler kommen ab und an vor.
In den vergangenen fünf Jahren hat Xi Jinping seine Bemühungen vor allem auf die Armutsbekämpfung gerichtet. In der Tat ist es beeindruckend, mit welch politischem Verve seither 99 Millionen Menschen in den rückständigen Provinzen aus dem wirtschaftlichen Elend befreit wurden - durch Mikrokredite für Kleinstunternehmer, flächendeckende Arbeitsprogramme und sozialen Wohnungsbau. Doch in den Staatsmedien wird eine überzeichnete Wirklichkeit dargestellt: Die Messlatte der absoluten Armut hat die Kommunistische Partei etwa extrem niedrig angesetzt, nur ein Viertel verglichen mit der Definition der Weltbank.
In den nächsten fünf Jahren steht nun ein ökonomischer Paradigmenwechsel an, den die Regierung unter dem bewusst vagen Schlagwort »duale Zirkulation« verkauft. Dahinter steht die Idee, dass künftig der innere Wirtschaftskreislauf - der Binnenkonsum und die heimischen Unternehmen - verstärkt als Wachstumsmotor dienen sollen. Exporte sowie Investitionen aus dem Ausland sollen hingegen eine weniger wichtige Rolle spielen. Vor allem aber möchte China in bestimmten Schlüsseltechnologien autark werden, was als direkte Reaktion auf den Handelskrieg mit Washington zu deuten ist. Nichts soll laut den Parteikadern in Peking den Aufstieg der neuen Weltmacht China gefährden.
Denn bis 2035 möchte man die USA ökonomisch überholt haben. Dass der Plan aufgeht, wie praktisch jeder der Fünfjahrespläne der letzten Dekaden, ist keineswegs sicher. Denn der rasante Aufstieg seit den 1980er Jahren, als Reformer Deng Xiaoping die Wirtschaft geöffnet hat, erfolgte bislang nach allen Regeln des ökonomischen Lehrbuchs. Nun jedoch steht China vor strukturellen Herausforderungen. Die Bevölkerung leidet unter Überalterung und der niedrigsten Geburtenrate seit Jahrzehnten. Dazu ist der Immobilienmarkt in den großen Städten aufgeheizt, die Produktivität heimischer Unternehmen nach wie vor niedrig und die soziale Ungleichheit ist in den letzten Jahren explodiert.
Im Grunde steht China derzeit am selben Scheidepunkt wie Japan vor 25 Jahren: 1995 hatte Japans Bruttoinlandsprodukt 70 Prozent des US-amerikanischen erreicht, China hat diesen historischen Meilenstein 2020 als bislang zweites Land erreicht. Doch an die 100 Prozent kam bislang kein Staat heran.
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