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Indigene Frauen in Peru: Sterilisiert, angefeindet, endlich gehört
Perus Ex-Diktator Fujimori muss sich wegen Zwangssterilisierung indigener Frauen vor Gericht verantworten
Inés Condori hat ein Etappenziel erreicht. Endlich sitzt sie dort, wo sie schon seit Jahren sitzen wollte: im Gericht in Lima. Umgeben von meist indigenen Frauen, vor sich die Anwälte, unter ihnen auch Sigfredo Florián, der für die Frauenorganisation Demus auch ihren Fall vertritt. Condori ist eine von Hunderttausenden, wie eine Studie des Defensoria Nacional, einer Ombudsstelle für die Rechte der Bevölkerung, belegt. Demnach wurden zwischen 1995 und 2000 in Peru 272 028 Frauen sterilisiert, die meisten wie Condori indigener Herkunft. Viele sprachen nur Quechua oder eine andere indigene Sprache. Mehrheitlich wurden sie unter Druck gesetzt, sich sterilisieren zu lassen, andere gar nicht erst gefragt und manche brutal auf den OP-Tisch gezerrt, betäubt und operiert.
Inés Condori kam im April 1995 nach Cuzco, um sich im Hospital untersuchen zu lassen. Unterleibsschmerzen plagten sie seit der Geburt ihres vierten Kindes, das sie sieben Monate zuvor zu Hause in der Andenstadt Santo Tomás zur Welt gebracht hatte. Dort, in der Region Chumbivilcas, gab es weder ein Hospital noch einen Frauenarzt. »Das Krankenhaus in Cusco war die nächstgelegene Option für mich«, erinnert sich die heute 59-Jährige bei einem Besuch in ihrem Haus in Santa Tomás.
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»Im Krankenhaus wurde ich in den zweiten Stock geschickt. Da gab es einen Saal, wo rund 30 Frauen lagen, manche auf dem Boden, manche in Betten, und viele wimmerten vor sich hin. Andere schrien vor Schmerzen«, erinnert sich die schmale Frau. 34 Jahre alt war sie damals. Ohne lange zu fragen, weshalb sie gekommen sei, gab ihr eine Krankenschwester eine Spritze und kündigte eine Untersuchung an. Wenig später sackte Inés Condori betäubt in sich zusammen. Ein paar Stunden danach wachte sie wieder auf. Als sie begriff, wo sie war, wurde sie schon barsch aufgefordert, ihre Kleidung zu wechseln und nach Hause zu gehen. Diagnose, Folgeuntersuchung, Verhaltenstipps oder Schmerzmittel: Fehlanzeige.
»Es sei nur ein kleiner Eingriff gewesen, ich könne ruhig aufrecht gehen, herrschte mich die Krankenschwester barsch an«, erinnert sich Condori. Sie sei damals das erste Mal in ihrem Leben in einem Krankenhaus gewesen und komplett überrumpelt worden, erzählt sie. Ihre Hände auf der Wolldecke auf ihrem Schoss zittern, es fällt ihr immer noch schwer, über das Erlebte zu sprechen.
Condori wusste damals nicht genau, was ihr angetan wurde. Und sie hat geschwiegen. »Wir hatten Angst. Als ich sterilisiert wurde, herrschte in Peru Krieg. Es war nicht daran zu denken, unsere Rechte einzufordern«, meint sie. Die Regierung unter Alberto Fujimori führte einen schmutzigen Krieg gegen die von Indigenen dominierte Guerilla der revolutionären Bewegung »Túpac Amaru« und des »Leuchtenden Pfades«, aber auch gegen indigene Frauen. Sie wurden entmündigt, ihres Rechts auf Fortpflanzung beraubt. Lange habe sie nur geahnt, was mit ihr geschehen ist, weil sie geblutet habe, sagt Condori. Die letzte Sicherheit habe erst ein Kongress im Jahr 2002 gebracht, auf dem andere Frauen berichteten, denen Ähnliches widerfahren war: »Da wurde mir klar, dass ich eine von Tausenden von zwangssterilisierten Frauen bin.«
Für Condori ist das damalige Geburtenkontrollprogramm der Fujimori-Regierung, das von der US-Entwicklungsbehörde USAID und der Weltbank als Armutsbekämpfungsmaßnahme mitfinanziert wurde, typisch für den Umgang mit der indigenen Bevölkerungsmehrheit: »Bis heute werden wir diskriminiert, der Rassismus ist real, und es ist kein Zufall, dass es in den großen Städten kaum Frauen gibt, die gegen ihren Willen sterilisiert wurden«, sagt Condori. Ein bitteres Lächeln huscht über ihre Lippen. Bestimmt, mit leiser Stimme spricht sie, manchmal drückt sie ihre Hände auf der Decke, so dass die Fingerspitzen dunkel werden.
Inés Condori weiß, dass sie die Stimme der Frauen aus dem Verwaltungsdistrikt Chumbivilcas ist. Sie spricht für die 330 Frauen, die dort zur Vereinigung der Opfer von Zwangssterilisationen gehören. Sie hat am 8. März 2018 in Brüssel vor den EU-Parlamentariern gesprochen, immer wieder Interviews gegeben, um Druck zu machen und um andere Betroffene zu ermutigen. Mit Erfolg, ihr Beispiel hat Schule gemacht - rund um Santo Tomás, wo sich mehrere Dutzend Frauen bei ihr gemeldet haben, bei den Treffen in der Liga Agraria, einer Bauernvereinigung in Santo Tomás, aber auch landesweit. Viele Frauen haben ihre Angst überwunden, sich in Gruppen organisiert und sich bei der peruanischen Menschenrechtskoordination oder bei der Frauenrechtsorganisation Demus in Lima gemeldet.
Die Route von Santo Tomás nach Lima, mehr als 30 Stunden im Bus, hat Inés Condori oft bewältigt. Die Strapazen hat sie für das große Ziel auf sich genommen: »Wir wollen eine umfassende Wiedergutmachung. Dazu gehört die offizielle Entschuldigung der Verantwortlichen - vom Staat und von Fujimori«, sagt sie mit fester Stimme. Alberto Fujimori sitzt nun auf der Anklagebank, neben den Ministern, die mit ihm das Sterilisationsprogramm konzipierten, das faktisch nur indigene Frauen im Visier hatte. Frauen wie Condori oder wie Violeta Vigo, die 1997 als allererste klagte und auch heute wieder im Gerichtssaal sitzt. Sie will dabei sein, wenn die Männerclique endlich zur Verantwortung gezogen wird.
Längst überfällig sei das, finden nicht nur Condori und Vigo. »Bisher sind wir der Gerechtigkeit in Peru nicht begegnet. Vielleicht ist ein übergeordnetes Gericht unsere letzte Chance«, hatte Vigo 2019 gesagt, als der Prozess wieder einmal drohte nicht zustande zu kommen. An den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hatten die Anwälte vom IDL, einer Menschenrechtsorganisation, bereits gedacht, bevor sie einen letzten juristischen Anlauf nahmen. Erfolgreich. Nun ist der Prozess angelaufen, der für die Frauen immense Bedeutung hat. »Wir wollen unsere Würde zurück. Dafür bin ich hier«, sagt Condori.
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