- Politik
- China
Auf dem Weg an die Weltspitze
Die globalen Gewichte verschieben sich in Richtung Asien und China - die Corona-Pandemie beschleunigt diese Entwicklung noch
Als »neuen Kalten Krieg« in Anlehnung an die frühere Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West bezeichnen Kommentatoren den Schlagabtausch zwischen den USA und China. In dem Konflikt geht es um Handel, Ressourcen, Einflusssphären und die Gestaltung eines globalen Umfeldes, das günstig für die jeweiligen nationalen Interessen ist. Es geht aber vor allem um die Technologien der Zukunft.
Doch der Vergleich mit dem bis Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts dauernden »Kalten Krieg« passt nicht zur Beschreibung dieses Konflikts, der die nächsten Jahre und Jahrzehnte prägen wird. Der »Kalte Krieg« zwischen der früheren Sowjetunion und den USA samt ihren Verbündeten ging um eine rivalisierende universale Vision von der Zukunft der Menschheit. Darum geht es jedenfalls China in der Auseinandersetzung nicht. Die Volksrepublik will nicht das eigene Politik- und Wirtschaftssystem des »Sozialismus mit chinesischer Prägung« exportieren. Sie will die Welt auch nicht nach ihrem Vorbild formen, will keine ideologische Bekehrung, nicht die Revolution exportieren und keine Regimewechsel.
Der Autor hat 15 Jahre lang in der IG Metall Bayern gearbeitet und den Siemens-Konzern und dann die Auto- und Zulieferindustrie betreut. Zuvor war er als Software-Entwickler bei US-Computerkonzernen tätig. Mehrere Jahre lebte er in Peking. Der hier veröffentlichte Text ist eine leicht gekürzte Passage aus seinem kürzlich im Hamburger VSA-Verlag erschienenen Buch »Die Rätsel Chinas – Wiederaufstieg einer Weltmacht«.
Er geht darin auch anhand eigener beruflicher Erfahrungen der Frage nach, ob es sich beim politischen Modell Chinas um »Digitale Diktatur, Staatskapitalismus oder sozialistische Marktwirtschaft« (so der Untertitel) handelt. Das Buch liest sich wie ein Kommentar zum derzeit tagenden Volkskongress Chinas.
Wolfgang Müller: Die Rätsel Chinas – Wiederaufstieg einer Weltmacht. VSA-Verlag, 160 S., 14,80 €
Was China will, ist international mehr Einfluss und mehr Respekt gegenüber den chinesischen Interessen. Es geht vor allem um den Schutz seiner wirtschaftlichen Ziele und um die Sicherung der Einheit sowie der nationalen Souveränität des Landes. Diese war in der langen Geschichte Chinas immer wieder gefährdet. Die weltberühmte Große Mauer war ein mehrere Jahrhunderte dauerndes Bauprojekt, das die Einheit des Landes gegen Invasoren und Barbaren schützen sollte. Die Einheit und die Souveränität sind also Kernbestandteile der chinesischen Erzählung. Dass diese angesichts der zunehmend offenen Feindschaft der USA und des Westens gegenüber China auch nationalistisch aufgeladen wird, kann niemanden verwundern.
Schon seit Jahrzehnten hat das Land seine territorialen Ansprüche auf Teile des Südchinesischen Meeres deutlich gemacht, in dem heute immer noch US-Kriegsschiffe kreuzen. Aus chinesischer Sicht gehörte der US-Brückenkopf Taiwan immer zu China; noch vor einem Jahrzehnt war dies auch die offizielle Position der Regierung Taiwans. Seit der Rückgabe durch Großbritannien 1997 ist Hongkong, im 1. Opiumkrieg 1842 von der britischen Krone als Kolonie annektiert, völkerrechtlich wieder unstrittig Teil der Volksrepublik. Auch im autonomen Gebiet Xinjiang ganz im Westen des Landes und in Tibet geht es bei diesen riesigen, dünn besiedelten Gebieten aus chinesischer Sicht in erster Linie um die nationale Souveränität.
Das Projekt der »Neuen Seidenstraße«, deren maritime Variante u.a. den von China finanzierten Ausbau von Häfen entlang der Küsten Südostasiens und des Indischen Ozeans einschließt, zielt auch auf die Absicherung der Exportrouten und der Rohstoffversorgung der demnächst größten Wirtschaftsmacht der Welt. Das gilt ebenso für die terrestrischen Routen der »Neuen Seidenstraße«. Die Landrouten werden nicht nur Chinas Warenverkehr von und nach Europa und damit den Kapitalumschlag wesentlich beschleunigen, sondern können auch die wirtschaftliche Entwicklung in den Ländern Zentralasiens und des Mittleren Ostens stimulieren.
Das Projekt kann damit einen Entwicklungsschub und eine Stabilisierung der Gesellschaften in diesen vom Westen teilweise »vergessenen« und mit Krieg überzogenen Regionen auslösen, die hierzulande oft mit Bürgerkrieg, Terrorismus und Flüchtlingen assoziiert werden. Beispielsweise wird in Deutschland kaum berichtet, dass China in Afghanistan für die Zeit nach dem bevorstehenden Abzug der US-Truppen große Infrastrukturprojekte plant, während die USA und die anderen NATO-Staaten dem gespaltenen und vom Krieg verheerten Land vor allem Militärstützpunkte und Waffenarsenale hinterlassen.
China ist wirtschaftlich eine Weltmacht und politisch und auch militärisch eine Großmacht. Aufgrund der Größe des Landes und seiner Bevölkerungszahl ergibt sich diese Position in der Welt mehr oder weniger zwangsläufig. Anders wäre das nur bei einer weitestgehenden Abschottung des Landes vom Rest der Welt. Zudem haben die marktwirtschaftlichen Reformen eine äußerst dynamische Kapitalakkumulation in Gang gesetzt. Längst haben die chinesischen Kapitalgruppen die nationalen Schranken für ihre Profitmacherei hinter sich gelassen. Aber ist die Volksrepublik eine neue imperialistische Supermacht?
Chinas Vorgehen speziell in Asien lässt sich als Versuch beschreiben, das regionale Umfeld präventiv zu kontrollieren, zum Schutz seiner territorialen Integrität und der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung. Es ist eine defensive Einflussnahme, gerichtet auf enge Beziehungen zu den Nachbarländern. Allein, weil das Land viel größer ist als die meisten Länder in seiner Umgebung und eine um ein Vielfaches höhere Wirtschaftskraft hat, bringt das zwangsläufig Abhängigkeiten mit sich. Daraus aber einen aggressiven chinesischen Imperialismus zu konstruieren, geht an den Realitäten vorbei. Denn China hat bislang keine Versuche unternommen, sich Länder in anderen Erdteilen wirtschaftlich und politisch oder gar militärisch gefügig zu machen. Der einzige Militärstützpunkt außerhalb des Landes im afrikanischen Djibouti dient westlichen Analysen zufolge allein dem Schutz chinesischer Handelsschiffe vor der Piraterie am Eingang zum Roten Meer.
Die Volksrepublik sei eine verantwortungsvoll handelnde Großmacht, erklärte im Sommer 2020 ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums bei der Vorstellung verschiedener chinesischer Initiativen, nach denen die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas demnächst bevorzugt mit in China entwickelten Covid-19-Impfstoffen beliefert werden sollen, die im Herbst 2020 in der entscheidenden Testphase waren. Wahrscheinlich wird China, sicherlich nicht die USA, Gewinner im globalen Impfstoff-Wettrennen sein, wenn es um den Ausbau des weltweiten Einflusses geht.
Schon allein aufgrund seiner Größe und seiner wirtschaftlichen Stärke ist China ein viel gefährlicherer Konkurrent für die USA, als es andere Großmächte jemals waren. Irgendwann in den nächsten Jahrzehnten könnte sich die chinesische Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung jener der USA annähern. Dann wäre die chinesische Wirtschaft um ein Mehrfaches größer als die der USA. Das wäre eine historische Kräfteverschiebung in der Welt. Insofern ist es treffend, vom chinesischen Jahrhundert zu sprechen.
Die im Herbst 2020 zwischen 15 asiatischen und pazifischen Nationen, aber derzeit noch ohne Beteiligung Indiens vereinbarte Freihandelszone ist ein weiteres Signal für den wachsenden Einfluss Chinas. In dieser neuen Freihandelszone wird jetzt schon ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung erarbeitet. Für Güter, die innerhalb dieses Blocks gehandelt werden, gelten künftig einheitliche Regeln über die Herkunft. Damit können Unternehmen ihre Lieferketten weiter flexibilisieren und die Volksrepublik als Lieferant könnte leichter neue US-Sanktionen umgehen. Wie die EU schon lange demonstriert hat, kann dieser neue Wirtschaftsblock auch zu einer Vereinheitlichung der internen Normen und technisch-industriellen Standards führen, was praktische Auswirkungen weit über die beteiligten Nationen hinaus haben könnte.
***
Während viele Länder in der Welt im Herbst 2020 in einer zweiten Welle der Corona-Pandemie und damit vor einem zweiten Wirtschaftseinbruch standen, haben China und andere Länder Ostasiens die Krise vergleichsweise deutlich besser bewältigt. Die Finanzmärkte haben dafür einen untrüglichen Riecher. Die Aufwertung der chinesischen Währung zeigt, dass die Währungsmärkte auf eine weitere Stärkung der chinesischen Wirtschaft und damit auf mehr Nachfrage nach dem Renminbi setzen. Die internationale Auktion von Schuldtiteln des chinesischen Staates Anfang Oktober 2020 war mehrfach überzeichnet.
Die Entwicklungen auf den Finanzmärkten sind allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Schon lange vor dem Ausbruch der Pandemie hat sich eine Verschiebung der globalen wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse abgezeichnet - weg vom Westen in Richtung Asien. Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Krise der Weltwirtschaft hat diesen Trend nur beschleunigt.
Dass Virusbekämpfung gleichzeitig mit einer erfolgreichen Rezessionsbekämpfung verbunden sein kann, hat das Management der Pandemie durch die chinesische und andere Regierungen speziell in Ostasien gezeigt. Ein kurzer, radikaler, zentral koordinierter Lockdown mit strengen Kontaktbeschränkungen hat das Virus im Land eingedämmt. Fallzahlen und Todesfälle in Relation zur Bevölkerung sind niedrig im internationalen Vergleich. Durch das bessere Krisenmanagement hat sich die Wirtschaft viel schneller erholt. Als einziges von 48 untersuchten Ländern meldete China im zweiten Quartal 2020 ein Wirtschaftswachstum. Taiwan, Vietnam und Südkorea folgen in der Rangliste. In China hat sich auch der private Konsum in den letzten Monaten wieder erholt. Das alles geschah ohne große Stimuli. China und andere asiatische Länder ernten die Dividende vom erfolgreichen Management der Corona-Pandemie.
Bislang hat der Wirtschaftskrieg, den die USA gegen China anzettelten, die chinesische Volkswirtschaft nicht empfindlich getroffen. Im Gegenteil: Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Krise hat Chinas Position weiter gestärkt. Das bedeutet aber auch, dass die Spannungen zwischen der bisherigen Vormacht USA und der wirtschaftlichen Supermacht China sich weiter verschärfen werden. Daran wird auch die Wahl Joe Bidens zum neuen US-Präsidenten nichts ändern. Denn US-Demokraten und US-Gewerkschaften haben sich noch schärfer gegen China positioniert als die bisherige Administration.
Nicht alle Eliten teilen die US-amerikanische Positionierung. Ray Dalio, Gründer des US-Hedgefonds Bridgewater Associates, hat in einem Kommentar in der »Financial Times« vor der Blindheit im Westen gegenüber Chinas Aufstieg gewarnt, die von einem hartnäckigen Anti-China-Bias geprägt sei. Bei aller Kritik an der chinesischen Kapitalismus-Variante könne man nicht sagen, es habe nicht funktioniert. Er selbst investiere deshalb nicht nur in den USA, sondern gerade auch in China. »Imperien steigen auf, wenn sie produktiv und finanziell solide sind, wenn sie mehr einnehmen als ausgeben, wenn ihre Vermögenswerte schneller wachsen als ihre Verbindlichkeiten. Das passiert, wenn die Bevölkerung gut ausgebildet ist, hart arbeitet und sich zivilisiert benimmt. Wenn man China und die USA nach diesen Maßstäben miteinander vergleicht, ... sprechen die Fundamentaldaten eindeutig für China.« Amen! So das Credo eines Vertreters des globalen Finanzkapitals.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.