- Politik
- Baden-Württemberg
Ein weiterer verzweifelter Anlauf der CDU
Die Südwest-Union befindet sich ohnehin im Umfragetief - und jetzt gerät die konservative Partei auch in den Dunstkreis der Schutzmasken-Affäre
Das oft als kleinbürgerliches Ländle bezeichnete Baden-Württemberg galt bis 2011 als uneinnehmbare Hochburg der Christdemokraten. Seit 1953 stellte die CDU in Stuttgart alle Regierungschefs. Von 1972 bis 1992 konnte sie sich auf absolute Landtagsmehrheiten stützen. Bei Bedarf ging sie aber auch flexibel Bündnisse mit FDP und SPD ein. Letzter CDU-Regierungschef, der noch eine Wahl gewann, war Günther Oettinger. Ihm vermittelte die Kanzlerin 2010 den Posten des EU-Energiekommissars.
Oettingers Nachfolger Stefan Mappus sollte nur 14 Monate regieren. An ihm entlud sich die Wut über einen gewalttätigen Polizeieinsatz bei einer Großdemonstration gegen das höchst umstrittene Bahnhofs- und Immobilienprojekt »Stuttgart 21« (S21) im September 2010. Über 100 Demonstranten wurden durch Pfefferspray und Schlagstöcke von Polizeibeamten verletzt.
Die Proteste gegen das milliardenschwere Megaprojekt S21 waren Wasser auf die Mühlen der Grünen, zumal die Südwest-SPD S21 befürwortete und rechtfertigte. Die Grünen waren erstmals in ihrem Gründungsjahr 1980 in den Stuttgarter Landtag eingezogen und hatten als Ausdruck ihrer Verankerung seit der Jahrtausendwende per Direktwahl Oberbürgermeisterposten in Freiburg und Konstanz und 2013 den OB-Posten in der Landeshauptstadt erobert. Diese Ämter hat die Partei seither allerdings wieder verloren.
Die Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima wenige Wochen vor der Landtagswahl im März 2011 brachte dann den Grünen die entscheidenden Prozente, um von der ewigen Oppositionspartei auf die Regierungsbank zu rutschen. Ein grün-rotes Kabinett unter dem bisherigen Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann übernahm die Führung im Ländle. Die Mappus-CDU wurde in die Opposition katapultiert.
Der Katholik Kretschmann, der in den »wilden« 1970er-Jahren Mitglied in der maoistischen K-Gruppe KBW gewesen war und damals um ein Berufsverbot als Lehrer bangen musste, arrangierte sich als Regierungschef rasch mit den Mächtigen und Eliten im Lande. Er rückte in wichtigen Fragen auch von traditioneller grüner Programmatik ab. Der Unternehmerverband Südwestmetall honorierte ab 2013 die Nähe des Regierungschefs zu den Konzernen im Autoland mit einer größeren Spende an die einstige Ökopartei.
Vor der Landtagswahl 2016 rief der aus Fernsehauftritten bekannte schwäbische Textilindustrielle und Trigema-Chef Wolfgang Grupp dazu auf, Kretschmann und die Grünen zu wählen. Kretschmann habe seine Sache gut gemacht und führe das Land sehr gut, so der bekennende Konservative damals. Kretschmann regiert seit 2016 mit den Christdemokraten, nachdem die SPD 2016 auf ein historisches Tief von knapp 13 Prozent abgesackt war.
So dient Baden-Württemberg neben Hessen heute als Vorzeigemodell für ein Regierungsbündnis von Union und Grünen im Bund. Die schwächelnde und zerstrittene Südwest-CDU hat auch bei dieser Landtagswahl den Anspruch, stärkste Kraft zu werden. Nicht zuletzt der neue CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet möchte zeigen, dass er Wahlen gewinnen kann und somit für die Kanzlerkandidatur prädestiniert ist. Sollten sich jedoch aktuelle Umfragen bestätigen, so blieben die Christdemokraten am kommenden Sonntag allerdings mit großem Abstand hinter der Kretschmann-Partei auf Rang zwei. Dies wäre nicht zuletzt eine Blamage auch für Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der seit 1972 den Wahlkreis Offenburg ununterbrochen im Bundestag vertritt und auch vom fernen Berlin bestens mit dem Landeskabinett vernetzt ist. Schließlich besetzt sein Schwiegersohn Thomas Strobl als Innenminister ein Schlüsselressort im Kabinett Kretschmann.
Einen zusätzlichen Dämpfer für die Südwest-CDU dürfte kurz vor der Wahl eine aktuelle Meldung über die rege geschäftliche Tätigkeit ihres Mannheimer Bundestagsabgeordneten Nikolas Löbel bringen. Der Unternehmer und Parlamentarier hatte nach Angaben des Lokalblatts »Mannheimer Morgen« für die Vermittlung einer größeren Menge von Schutzmasken eine hohe Provision verlangt und erhalten. Unter dem Druck der CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann kündigte der Abgeordnete am Wochenende seinen Rückzug aus dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestags und die Niederlegung seines Mandats an, erst wollte er es bis zur Wahl weiter ausüben, doch er beugte sich nun dem Druck aus der CDU: »Um weiteren Schaden von meiner Partei abzuwenden, lege ich mein Bundestagsmandat mit sofortiger Wirkung nieder«, erklärte Löbel am Montag.
Noch düsterer sind die Prognosen für die SPD, deren Ko-Bundesvorsitzende Saskia Esken aus Baden-Württemberg stammt. Laut Umfragen liefern sich die Sozialdemokraten derzeit im Südwesten mit FDP und AfD ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz drei, vier oder fünf. Unterdessen hofft die LINKE, der Demoskopen vier Prozent zutrauen, dass ihr diesmal mit einem Endspurt der historische Einzug in den Stuttgarter Landtag gelingen könnte.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.