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Friluftsliv - raus ins Freie!
Was sich Deutschlands Sport von Norwegen abgucken kann
Norwegens Skilanglauf-Superstar Johannes Kläbo wurde nach dem letzten Wettbewerb der Nordischen Ski-Weltmeisterschaften von Oberstdorf disqualifiziert, weil er im Finish des 50 km-Rennens seinem russischen Konkurrenten Alexander Bolschunow den Stock zerbrochen hatte. Kläbo verlor so zwar seine vierte WM-Goldmedaille im Allgäu, aber ein Norweger stand mit Emil Iversen trotzdem ganz oben.
Damit holte die dominante Ski-Nation angeführt von der viermaligen Goldgewinnerin Therese Johaug 13 von 24 möglichen Titeln. Deutschland schaffte dank Lokalmatador Karl Geiger und den Skispringern lediglich zweimal Gold. Der Rückstand der Deutschen auf Norwegen ist in den letzten Jahren kontinuierlich angewachsen. 2019 bei der WM in Seefeld hatte Norge das Gold-Duell nur mit 13:6 gewonnen, 2017 in Lahti herrschte beim 7:6 sogar fast Gleichstand zwischen den beiden Konkurrenten.
»Die große Investition in die wissenschaftliche Forschung in Norwegen zahlt sich aus. Dort hat Wintersport eine ganz andere Bedeutung als hierzulande. Während in Deutschland die Sportstunden gerade in der Corona-Pandemie gestrichen werden, gibt es in Norwegen sogar ein Schulfach mit den Namen Friluftsliv«, verrät Skilanglauf-Bundestrainer Peter Schlickenrieder. Friluftsliv - übersetzt »Leben in der freien Natur« - ist in Norwegen eine Lebenseinstellung. Wann immer es möglich ist, packen in dem skandinavischen Land die Menschen Kind und Kegel ein und es geht nach draußen. Auch, wenn es stürmt oder schneit.
Während in Deutschland von der großen Politik in der Corona-Pandemie das Motto »Stay at home« inklusive Homeschooling ausgegeben und Breitensport größtenteils untersagt wurde, verlegen die Norwegen sogar ihren Schulunterricht in die freie Natur. Friluftsliv gehört in den ersten zehn Jahrgangsstufen zum festen Programm und soll das »sinnliche Erleben der freien Natur« fördern. Dabei werden pädagogische Zielsetzungen wie ökologische Nachhaltigkeit, die Förderung der physischen Fähigkeit der Schüler und die Nutzung nicht-technischer Fortbewegungsmittel unterstützt. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass die Zahl von jugendlichen Nordisch-Wintersportlern in dem Land mit nur 5,4 Millionen Einwohnern wesentlich höher als in Deutschland (83 Millionen Einwohner) ist.
»Da starten 240 Skispringer bei einem nationalen Wettbewerb, da können wir nur davon träumen«, sagt Horst Hüttel, Sportlicher Leiter Skispringen und Nordische Kombination im Deutschen Skiverband (DSV). In der Nationalsportart Skilanglauf ist das Nachwuchsangebot in Norwegen noch wesentlich größer, was den Konkurrenzdruck erhöht und die Leistung fördert. Natürlich hat das auch etwas mit den für den Wintersport besseren klimatischen Bedingungen in Skandinavien zu tun, wo viel mehr und länger Schnee als hierzulande liegt. Aber dieser Nachteil ließe sich mit klugen Ideen wie der Übersommerung von Schnee zumindest teilweise ausgleichen.
»Wir brauchen noch mehr Schneekonzepte, damit wir besser aufgestellt sind. Viele Schanzen oder Loipen sind wegen Schneemangels nicht präpariert. Und dann machen die Jugendlichen halt etwas anders«, sagt Andreas Bauer, scheidender Bundestrainer der Skispringerinnen. Sein Langlauf Kollege Schlickenrieder bemängelt, in Deutschland werde dem Reha- und Gesundheitssport generell eine größere Bedeutung als dem Leistungssport zugeschrieben. Das zeige sich zum Beispiel an Sparmaßnahmen im wichtigen Wintersport-Stützpunkt im thüringischen Oberhof.
Auch trainingsmethodisch und wissenschaftlich haben die Norweger die früher dominanten Deutschen längst eingeholt und hinter sich gelassen. »Die Norweger haben ein anderes System im Nachwuchs. Sie ordnen die Trainingsgruppen nach biologischem Alter ein, nicht wie bei uns nach dem kalendarischen Alter. So können reife 14-Jährige zum Beispiel mit 16-Jährigen zusammen trainieren«, so Hüttel. Das Ergebnis: Ausnahmetalente wie der mit zwei WM-Titeln und dem Gesamtweltcup-Sieg überragende Kombinierer Jarl Magnus Riiber (23) erreichen zeitiger die Weltspitze.
Und dann ist da noch der Materialnachteil: Obwohl bei der WM neun Skitechniker und eine mobile Schleifmaschine im deutschen Skilanglaufteam zum Einsatz kamen, hatten die Norwegen in vielen Wettbewerben wesentlich besseres Skimaterial zur Verfügung. Das hatte auch damit zu tun, dass die deutschen Techniker wegen den herrschenden Reisebeschränkungen in den vergangenen Monaten nicht nach Skandinavien reisen konnten, um sich auf die außergewöhnlichen Bedingungen bei der WM von Oberstdorf mit frühlingshaften Temperaturen vorzubereiten.
Die Corona-Pandemie dürfte nicht nur deshalb dazu beitragen, dass sicher im nordischen Skisport der Rückstand der Deutschen auf die dominierenden Norweger noch weiter vergrößern wird. »Wir werden die Corona-Probleme im Nachwuchs, der seit vielen Monate nicht richtig trainieren kann, zeitverzögert spüren«, sagt Andreas Bauer. Und so bleibt laut Kombinierer-Chefcoach Hermann Weinbuch nur eins: »Wir werden unsere Ansprüche in Sachen deutsche Erfolge künftig herunterschrauben müssen.« Im Skilanglauf hat Deutschland in den vergangenen zehn Jahren keine WM-Medaille mehr gewinnen können.
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