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Korruption statt Krieg
Libysche Übergangsregierung erhält Vertrauen des Parlaments
Nach sieben Jahren hat Libyen erstmals wieder eine in allen Regionen anerkannte Regierung. Nach zwei Tagen hitziger, von libyschen TV-Sendern live übertragenen Debatten wählten 131 Parlamentarier am Mittwoch den Geschäftsmann Abdul Dbaiba zum neuen Regierungschef. Obwohl einige der landesweit gewählten Abgeordneten der Abstimmung fern geblieben waren, hat der zuvor von einer Delegiertenversammlung in Genf bestimmte Dbaiba die nötige einfache Mehrheit hinter sich. Am Montag soll sein aus 27 Ministern und sechs Staatssekretären bestehendes Kabinett in Bengasi nach einer Zeremonie vor dem Parlament mit der Arbeit beginnen. Der bisherige Premierminister Fajis Al-Sarradsch hatte in seiner fünfjährigen Amtszeit zwar die Anerkennung der internationalen Gemeinschaft gewinnen können, aber war kein einziges Mal nach Ostlibyen gereist, um sich verfassungsgemäß die Zustimmung der Parlamentarier zu sichern.
Hier hat weiter Feldmarschall Khalifa Haftar das Sagen. Bis Ende vergangenen Jahres versuchte er, mit einer Offensive Al-Sarradsch und das Milizenkartell aus der Hauptstadt Tripolis zu verjagen. Die von Haftar und dem Parlament eingesetzte Parallelregierung von Abdulla Thinni hat am Mittwoch die Übergabe der Amtsgeschäfte an Dbaiba verkündet. Die in Ost- und Westfilialen gespaltene Zentralbank, die staatliche Ölagentur NOC und andere Behörden sollen wiedervereinigt und von Tripolis aus geführt werden.
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Vor Dbaiba stehen noch etliche weitere Mammutaufgaben, die er bis zum 24. Dezember erledigen soll. Denn an dem diesjährigen Unabhängigkeitstag Libyens soll eine Parlamentswahl stattfinden, aus der dann Libyens erste reguläre Regierung nach der Revolution von 2011 hervorgehen soll. Voraussetzung dafür ist eine vorherige Volksabstimmung über einen vorliegenden Verfassungsentwurf. In seiner Bewerbungsrede vor den Parlamentariern in der Hafenstadt Sirte erwähnte Dbaiba die Wahlen mit keinem Wort. Auch die Größe seiner Regierung und die nach 17 Monaten Krieg aus der Öffentlichkeit verschwundenen politischen Parteien sprechen dafür, dass Dbaiba, ähnlich wie sein Vorgänger Al-Sarradsch, länger als geplant im Amt bleiben wird. Und viele Libyer scheinen damit gut leben zu können. Es dominiert die Hoffnung, dass seine Managementerfahrung den täglichen Stromausfällen, dem Absturz des Dinars und der Coronakrise ein Ende bereiten werden.
Mit einer versöhnenden Rede konnte der 46-Jährige aus der Handelsstadt Misrata bereits die kritische Stimmung der Parlamentarier für sich drehen. Zuvor gefährdeten Korruptionsvorwürfe seine Wahl. Einige der 75 von der Uno nach Genf geladenen Delegierten berichteten, sie hätten von Dbaibas Schwager 200 000 Dollar für ihre Stimmegeboten bekommen. Eine Expertenkommission der UN-Mission Unsmil hat die Vorwürfe untersucht und wird diese dem Uno-Sicherheitsrat am 15. März vorstellen.
Der landesweite Optimismus wird von den zahlreichen kleinen Kompromissen genährt, auf die sich die ehemaligen Kriegsparteien in den letzten Wochen einigen konnten. Dazu zählt, dass sich die Parlamentarier in Muammar Al-Gaddafis einstiger Heimatstadt Sirte trafen. Das seit 2011 mehrmals zerstörte Sirte liegt auf halbem Wege zwischen Tripolis und Bengasi und wird von Feldmarschall Haftar und einer unbekannten Zahl ausländischer Söldner kontrolliert. Nach Augenzeugenberichten verließen zahlreiche osteuropäische Söldner am vergangenen Freitag in mehreren Bussen die Stadt. Angeblich stehen sie im Dienst der russischen Sicherheitsfirma Wagner. Die Kriegsparteien einigten sich auch darauf, die 2000 Kilometer lange Straße von der tunesischen zur ägyptischen Grenze wiederzueröffnen.
Der schon zu Gaddafis Zeiten in die Planung vieler Großprojekte involvierte Dbaiba hat die Ministerien für Justiz, Kultur und Äußeres erstmals mit Frauen besetzt - eine kleine Revolution im konservativen Libyen. Außenministerin Najwa Al-Mangush hat in Bengasi Jura studiert und sich in den USA auf Konfliktlösung spezialisiert. Nach Eingreifen der Leiterin der UN-Mission Unsmil, Stephanie Williams, waren 17 der 75 Wahlleute in Genf weiblich. »Sie waren die kritische Masse, die das Genfer Treffen zu einem Erfolg gemacht haben«, so die US-Diplomatin.
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